Wettstreit der Emire

Für den Anschlag im Moskauer Flughafen Domodedowo waren wahrscheinlich kaukasische Jihadisten verantwortlich. Im dortigen »Emirat« wird um die Führung gestritten, und wer in Moskau zuschlagen kann, gewinnt an Prestige.

Gäbe es eine internationale Rangliste der kollektiven Verdrängung terroristischer Gewaltakte, läge Moskau vermutlich ganz weit vorn. Der Umgang mit den bekannten Bedrohungsszenarien in der russischen Hauptstadt ist reine Privatsache, und mit der Zeit stellt sich ein Gewöhnungseffekt ein. Man mag die bei Bombenanschlägen in Wohnhäusern, der Metro, Flugzeugen und Zügen Umgekommenen gar nicht mehr zählen. Sobald die vermeintlich Verantwortlichen benannt sind, legt sich die anfängliche Empörung wieder.

Bei der Explosion eines Sprengsatzes im internationalen Terminal des Moskauer Flughafens Domodedowo kamen am Montag vergangener Woche 35 Menschen ums Leben, darunter acht Ausländer, 180 Verletzte wurden gezählt. Am Wochenende gaben die Ermittler der russischen Staatsanwaltschaft bekannt, dass die Identität des Täters geklärt sei. Es soll sich um einen 20jährigen Mann aus dem Kaukasus handeln, dessen Name und Herkunftsort noch ungeklärt sind. Er trug den Sprengsatz am Körper und war Augenzeugen aufgefallen, weil er etwa 15 Minuten lang nervös hin- und hergegangen war, bis offenbar per Telefon die Zündung erfolgte.

Per Telefon gezündet wurde auch eine Bombe, die am Silvesterabend auf dem Gelände eines als Hotel genutzten privaten Schützenclubs im Süd­osten Moskaus explodierte. Die Selbstmordattentäterin kam dabei ums Leben. Sie sollte sich im Neujahrstrubel unter die Menschenmenge am Manezhnaja-Platz vor dem Kreml mischen, doch der Sprengsatz wurde offenbar durch eine vom Telefonunternehmen verschickte Spam-SMS mit Neujahrsgrüßen zu früh gezündet. Ihre Begleiter, ein Mann und eine Frau, konnten entkommen, die Frau wurde aber später festgenommen. Ihre Verbindung zum islamistischen Untergrund steht außer Frage, sie ist mit einem im vorigen Herbst verhafteten Jihadisten verheiratet.

Möglicherweise war der jüngste Anschlag die Fortsetzung einer an Silvester begonnenen Terrorkampagne. Von Domodedowo starteten im Sommer 2004 zwei Flugzeuge, die in der Luft explodierten. Das Nationale Antiterrorkomitee setzte sich allerdings gegen Anschuldigungen zur Wehr, es habe konkrete Anzeichen für einen geplanten Terrorakt gegeben. Die in der Öffentlichkeit nun kritisierten Sicherheitsmängel machten es jedenfalls leicht, mit einem Sprengsatz in das Gebäude einzudringen und sich dort außerhalb der Abfertigungszone frei zu bewegen.

Die Fakten sind noch rar, doch der Anschlag reiht sich am ehesten in die Vielzahl der von islamistischen Anhängern des »Kaukasischen Emirats« begangenen Terroraktionen ein, die sich vermehrt gegen den Transportsektor richten. Die Verantwortlichen, ob kaukasischer, arabischer oder slawischer Herkunft, sind vermutlich im Nordkaukasus zu suchen. Unklar bleibt, welche Organisation oder Fraktion verantwortlich ist. Bezeichnenderweise sah sich Premierminister Wladimir Putin neben seiner rituellen Absage an jegliche Verhandlungen mit Terroristen zu dem Kommentar genötigt, dass die russische Kaukasusrepublik Tschetschenien in keinerlei Verbindung zu den Ereignissen in Domodedowo stehe.

Die meisten Zentren der Jihadisten befinden sich nunmehr in anderen Kaukasusrepubliken. Vor allem aber wollte Putin seine Tschetschenien-Politik verteidigen und seinen Statthalter Ramsan Kadyrow milde stimmen. Mit umfangreichen Subventionen und viel Lob bedacht, schmeichelt Präsident Kadyrow im Gegenzug der russischen Regierung bei jedem beliebigen Anlass. Beide sind daran interessiert, den Mythos einer erfolgreichen Befriedung zu verbreiten.

Im Dezember gab die Generalstaatsanwaltschaft jedoch bekannt, dass die Anzahl der Terroranschläge in der Kaukasusregion innerhalb eines Jahres um über 100 Prozent angestiegen ist. Zwar reagieren die Sicherheitskräfte mit verstärkten Antiterroreinsätzen, bei denen regelmäßig ­Jihadisten getötet werden, so unlängst der stellvertretende »Emir« der Republik Dagestan. Aber die Aktivitäten der Jihadisten nehmen trotzdem zu und erreichten innerhalb eines Jahres zum zweiten Mal die russische Hauptstadt.

Ein Grund dafür könnte der offen ausgebrochene Machtkampf innerhalb der jihadistischen Hierarchie sein. Doku Umarow, der tschetschenische Führer des im Oktober 2007 ausgerufenen Kaukasischen Emirats, hat seine Führungsposi­tion eingebüßt. Mehrere seiner Untergebenen haben ihm im vergangenen Sommer die Gefolgschaft aufgekündigt, darunter auch sein Stellvertreter und designierter Nachfolger Aslambek Wadalow. Wer einen Führungsanspruch erhebt, muss seine Fähigkeiten unter Beweis stellen, und das geschieht am wirksamsten in der Hauptstadt. Wenn in Nazran, Stawropol oder Machatschkala eine Bombe hochgeht, fällt die Resonanz bescheiden aus.

Dass sich Russland in einer Art dauerhaftem Kriegszustand befindet, mag unterschwellig präsent sein, aber es hat den Anschein, als werde der Terror nicht als Problem des Landes wahrgenommen. Man findet beispielsweise in der Sprache immer mehr Anzeichen dafür, dass der Nordkaukasus von vielen Russen dem Ausland zugerechnet wird. Milizionäre versuchen, bei Menschen aus Dagestan abzukassieren, weil diese keine Aufenthaltsgenehmigung vorweisen können, die sie als russische Staatsbürger aber gar nicht benötigen. Auf dem Flughafen hört man vom Bodenpersonal schon mal, dass ein ausländischer Flug abgefertigt werden muss, wenn eine Maschine aus dem Süden eingetroffen ist. Indes geht in Moskau alles seinen bürokratischen Gang. Präsident Dmitrij Medwedjew las führenden Kadern aus dem Sicherheitsapparat die Leviten und forderte Konsequenzen. Daraufhin entließ Innenminister Raschid Nurgalijew die Polizeiführung in Domodedowo, er selbst hingegen sieht keinen Anlass für einen Rücktritt. Doch um den Sicherheitsapparat grundlegend zu reformieren, müsste eigentlich das gesamte Innenministerium aufgelöst und neu aufgebaut werden.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2011/05/42537.html

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