Nachdem Urteil gegen die Mörder des Anwalts Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasia Baburowa Anfang Mai gerieten die Verbindungen der russischen Neonaziszene zu staatsnahen Strukturen verstärkt ins Visier von Journalisten. Der unter bemerkenswerter öffentlicher Aufmerksamkeit verlaufende Prozess gegen Nikita Tichonow und seine Lebensgefährtin Jewgenija Chasis, die zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe bzw. 18 Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurden, legte diesbezüglich zahlreiche Fakten offen.
Soweit aus den Aussagen von Ilja Gorjatschew — Anführer der rechtsradikalen Vereinigung Russkij Obraz und zudem einer der Hauptbelastungszeugen in dem Prozess – bekannt, warb die kremlorientierte Jugendbewegung „Mestnyje“ im Moskauer Umland aktiv um neue Kader aus der Neonaziszene. Verantwortlich dafür war Leonid Simunin, der in direktem Kontakt mit Nikita Tichonow stand, bei dem er eine Waffe erwerben wollte. Das Geschäft kam allerdings nicht zustande. Die „Mestnyje“ bestreiten, jemals Verbindungen mit Russkij Obraz unterhalten zu haben. Simunin arbeitete später für eine Kommunikationsfirma, deren Vertretung sich unter der gleichen Adresse wie die Kremljugendorganisation „Rossija Molodaja“ befand. Jene Firma kooperierte aber nicht nur mit Kremlorganisationen, sondern auch mit Russkij Obraz.
Lange Zeit galt Russkij Obraz als eines der erfolgreichsten Projekte der russischen Rechten. Gute Kontakte zum Kreml ermöglichten die legale Durchführung von Großveranstaltungen, hauptsächtlich Konzerte mit in der Naziszene populären Bands, darunter auch Kolowrat. Die politische Plattform von Russkij Obraz zog ein breites Anhängerspektrum an und, nicht unwichtig, eine ganze Reihe von Geschäftsleuten, die als Sponsoren auftraten. Nikita Tichonow unterhielt zwar in den vergangenen Jahren keine aktive Mitgliedschaft, gehört aber zu den Gründern von Russkij Obraz und gab die gleichnamige Zeitschrift der Vereinigung mit heraus.
Auch spielten die Verbindungen von Russkij Obraz zur russischen Präsidialverwaltung, also jener Behörde, in der die Fäden der russischen Politik gesponnen werden, in den Gesprächen von Tichonow und Chasis in den Tagen vor ihrer Festnahme eine Rolle. Ihre Wohnung wurde zu dem Zeitpunkt abgehört und die Aufnahmen, darunter auch mit einer versteckten Kamera aufgenommene Sequenzen, vor Gericht als Beweisstücke vorgelegt. Durch das als „Verrat“ eingestufte Auftreten von Ilja Gorjatschew als Zeuge hat Russkij Obraz in der rechten Szene allerdings deutlich an Autorität verloren. Gorjatschew selbst hat sich nach Serbien abgesetzt, vermutlich nicht zuletzt deswegen, um etwaigen Racheaktionen aus den eigenen Reihen zu entgehen.
Als legal operierende Vereinigung stand Russkij Obraz im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Doch agierten die Mörder von Markelow und Baburowa in einen viel weitläufigeren Zusammenhängen. Denn der legale Status von Russkij Obraz diente zwar als eine Art Deckmantel, doch für Gewaltaktionen zeichneten Strukturen wie OB-88 (Vereinigte Brigaden 88) oder Combat-18 verantwortlich. Tichonow gehörte OB-88 ebenso an wie Aleksej Korschunow, der im Zusammenhang mit dem Mord an dem Richter Eduard Tschuwaschow im April 2010 und dem Mord an dem Antifaschisten Iwan Chutorskoj im November 2009 zur Fahndung ausgeschrieben ist.
Die mittlerweile verbotene Bewegung gegen illegale Immigration DPNI geht mit dem Mitte April ins Leben gerufenen Koalitionsprojekt „Russkije“ („Russen“), dem neben Dmitrij Djomushkin vom vormaligen, ebenfalls verbotenen „Slawischen Bund“ Dutzende nationalistische Parteien und Organisationen angehört, eigene Wege. Die „Russen“ versuchen sich somit vom diskreditierten Russkij Obraz abzugrenzen. Beim rechten Aufmarsch am 1. Mai tolerierten die Veranstalter allerdings die Präsenz von Russkij Obraz. Verhandlungen mit der Partei des Rechtspopulisten Wladimir Zhirinowskij über eine Zusammenarbeit im Vorfeld der für Dezember anstehenden Dumawahlen diensten zur Sondierung weiterer Bündnisse. Der ehemalige Anführer der DPNI Alexander Below wollte zudem einen Zusammenschluss im Rahmen einer Volksfront nicht ausschließen.
Im Übrigen sprach im Mai ein Geschworenengericht in St. Petersburg nach anderthalbjähriger Prozessdauer fast alle Angeklagten der Neonazibande Borowikow-Wojewodin schuldig. Auf ihr Konto gehen zahlreiche Morde, darunter auch der Mord an dem Wissentschaftler Nikolay Girienko, der im Juni 2004 durch die geschlossene Wohnungstür hindurch erschossen wurde. Mitte Juni legte das Gericht gegenüber zwölf von vierzehn Angeklagten Strafmaß zwischen zwei Monaten auf Bewährung bis zu lebenslänglichem Freiheitsentzug fest. Zwei der Angeklagten wurden freigesprochen.