In Russland werden die Gesetze gegen angebliche Repräsentanten fremder Mächte immer weiter verschärft.
Wer Agent einer fremden Macht ist, sollte in der Regel wissen, in wessen Auftrag er tätig ist. Doch scheint es auch Ausnahmen zu geben. Eine sowjetische Anekdote über Sicherheitsmaßnahmen in militärisch relevanten Forschungseinrichtungen verschiedener Länder kam seinerzeit zu dem Schluss, dass in Großbritannien oder Frankreich durchaus recht hohe Geheimhaltungsstufen üblich seien. So besaßen einzelne Abteilungen oder Mitarbeiter keine Kenntnis über den Forschungsinhalt der jeweils anderen. Die Sowjetunion bliebe indes unübertroffen, denn da wüssten die Mitarbeiter nicht einmal, womit sie sich selbst beschäftigten.
Dmitrij Simin, dessen Forschungsstiftung Dinastija nach Ansicht des russischen Justizministeriums die »Funktion eines ausländischen Agenten erfüllt« – so die offizielle Formulierung –, entspricht jedenfalls weder den klassischen noch den gesetzlich geregelten Kriterien.
In wessen Diensten Simin steht, bleibt das Geheimnis der Behörden. Mit seiner Firma Wympelkom, die die Telekommunikation und Mobilfunkbranche in Russland entscheidend beeinflusst hat, gelang es Simin in den neunziger Jahren, ein Vermögen anzuhäufen. Seine Gewinne steckte er zu einem nicht geringen Teil in die Förderung von Grundlagenforschung, er unterstützte junge Wissenschaftler und sorgte dafür, dass durch die Verbreitung populärer Wissenschaftsliteratur das Interesse für Naturwissenschaften in der Gesellschaft erhalten blieb.
Am 27. Mai erfolgte dann der Eintrag der Stiftung Dinastija ins Register sogenannter ausländischer Agenten. Demnach sehen es die russischen Behörden als erwiesen an, dass sich die Organisation »politisch« engagiert und gleichzeitig Fördermittel aus ausländischen Quellen erhält, denn beide Voraussetzungen müssen erfüllt sein. Schon der Begriff des »Politischen« wirft Fragen auf, noch verwirrender wird es allerdings beim Vorwurf der ausländischen Finanzierung. Denn Dinastija finanziert sich ausschließlich aus dem Vermögen ihres Gründers Dmitrij Simin, der russischer Staatsbürger ist. Wie viele andere reiche Russen zieht er es jedoch vor, sein Geld auf Konten im Ausland zu lagern. In seinem Fall reichte das für den Agentenstatus. Präsident Wladimir Putin forderte eine eingehende Prüfung, das Justizministerium weigert sich dennoch, seine Entscheidung rückgängig zu machen.
Das Label eines staatlich geprüften ausländischen Agenten dürfen sich in Russland derzeit 68 nichtkommerzielle Organisationen zuschreiben, darunter insbesondere solche, die sich mit heiklen Menschenrechtsfragen wie beispielsweise Folter durch Polizisten befassen. Gleichzeitig sind noch Verfahren gegen jene anhängig, die sich trotz gerichtlicher Aufforderung nicht in das Register eintragen ließen, auch wenn das Justizministerium längst den Eintrag vornehmen darf und von dieser Befugnis regen Gebrauch macht. Zwar schöpfen die Behörden noch längst nicht alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Gängelung missliebiger Organisationen aus, dafür gibt es immer wieder neue Überraschungen. So veröffentlichte das Justizministerium jüngst auf seiner Internetseite Rechenschaftsberichte »ausländischer Agenten«, die nicht mit den von den betreffenden Organisation eingereichten übereinstimmen. Das könnte eine Geldstrafe von 5 000 Euro nach sich ziehen – zusätzlich zu den zuvor bereits angefallenen Bußgeldern. Immerhin zahlt sich ein Streit vor Gericht gelegentlich aus, und sei es nur, um Auseinandersetzungen durch Klagen und Rechtsbeschwerden in die Länge zu ziehen. Anfang Mai revidierte ein Gericht die zuvor wegen Nichteintragung ins Register verhängte Strafzahlung gegen die Petersburger Menschenrechtsorganisation »Bürgerkontrolle« wegen Verjährung.
Die Mühlen der Bürokratie mögen oft langsam mahlen, aber allein schon wegen der klaren Prioritäten werden sie nicht stillstehen. Im März erläuterte Wladimir Putin vor Angehörigen des Inlandsgeheimdienstes FSB einige Thesen über russische Sicherheitsinteressen. Ein Punkt betraf die Nutzung und Beeinflussung nichtkommerzieller Organisationen durch westliche Geheimdienste mit dem Ziel, die russische Führung zu diskreditieren. Der Präsident habe von Aktionen Kenntnis erhalten, die für die Zeit der Wahlkämpfe 2016 und 2018 geplant seien. Ein eindeutiges Signal. In der Duma liegt derzeit ein Gesetzentwurf vor, der staatlichen Stellen die Zusammenarbeit mit sogenannten ausländischen Agenten verbieten soll. Ein anderes Gesetz wurde bereits verabschiedet und ist am 3. Juni in Kraft getreten. Darin geht es um »unerwünschte ausländische Organisationen«, also um das Pendant zu den russischen »Agenten«.
Aber das Gesetz ist wesentlich weiter gefasst und enthält einige perfide Aspekte. Kriterien für ein Verbot lokaler Filialen sind eine Bedrohung der verfassungsrechtlichen Ordnung, der Verteidigungsfähigkeit und der Sicherheit Russlands. Die Staatsanwaltschaft trifft die Entscheidung über den Eintrag ins Register ohne gerichtliche Prüfung in Absprache mit dem russischen Außenministerium. Banken müssen in solchen Fällen die Konten ihrer betroffenen Klienten kündigen, Medien, auch das Internet, dürfen zur Informationsverbreitung dann nicht mehr genutzt werden, andernfalls droht neben einer Geldstrafe ein Freiheitsentzug bis zu sechs Jahren.
Ohnehin besteht bereits die Option ausländische Organisationen zu schließen, was die Behörden im Fall der International Crisis Group im vergangenen Jahr genutzt haben. Die bisherigen Mittel reichen den Gesetzgebern jedoch nicht aus. Das neue Gesetz kann auch auf Unternehmen angewandt werden. Alexander Tarnawskij von der Partei »Gerechtes Russland«, einer der Autoren dieses Gesetzes, betonte, dass bislang eine solche Möglichkeit noch nicht gegeben war. »Als die antirussischen Sanktionen einsetzten, beschlossen wir diese Lücke zu schließen«, sagte er in einem Interview. Sollte sich herausstellen, dass der rasante Ölpreisverfall auf ein Komplott gegen Russland zurückzuführen sei, müsste ausländischen Konzernen der Zugang zum russischen Markt verwehrt bleiben. Noch darf gerätselt werden, wer die erste Organisation auf der neuen Liste sein wird. Die kommunistische Partei KPRF hat mit der Forderung nach einem Verbot der Soros Foundation bereits einen Anfang gemacht. Bei ausländischen Unternnehmen hingegen will man offenbar Vorsicht walten lassen.
Verbote liegen im Trend, dasselbe gilt für das Hüten von Geheimnissen. Das klappt nicht immer so wie vorgesehen, wie die sich häufenden Hinweise auf eine russische Militärpräsenz im ukrainischen Donbass zeigen. Nach wie vor leugnet die russische Regierung hartnäckig eine direkte Beteiligung und ergreift Maßnahmen, um die Informationsbeschaffung zu behindern. Per Dekret ließ Putin Ende Mai Todesfälle bei den Streitkräften im Rahmen von Sondereinsätzen in Friedenszeiten zum Staatsgeheimnis erklären.
Vermutlich ist diese Initiative eine Reaktion auf die Veröffentlichung eines Berichts über die russische Verantwortung für den Krieg in der Ukraine, den zu erstellen der im Februar ermordete Oppositionspolitiker Boris Nemzow begonnen hatte, den er aber nicht mehr fertigstellen konnte. Darin sind Zahlen enthalten, die aus offen zugänglichen Quellen und von Verwandten im Donbass ums Leben gekommener Soldaten stammen. Angehörige werden sich nun wohl noch schwerer tun, mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit zu gehen. Selbst von zwei in der Ukraine festgenommenen Soldaten eines russischen Spähtrupps, die dort ein Prozess wegen Terrorismus erwartet, haben sich deren Familien distanziert.
Ute Weinmann