Unlautere Geber

Nicht nur Griechenland, auch die Ukraine fordert einen Schuldenschnitt.

Ist der Staat pleite, haften seine Bürger. Das erleben Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer bereits seit Monaten. Allein im ersten Halbjahr 2015 stiegen die Lebenshaltungskosten um 40 Prozent, bei sinkenden Löhnen. Europaweit ist die Ukraine bei den Einkommen ganz unten angekommen, selbst im benachbarten Moldawien verdienen die Menschen mehr. Der ukrainische Gewerkschaftsverband geht davon aus, dass von 26 Millionen Einwohnern im arbeitsfähigen Alter gerade einmal neun Millionen Arbeitnehmer einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen. Die Wirtschaft liegt am Boden und im Südosten des Landes herrscht Kriegszustand. Höchste Zeit für populistische Maßnahmen.

Anfang Juli stimmte das Parlament, die Rada, mit knapper Mehrheit einem Gesetz zu, das die Rückzahlung in ausländischer Währung aufgenommener Verbraucherkredite zum bei Vertragsabschluss geltenden Kurs vorsieht. Der wird allerdings festgelegt: 5,05 Hrywnja für einen US-Dollar. Der derzeitige Wechselkurs beträgt 21 Hryw­nja pro US-Dollar. Den Schuldnern kommt der Staat damit entgegen, das ukrainische Bankensystem könnte allerdings ins Schleudern geraten, warnen Kritiker. Auch Finanzministerin Natalija Jaresko sprach sich gegen das Gesetz aus. Einige Abgeordnete aus unterschiedlichen Fraktionen, die für das Gesetz gestimmt hatten, gaben sich nach der Verabschiedung empört. Das sei ein großer Fehler gewesen, sie hätten nicht gewusst, dass es bei der Abstimmung bereits um eine endgültige Zusage ginge, und würden ihre Stimme noch am nächsten Tag widerrufen – was in der ukrainischen Gesetzgebung gar nicht vorgesehen ist.

Das Verhalten der Parlamentarier illustriert nur allzu gut die politischen Verhältnisse in der Ukraine. Dabei fällt auf, dass Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk nicht einmal mehr in den eigenen Reihen mit festem Rückhalt rechnen kann. Für das von ihm lancierte Gesetzesprojekt stimmte weniger als die Hälfte der Abgeordneten seiner Partei »Volksfront«. Wegen einer drohenden Staatspleite steht er unter enormem Handlungsdruck, auch wenn sich sein Kabinett und das Finanzministerium recht gelassen geben.

Bereits im Mai kam die Regierung unter Jazenjuk zu dem Schluss, dass die vorhandenen Mittel nicht für eine termingerechte Schuldentilgung ausreichten. Mit überwiegender Mehrheit der Stimmen verabschiedete die Rada daraufhin ein Gesetz, das die Aussetzung der Rückzahlung staatlicher Auslandsschulden an private Kreditgeber ermöglicht. Die ukrainische Regierung ­behält sich eine Umstrukturierung der Schuldentilgung vor und sollte kein gegenseitiges Einvernehmen erreicht werden, kann sie ihre Zahlungsunfähigkeit geltend machen. Es handele sich bei dem Gesetz, so die ukrainische Regierung, um eine Schutzmaßnahme vor unlauteren Geldgebern. Zu diesen zählt offenbar Russland. Denn von der neuen Regelung ist auch ein russischer Sonderkredit von Ende 2013 in Höhe von drei Milliarden US-Dollar betroffen. Mit dem Kauf von Staatsanleihen honorierte der Kreml damals die Ablehnung des Assoziierungsabkommens mit der EU durch den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Der Großteil der Auslandsschulden geht auf dessen Konto, darin sieht die Regierung eine Legitimierung, einen Schuldenschnitt von 40 Prozent einzufordern. Der Internationale Währungsfond und die EU üben sich bislang in Nachsicht.

Ute Weinmann

Jungle World

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