Vor einem Jahr am 6. Mai demonstrierten Oppositionelle in Russland gegen die Amtseinführung Wladimir Putins. Einige von ihnen stehen nun vor Gericht.
Ein Jahr ist seit den durch die Polizei gewaltsam niedergeschlagenen Protesten am 6. Mai 2012 gegen die Wiedereinführung von Wladimir Putin ins Präsidentenamt vergangen. Die Opposition befindet sich in der Defensive und zum Staatsstreich ist es entgegen der aufgebauschten Anschuldigungen gegen Teilnehmer und Organisatoren der vermeintlichen Massenunruhen auf dem Bolotnaja-Platz nicht gekommen. Doch der Staatsapparat kennt trotz des Fehlens einer realen Bedrohung für die Grundfeste der russischen Machtordnung kein Pardon. Am 28. April erfolgte die Festnahme von Aleksej Gaskarow, einem Sprecher der russischen Antifa-Bewegung und Vertreter der Linken im Koordinationsrat der Opposition. Damit ist er bereits der 28. »Gefangene der Sumpf-Affäre«, wie die Ermittlungen aufgrund der Bedeutung des Wortes boloto (»Sumpf«) im vorliegenden Fall genannt werden.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm neben der Beteiligung an Massenunruhen vor, er habe bei der Kundgebung am 6. Mai einen Angehörigen der Sondereinheit Omon verletzt. Die Höchststrafe für beide Vergehen zusammen beträgt 13 Jahre Freiheitsentzug. Genau genommen liegen gegen Gaskarow keine ernst zu nehmenden Beweise vor. Videoaufnahmen zeigen, wie er selbst von einem uniformierten Polizisten getreten wird, und ein anschließend aufgenommenes Foto zeigt ihn mit einer blutenden Wunde am Kopf, die später genäht werden musste. Die Ermittler legten ihrerseits ein Video vor, auf dem Gaskarow für den Bruchteil einer Sekunde inmitten einer Menge auftaucht. Der angeblich von ihm geschlagene Omon-Polizist war nicht in der Lage, ihn eindeutig zu identifizieren. Doch es gibt zwei Zeugen, deren Identität die Anklage nicht preisgibt. Einer davon will aus einem Auto heraus beobachtet haben, wie Gaskarow eine Gruppe junger Männer in sportlicher Kleidung bei der Verübung von Straftaten angeleitet hat. Die Verteidigung wird es nicht leicht haben, ihrerseits Zeugen zu gewinnen, da die Gefahr groß ist, selbst auf der Anklagebank zu landen.
Gaskarow saß bereits vor knapp drei Jahren wegen einer spontanen Aktion gegen die Stadtverwaltung im Moskauer Vorort Chimki mehrere Monate in Untersuchungshaft. Damals wehrten sich Antifaschistinnen und Antifaschisten gegen die illegale Abholzung eines naheliegenden Waldgebiets. Gegen das nach Dienstschluss menschenleere Verwaltungsgebäude flogen Steine und Rauchbomben, einige Fenster gingen zu Bruch. Gaskarow gelang es vor Gericht, seine Unschuld zu beweisen, und er darf sich sogar eines Freispruchs rühmen, was in der heutigen russischen Rechtsprechung eine absolute Ausnahme darstellt. Selbst eine Schadensersatzforderung hatte Erfolg, wenngleich ihm die zugesprochene Summe nie ausgezahlt wurde.
So viel Hartnäckigkeit und Selbstbewusstsein im Umgang mit den Strafverfolgungsbehörden verschaffte ihm jedoch nicht nur Anerkennung. Insbesondere die Abteilung für Extremismusbekämpfung im Innenministerium, die in Chimki mit ihren zweifelhaften Anschuldigungen gescheitert war, setzt dem Antifaschisten seit Jahren zu und stellt eifrig Nachforschungen gegen ihn an. Gaskarow suchte zudem in den vergangenen Jahren nach Wegen, öffentlich Politik zu machen. Er gehört in seinem außerhalb von Moskau gelegenen Wohnort Zhukowskij einem Ende März gewählten, alternativen städtischen Selbstverwaltungsorgan an, dem ersten seiner Art in Russland. Und er wurde nicht müde, die Legitimität der regierungskritischen Proteste zu betonen.
Mit Nachsicht ist jedenfalls nicht zu rechnen. Anders im Fall des im April in einem gesonderten Verfahren fix abgeurteilten Konstantin Lebedew, der bereits im Herbst eine Übereinkunft mit der Staatsanwaltschaft eingegangen war. Lebedew wurde der Organisation von Massenunruhen und der Vorbereitung neuer Zusammenstöße für schuldig befunden und erhielt eine Haftstrafe von zweieinhalb Jahren in einer Strafkolonie. Das relativ milde Urteil wirft viele Fragen auf. Vermeintliche Mittäter werden im Urteilstext nicht genannt, aber es ist naheliegend, dass er der Anklage über sein Schuldeingeständnis hinaus wertvolle Informationen geliefert hat und als eine Art Kronzeuge fungiert.
Lebedew gehört zur Generation junger professioneller Politkader, deren Orientierung anhand der jeweiligen Konjunktur einen einschneidenden Wandel durchlaufen hat. Der Linksfront von Sergej Udaltsow, den die Anklage als Hauptverdächtigen sieht, bot er erst nach Beginn der Protestwelle im Winter 2012 seine Dienste an, ohne ihr jemals beigetreten zu sein. Seine politische Karriere begann, nachdem er von der kommunistischen Arbeiterpartei zur Putin-Jugend gewechselt war, die ihn mit ihren finanziellen Ressourcen lockte. Über die »orangefarbene Revolution« in der Ukraine geriet er schließlich an Giwi Targamadze, einen engen Freund des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, dessen Markenzeichen der »Revolutionsexport« nach georgisch-ukrainischem Vorbild ist, und der nach Lebedews Angaben in der russischen Linken ein Potential zur Destabilisierung des Herrschaftsmodells Puntins sah.
Was an Lebedews in einem ausführlichen Interview für die Tageszeitung Kommersant dargelegter Geschichte als Kassenwart der revolutionären linken Avantgarde stimmt, ist offen. Fest steht, dass Berichte über käufliche linke Verräter die Opposition stärker diskreditieren als die laufenden Strafverfahren. Gegen zwölf Angeklagte ist mit einem baldigen Prozessbeginn zu rechnen. Die jüngst präsentierten Schlussfolgerungen eines alternativen Ermittlungsausschusses, wonach die Zusammenstöße bei der Kundgebung am 6. Mai Resultat staatlicher Provokationen gewesen seien, werden kaum berücksichtigt werden. Internationale Menschenrechtsorganisationen wollen die Ereignisse nun aufarbeiten.
Ute Weinmann