Stefania Kulajewa vom Antidiskriminierungszentrum Memorial kämpft für Romakinder und gegen die Behörden
Erstmals wird an diesem Montag zur Erinnerung an die Ermordung der Menschenrechtler Stanislaw Markelow und Anastasia Baburowa in St. Petersburg eine Demonstration anstelle einer Kundgebung stattfinden. Die lokalen Behörden tun sich mit der Genehmigung einer öffentlichen antifaschistischen Veranstaltung noch schwerer als in Moskau. Dass die Stadt nun ihre Zustimmung erteilt hat, ist nicht zuletzt das Verdienst von Stefania Kulajewa und der von ihr geleiteten Organisation, dem Antidiskriminierungszentrum Memorial (ADZ).
Als Antifaschistin setzt sich Stefanie Kulajewa seit vielen Jahren für die Rechte von Minderheiten ein und kritisiert deren allgegenwärtige Diskriminierung. Im Fokus stehen Roma, Migranten und Flüchtlinge, aber auch Menschen mit Behinderungen. Sie beschränkt sich nicht auf juristischen Beistand und Lobbyarbeit. Es geht ihr ebenfalls um die Vermittlung historischer Zusammenhänge und Aufklärung über den Nationalsozialismus. Konsequente Kritik der extremen Rechten ließ sie ins Visier von Petersburger Neonazigruppierungen geraten. Drohungen waren die Folge. Einschüchtern lässt sie sich nicht.
Staatliche Stellen behindern die Arbeit des Zentrums. Einem Eintrag als »ausländischer Agent« entging das ADZ nur durch die Streichung aus dem Vereinsregister. Auf Partner und auch Nutznießer der Arbeit des ADZ hat diese Brandmarkung abschreckende Wirkung. So wurden Roma einer Siedlung im Leningrader Gebiet unter Androhung, ihre Wohnhäuser abreißen zu lassen, von der lokalen Verwaltung zu einer Denunziation genötigt. Darin bitten die Unterzeichner, sie vor den »Angriffen des ADZ« in Schutz zu nehmen.
Diese allerdings bestanden viele Jahre lang in dem engagierten Einsatz, die Bildungschancen für Romakinder im Gebiet zu verbessern. Die Schule vor Ort unterrichtet russische Kinder im Hauptgebäude, während die Kinder aus der nahe gelegenen Romasiedlung in einem dafür völlig ungeeigneten, baufälligen Gebäude abgeteilt von den restlichen Schülern bestenfalls fünf Schulklassen abschließen können. Kein einziger Schüler der Roma-Klassen hatte bislang auch nur theoretisch die Möglichkeit einen vollwertigen Mittelschulabschluss zu machen. Mit den Protesten einiger Eltern aufgrund dieser skandalösen Bildungspraxis müssen sich die Behörden vorerst nicht mehr auseinandersetzen.
Besonders setzt sich Stefanie Kulajewa gegen die »Diskriminierung von Kindern und Verstöße gegen ihre Rechte« ein, wie sie im Gespräch mit »nd« sagt. »Die ohnehin schon vorhandene rechtliche Benachteiligung von Kindern wird durch deren Minderjährigkeit noch verschärft.« Dazu kommt, dass nach Aussagen der Leiterin der St. Petersburger Migrationsbehörde, Jelena Dunajewa, Kinder von Migranten in ihrer Stadt unerwünscht seien. Schließlich sind Arbeitskräfte gefragt, keine Kinder. Dem entspricht die Praxis der Behörden. Die Gesetze lassen ihnen genügend Spielraum, um eines nicht zu tun: dem Wohl des Kindes zu dienen.
Wo sich schon erwachsene Migranten schwertun, den sich ständig verschärfenden gesetzlichen Aufenthaltsbestimmungen nachzukommen, sind für Minderjährige eigene Bestimmungen gar nicht erst vorgesehen. Oder aber es handelt sich um interne Regelungen, die von den Behörden nicht eingehalten werden.
Wie im Fall der sich legal in Russland aufhaltenden usbekischen Staatsbürgerin Juldus A., die sich bemühte, den Aufenthalt ihrer schulpflichtigen Kinder entsprechend ihrer eigenen Aufenthaltsberechtigung zu verlängern. Sie wurde trotz schriftlicher Aufforderung, einen Antrag zu stellen, mit einer mündlichen Absage abgespeist.
Viel zu tun hat das ADZ auch mit der illegalen Festnahme minderjähriger ausländischer Kinder, denen ein Vergehen gegen das Aufenthaltsgesetz vorgeworfen wird. Aus St. Petersburg werden jährlich bis zu 40 Abschiebungen Minderjähriger vollzogen. Gelegentlich gelingt es dem ADZ, trotz widriger Umstände Kinder aus der Haft rechtzeitig freizubekommen. Aber für ein grundsätzliches Problem gibt es bislang keine Lösung: »Wer vertritt Kinder vor Gericht, wenn ihre Eltern nicht über einen legalen Aufenthaltstitel verfügen und ansonsten nur der Staat in Frage kommt, der daran jedoch überhaupt kein Interesse hat?«, fragt Stefania Kulajewa. Bündnispartner sind rar. Dafür gibt es für sie umso mehr Gründe zum Weitermachen.
Ute Weinmann