An einer in Russland bedeutenden antifaschistischen Demonstration haben sich dieses Jahr nur wenige Menschen beteiligt. Das liegt nicht nur daran, dass die Behörden sie erst in letzter Minute genehmigten.
Am Samstag nahmen in Moskau etwa 700 Menschen an der jährlichen Gedenkdemonstration für Stanislaw Markelow und Anastasia Baburowa teil. Der Anwalt und die Journalistin waren am 19. Januar 2009 von Neonazis ermordet worden. Die geringe Beteiligung fällt angesichts dessen, dass es im vorigen Jahr zahlreiche Demonstrationen mit Zehntausenden Teilnehmern für faire Wahlen gab, besonders ins Gewicht. Zuletzt demonstrierten am 13. Januar über 20 000 Menschen in Moskau gegen das Verbot für US-Staatsbürger, russische Waisenkinder zu adoptieren.
Um den Straßenverkehr und Fußgänger nicht zu beeinträchtigen, lehnten die Behörden wiederholt eine Genehmigung der für den 19. Januar geplanten Demonstrationsroute bis zum Tatort der Morde an Markelow und Baburowa ab. In dessen unmittelbarer Nähe befindet sich die Erlöserkathedrale, in der die Aktionskünstlerinnen der Gruppe »Pussy Riot« ihr berühmtes »Punk-Gebet« abgehalten hatten. Eine Demonstration sei dort nicht vertretbar, zumal der 19. Januar ein wichtiger kirchlicher Feiertag sei. Übrig blieb eine Route entlang des von Autos nicht befahrenen Mittelstreifens des Boulevardrings.
Die Taktik der Behörden ist einfach und geht fast immer auf: Erst wird eine Demonstration unter einem Vorwand verboten und in letzter Minute dann doch genehmigt. Für eine Mobilisierung bleiben oft nur ein bis zwei Tage und selbst in den Medien rufen das repressive Vorgehen der Behörden und die vermeintliche Gewaltbereitschaft junger Antifaschisten mehr Interesse hervor als der Anlass für den Protest. Überdies wird es mit jedem Jahr schwieriger, Argumente für die Beteiligung an einer antifaschistischen Aktion zu formulieren. Seit die Mörder gefunden und im Verlauf der Ermittlungen in deren Umfeld einige weitere Morde an Antifaschisten und an einem Richter aufgeklärt werden konnten, gilt die Gefahr als gebannt, die von gut organisierten Neonazivereinigungen ausgeht. Doch die rassistischen Morde an Migrantinnen und Migranten aus Zentralasien und anderen nichtslawisch aussehenden Menschen gehen weiter – nur ist das kaum mehr eine Meldung wert.
Selbst die Mehrzahl der aktiven Antifaschisten hält es nicht mehr für nötig, gegen rechtsextreme und nationalistische Gruppen offen vorzugehen. Das Problem habe sich erledigt. Hunderte gefährliche Neonazis verbüßen hohe, zum Teil lebenslängliche Haftstrafen und der organisierten gemäßigten Rechten verweigert die Regierung den Zugang zum Kreml ebenso wie linken und liberalen Oppositionellen. Dabei sind rechte und nationalistische Positionen im russischen Parlament durchaus vertreten und für das vorige Jahr lässt sich konstatieren, dass die Rechte im oppositionellen Lager längst eine gewisse Akzeptanz erworben hat. Kaum jemand macht der nationalistischen Rechten ihren Platz in der Opposition streitig, denn die Devise, alle müssten gemeinsam gegen die Herrschaft des russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgehen, droht jene zu marginalisieren, die sich dieser Taktik verweigern.
Der 19. Januar hat sich dennoch als traditioneller antifaschistischer Aktionstag etabliert, und das nicht nur in Moskau, sondern auch in vielen anderen Städten Russlands und der Ukraine. In Moskau richtete sich der Protest erstmals auch gegen Abschiebungen. Allerdings nicht gegen die in Russland gängige Praxis, diese beispielsweise nach Usbekistan auf Anforderung des dortigen Sicherheitsapparates vorzunehmen. Thema war vielmehr der Selbstmord des russischen Oppositionellen Alexander Dolmatow in niederländischer Abschiebehaft vorige Woche. Ihm drohte in Russland eine mehrjährige Haftstrafe. Derweil kündigte Stanislaws Bruder Michail Markelow, der sich als Abgeordneter der Partei »Einiges Russland« im Kampf gegen »ausländische Agenten« profiliert, die Einleitung rechtlicher Schritte an, um die Verwendung von Fotos seines ermordeten Bruders auf der nächsten Gedenkdemonstration zu unterbinden.
Ute Weinmann
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