Zu Gast als Sklave

Am 4. November, dem „Tag der Volkseinheit“ marschierten über 5000 Rechtsradikale und Neonazis durch die Moskauer Innenstadt. In Sprechchören huldigten die Teilnehmenden den wegen vielfachen Mordes verurteilten norwegischen Rechtsextremisten Anders Breivik und forderten die „Reinhaltung der weißen Rasse“. Auch die vermeintliche Gastfreundschaft gegenüber Zugereisten aus Zentralasien war Thema. „Das tolerante Moskwabad freut sich über jeden Gast“ war auf einem Transparent zu lesen. Was man sich darunter in der Praxis vorzustellen hat, illustriert der Umgang mit Arbeitskräften insbesondere aus Zentralasien.

Dass die Tätigkeit einer durchschnittlichen Verkäuferin miserabel bezahlt wird, ist wohl nicht nur in der russischen Hauptstadt üblich. In dem gut frequentierten kleinen Lebensmittelladen im Erdgeschoss eines Wohnblocks im Osten Moskaus allerdings erhielten die Mitarbeitenden gar keine Entlohnung. Die Ladenbetreiber, ein Pärchen aus Kasachstan, lockten Arbeitssuchende aus Zentralasien mit regelmässiger Bezahlung, stattdessen behielten sie die Ausweise ihrer Angestellten ein und hielten sie wie Sklaven. Über Jahre. Eine Frau befand sich ganze zehn Jahre in den Händen ihrer Peiniger. Sie und andere berichteten von Vergewaltigungen und schweren Prügelstrafen bei kleinsten Vergehen, wenn beispielsweise ein Produkt, dessen Haltbarkeitsdatum bereits abgelaufen war, nicht an einen Käufer zu bringen war. Mehrere Kinder wurden in Gefangenschaft geboren, ein völlig unterentwickelter fünfjähriger Junge verbrachte drei Jahre in einem Kellerraum. Telefonanrufe bei den Verwandten waren nur unter Aufsicht gestattet. Fluchtversuche endeten regelmässig mit der Rückgabe der Geflohenen an die kasachischen Ladenbetreiber durch die Polizei, die ganz offensichtlich sehr genau von dem sklavenartigen Arbeitsverhältnis in dem ansonsten unauffälligen Geschäft informiert war. Ebenso Anwohner und Dauerkundschaft. Auch die von den Müttern einiger in Moskau festsitzenden Frauen um Hilfe angefragten Botschaftsvertretungen blieben untätig.

Erst nach dem der Kontakt zu Journalisten hergestellt war, gelang es einer Gruppe freiwilliger Helfer in der vergangenen Woche fünf Frauen, vier Männer und drei Kinder aus Kasachstan und Usbekistan zu befreien. Der Aufenthaltsort einer weiteren Frau und zweier Kinder ist unbekannt. Die Polizei wurde sicherheitshalber erst post factum von der Befreiungsaktion informiert.

Ute Weinmann

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