Du sollst nicht fluchen

Das russische Parlament hat ein Gesetz beschlossen, das derbe Sprache in der Öffentlichkeit unter Strafe stellt.

Wer in Russland noch einmal ungestraft von der Theaterbühne herab frei heraus zum Publikum sprechen will, muss sich beeilen. Vom 1. Juli an soll der Gebrauch der Vulgärsprache Mat in Theater, Fernsehen, Medien, bei Lesungen und kulturellen Veranstaltungen unter Strafe gestellt werden. Allerdings gelten die neuen Regeln nur für russische Ausdrücke. Geflucht werden darf in der Öffentlichkeit also weiterhin, allerdings nur noch in einer Fremdsprache. Filme und Bücher, die sich der russischen Vulgärsprache bedienen, werden in Zukunft mit einer besonderen Verpackung und der Aufschrift »Enthält Kraftausdrücke« gekennzeichnet. Bei Verstößen droht eine Geldbuße von umgerechnet 50 Euro, für juristische Personen bis zu 1 000 Euro. Die Vergabe von Verleihlizenzen für Kinofilme wird ebenfalls vom korrekten Sprachgebrauch abhängig gemacht. Kulturschaffende, die wiederholt gegen das Gesetz verstoßen, laufen Gefahr, mit einem Auftrittsverbot belegt zu werden.

An sich ist die Reglementierung und Tabuisierung der russischen Vulgärsprache kein neues Phänomen. Sogenannte unanständige Wörter werden im Schriftverkehr im Regelfall mit Auslassungen und Pünktchen gekennzeichnet, was am Wortgehalt selbst zwar nichts ändert, aber der Distanzierung von dem jeweiligen Kraftausdruck dient. Bereits vor einem Jahr wurde ein ähnliches Gesetz für die Medien verabschiedet. Demnach galt die Verwendung des Mat allerdings nur als Ordnungswidrigkeit. Die zuständige russische Aufsichtsbehörde Roskomnadzor teilte mit, dass die vier Unworte »Schwanz«, »Fotze«, »Ficken« und »Hure«, die als Schlüsselbegriffe des Mat gelten, aus der Berichterstattung zu tilgen seien. In dem Gesetzestext tauchen allerdings nicht die Begriffe selbst auf, vielmehr wurden sie auf höchst umständliche Weise umschrieben, etwa als die »unziemliche Darstellung des Beischlafs«. Die vier Begriffe kennen mehr als 5 000 mögliche Ausdrucksvariationen in der vor allem unter jungen russischen Männern beliebten Vulgärsprache. Gerade die Tabuisierung des Mat in der Schriftsprache macht für viele den Reiz aus. Vor den vulgären Ausdrucksformen schreckten allerdings nicht einmal literarische Klassiker wie Alexander Puschkin oder Wladimir Majakowskij zurück. Aber erst nach dem Zerfall der Sowjetunion setzte sich die Verwendung des Mat in der Literatur durch, womit die Ausdrucksweise allerdings auch ihre Skandalträchtigkeit eingebüßt hat.

In der Umgangssprache gehört Mat zwar keineswegs zum guten Ton, jedoch verleiht die derbe Sprache einer ganzen Reihe von Emotionen ihren nuancierten Ausdruck. Letztlich kommt es dabei immer auf die Intonation an. Der Schriftsteller Osip Mandelstam brachte es zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf den Punkt: »In Russland nutzt man Schimpfwörter nicht zum Fluchen, sondern zum Sprechen.« Staatsmänner bilden da keine Ausnahme. Präsident Wladimir Putin drohte seinerzeit damit, tschetschenische Terroristen notfalls auch »auf dem Klo kalt zu machen«. Während des Georgienkriegs soll Putin im Gespräch mit Nicolas Sarkozy angekündigt haben, er werde »den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili an den Eiern aufhängen«. Auch wenn der Ausspruch bei seinem französischen Amtskollegen nicht besonders gut angekommen sein soll, verschaffte sich Putin damit bei seinen Landsleuten durchaus Sympathien und demonstrierte Volksnähe wie seine Vorgänger Michail Gorbatschow und Nikita Chruschtschow.

Russlands Kulturschaffende sind noch uneins, welche Auswirkungen das Gesetz auf ihre Arbeit hat. Die Punkband Leningrad gab ihre Antwort darauf längst in ihrem Hit »Es ist unmöglich, ohne Mat zu leben«. Der vielfach ausgezeichnete russische Regisseur Alexander Sokurow hat mit dem Verbot kein Problem und begrüßt die Verbannung des derben Wortschatzes sogar. Sein Kollege Eldar Rjazanow, der Filmklassiker wie »Die Insel Sachalin« (1955) gedreht hat, bekam die Auswirkungen der Reglementierungswut bereits zu spüren. Sein Film »Garage«, den jeder russische Kinoliebhaber auswendig zu zitieren vermag, wurde kürzlich im Fernsehen gezeigt. Das harmlose Wort »chrenowina«, was so viel wie »Schwachsinn« bedeutet, war herausgeschnitten worden.

Es handelt es sich bei dieser Gesetzesinitiative keineswegs um eine Einzelmaßnahme. Vielmehr geht sie einher mit einer ganzen Reihe von Gesetzen, die in bekannter Manier durch die Duma gepeitscht und vom Föderationsrat abgesegnet wurden, obwohl selbst dort kri­tische Stimmen die eilig verfassten undurchdachten Formulierungen bemängelten. Im Wesentlichen geht es um die Ausweitung der Befugnisse des Inlandsgeheimdienstes FSB zur Abwehr von Terror. In letzter Minute wurde noch die Ausweitung von Kontrollen im Internet einbezogen, was faktisch eine Gleichstellung von Bloggern mit regulären Medien bedeutet. Blogger mit mehr als 3 000 Klicks pro Tag werden mit zahlreichen Auflagen belegt, ohne dass sie die Rechte und Privilegien der offiziellen Medien erhalten. Mat in populären Blogs gehört damit der Vergangenheit an. Aber das ist noch das geringste Problem. Blogger müssen von nun an ihre Personaldaten offenlegen und haften für ihre Inhalte. Verstöße werden mit mit bis zu 600 Euro, bei Wiederholung mit bis zu 1 000 Euro geahndet. Die russischen Behörden stellten bereits unter Beweis, dass sie im Zweifelsfall auch ohne jeglichen Gerichtsbeschluss Websites von legalen Internetmedien blockieren können.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2014/19/49838.html

Запись опубликована в рубрике Kultur с метками . Добавьте в закладки постоянную ссылку.