Rechte gegen Rechte

Tausende fliehen vor den eskalierenden Kämpfen in der Ostukraine. Die eingesetzten Verbände sind auf beiden Seiten mit Faschisten durchsetzt. Während in den sogenannten Volksrepubliken ein Machtkampf unter den Separatisten tobt, wird die Regierung in Kiew durch die Besetzung einer Zweigstelle der Zentralbank in Donezk geschwächt.

Wer die umkämpften Gebiete in der Ostukraine verlassen möchte, ist seit Sonntag aufgefordert, den dafür eingerichteten humanitären Korridor zu nutzen. Zuvor hatten bereits Tausende die Region auf eigene Faust in Richtung Russland verlassen, andere suchten Zuflucht in weiter westlich gelegenen Regionen der Ukraine. Wie viele Tote die Auseinandersetzungen zwischen Separatisten und ukrainischen Truppen im Rahmen der von der Zentralregierung ausgerufenen »Antiterroroperation« bislang unter der Zivilbevölkerung gefordert haben, ist unbekannt. Es wird zwar nicht gezielt auf Zivilisten geschossen, aber Minen von beiden Seiten explodieren regelmäßig in Wohnvierteln.

Mitte vergangener Woche gab das Kiewer Gesundheitsministerium die Gesamtzahl der seit April ums Leben gekommenen Menschen mit 210 an, darunter 19 Kinder. Allerdings folgte ein paar Tage später der Abschuss einer Transportmaschine mit ukrainischen Militärangehörigen in Lugansk, bei dem alle 49 Insassen starben und für den Aufständische die Verantwortung übernahmen. Ohnehin wurden in der Statistik nur die in den lokalen Leichenschauhäusern registrierten Fälle verzeichnet, was gerade hinsichtlich der Opferzahl unter russischen Kämpfern Raum für Spekulationen lässt. Jedenfalls dürfte die tatsächliche Anzahl der Toten über der offiziell bestätigten liegen.

Auf der Krim lief im März alles wesentlich friedlicher ab. Dafür erhielten die an der Operation zur »Heimholung« der Krim Beteiligten Auszeichnungen – von ranghohen Mitarbeitern der russischen Präsidialverwaltung über Parteikader des Einigen Russland bis hin zu verurteilten Kleinkriminellen und kremltreuen Bikern der »Nachtwölfe«. Allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ob die russische Verstärkung ukrainischer Separatisten in der Ostukraine mit einer ähnlichen Anerkennung rechnen kann, ist fraglich. Es sollen nicht mehr als einige Hundert sein, dafür jedoch mit Waffen ausgestattet, selbst russische Panzer kamen nach Angaben des US-amerikanischen Außenministeriums in der vergangenen Woche zum Einsatz. Doch seit dem massiven Einsatz der ukrainischen Armee läuft es militärisch nicht gut für die selbsternannten Volksrepubliken. Eine Stellung nach der anderen mussten sie aufgeben. Demnächst steht der Angriff ukrainischer Truppen auf Lugansk an.

Aber auch die morsche Kampfmoral bei den eigenen Verbänden und innere Querelen setzen der separatistischen Führungsriege immens zu. Don-Kosaken gaben Ende vergangener Woche ihre Stellung in Donezk auf und wurden später in der benachbarten Region Lugansk geortet, was ihnen den Vorwurf einbrachte, mit der ukrainischen Nationalgarde zu kooperieren. Auch scheint die Zusammenarbeit zwischen ukrainischen Aufständischen und freiwilligen Kämpfern aus dem Kaukasus nicht reibungslos zu verlaufen und in der ebenfalls zu Lugansk gehörenden Stadt Lisitschanks erfolgte gar die Ausrufung einer eigenen Volksrepublik.

In der Führung scheint indes ein offener Machtkampf ausgebrochen zu sein. Am 12. Juni wurde der Wagen von Denis Puschilin, einem der Anführer der Donezker Volksrepublik, gesprengt, wobei ein Mensch ums Leben kam. Puschilin, der sich, unter der Bedingung einer russischen Be­teiligung, für Verhandlungen mit der ukrainischen Regierung ausspricht, hielt sich zu dem Zeitpunkt in Moskau auf. Wenige Tage zuvor hatten Unbekannte seinen Referenten Maxim Pet­ruchin erschossen. Den selbsternannten Bürgermeister von Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, wiederum ließen seine Vorgesetzten aus Donezk festnehmen. Dort hieß es, Ponomarjows Handlungsweise sei »unvereinbar mit den Aufgaben und Zielen einer zivilen Verwaltung«. Gerüchten zufolge soll er Gelder veruntreut haben, doch kursieren auch Vorwürfe, wonach Ponomarjow in Kiew um Garantien angefragt haben soll für den Fall einer Kapitulation.

Bezeichnenderweise erweist sich der Donbass als Spielwiese für Nationalisten und Neonazis aus unterschiedlichen, ja entgegengesetzten Lagern. Die ukrainische Militärführung schreckt nicht davor zurück, die neu geschaffenen Sondereinheiten mit Kadern der ukrainischen Rechten und sogar der Neonaziszene zu bestücken. Wo sich Militärangehörige aus der Region nicht mobilisieren lassen, eignen sich Anhänger der Rechten mit ihrem ideologisch motivierten Kampfgeist zur Durchsetzung der Interessen der Kiewer Zentralmacht. Vorteile bieten diese Sondereinheiten auch hinsichtlich ihrer vagen Befugnisse und rechtlichen Stellung. Denn anders als bei den regulären Truppen ist ihr Status nicht eindeutig geregelt.

Gleichzeitig birgt ein solches Vorgehen gewisse Risiken, da sie die lokale Bevölkerung in ihren Ressentiments gegenüber der neuen Regierung zusätzlich anheizt und das mediale Bild der faschistischen Zentralregierung zu bestätigen scheint, was die Aufständischen als eine Art Schutz­macht erscheinen lässt. Im Übrigen finden sich bei den in der Ostukraine eingesetzten und mit Neonazikadern durchsetzten Verbänden auch russische und weißrussische Staatsangehörige. Im Bataillon Azow, das hauptsächlich von den Gruppierungen »Patriot der Ukraine«, »Sozial-Nationale Versammlung« und »S-14« getragen wird, treibt zudem der schwedische Neonazi Mikael Skillt sein Unwesen.

Allerdings ist die russische extreme Rechte stärker auf der Seite der Separatisten vertreten. Ihre Unterstützung beschränkt sich nicht allein auf den bewaffneten Einsatz. Von einem breiten Bündnis getragene Informationskampagnen an der Heimatfront finden großen Zuspruch und sind zudem so angelegt, dass dringend benötigtes Bargeld in die Kassen der Aufständischen fließt. Auch unter den Scharfmachern im russischen Medienbetrieb finden sich Neonazis. Im Mai beklagte sich der Bildreporter Paul Ronzheimer darüber, Opfer der Hetze des Journalisten Dmitrij Steschin geworden zu sein, der für die Komsomolskaja Prawda regierungskonform aus der Ostukraine berichtet. Steschin machte die Aufständischen in der Separatistenhochburg Slawjansk auf den »Provokateur« Ronzheimer aufmerksam und kündigte auf Twitter dessen Entführung an. Mit Nikita Tichonow, der im Januar 2009 den Anwalt Stanislaw Markelow und die Journalistin Anastasija Baburowa ermordet hatte, die sich beide als Antifaschisten verstanden, verbindet Steschin eine enge Freundschaft. Diese manifestierte sich unter anderen in einer überaus loyalen Zeugenaussage Steschins im Mordprozess.

Bei den Unterstützern der separatistischen Staatengebilde in der Ostukraine trifft die Donezker Volksrepublik im Allgemeinen auf mehr Sympathien als ihr Lugansker Pendant. Die Donezker Vertretung in St. Petersburg wird von Witalij Milonow angeführt, einem Abgeordneten des Lokalparlaments, der seine Bekanntheit der maßgeblich von ihm initiierten homophoben Gesetzgebung verdankt. Es lohnt ein Blick auf die Verfassung der »Donezker Volksrepublik« (DNR), um die politische und ideologische Nähe zu nationalkonservativen Kräften deutlich zu machen.

Die DNR erklärt sich darin zum Sozialstaat, der sich als »unabdingbarer Bestandteil der russischen Welt und Zivilisation« begreift und auf konservativen Werten wie dem Schutz der traditionellen Familie fußt. In Artikel zwölf ist festgeschrieben, dass alle Rechte und Freiheiten des Menschen ab der Zeugung gelten. Damit ist die Rolle der Frau hinreichend definiert. Als ideelle Grundlage und systembildende Säule der russischen Welt wird der orthodoxe Glaube im Sinne des Moskauer Patriarchats aufgefasst, der gleichzeitig de facto als Staatskonfession gilt. Als souveränes Staatsgebilde strebt die DNR »die Wiederherstellung eines einheitlichen kulturellen zivilisatorischen Raums der russischen Welt an« mit einer klaren Beitrittsperspektive zu Russland.

Die Verfassung der »Lugansker Volksrepublik« hingegen kommt ohne die Festlegung einer Konfession aus und schreibt Rechte erst ab der Geburt zu.

Bislang jedoch werden soziale Garantien ausschließlich von der Kiewer Regierung erfüllt. Von dort erfolgt die Überweisung der Renten und Löhne für Angestellte im staatlichen Sektor. Allerdings besetzten in Donezk am Montag bewaffnete Rebellen die örtliche Niederlassung der Zentralbank. »Wir wollen, dass die Steuereinnahmen hier bleiben, anstatt nach Kiew zu fließen«, sagte ein Bewaffneter gegenüber AFP. Die Kiewer Regierung kann damit den Staatsbediensteten in Donezk kein Gehalt mehr zahlen. Auch die Gewerkschaften versprechen sich von den neuen lokalen Machthabern wenig. Die Bergarbeiter, einst wichtige Akteure in der Region, sind gespalten. Nach Schätzungen der Gewerkschaften unterstützen zwischen zehn und 15 Prozent der im Bergbau Beschäftigten die Aufständischen oder beteiligen sich gar an den bewaffneten Auseinandersetzungen. Einige bezahlten dafür mit ihrem Leben.

Michail Wolynez, der Vorsitzende der unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft, sieht die Strategie der Aufständischen darin, den Bergbau in der Region komplett lahmzulegen. Immer wieder kommt es zur Beschlagnahmung von Sprengstoff durch maskierte und bewaffnete Gruppierungen. Aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen sei es schwierig, Bergarbeiter für öffentliche Protestaktionen zu mobilisieren, schließlich zögern die Anhänger der Volksrepubliken nicht, von ihren Waffen Gebrauch zu machen. Aber es gibt auch wenige positive Beispiele, wie einen Streik in Krasnodon im Gebiet Lugansk im April, bei dem streikende Arbeiter mit Patrouillen im Ort für Gewaltprävention gesorgt haben.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2014/25/50069.html

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