«Mit Gruß an den Islamischen Staat»

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Mephistopheles hat die Russische Revolution, die stalinistischen Säuberungen, die Leningrader Blockade und den Einzug des wilden Kapitalismus in den 1990er Jahren überstanden. Mit seinem diabolischen Lächeln blickte er wissend auf die Stadt hinab, dass ihm niemand etwas anhaben kann, und die Leningrader und Petersburger Bevölkerung schaute zu ihm auf. Doch damit ist nun Schluss. Petersburger Kosaken haben dem Satan den Garaus gemacht. Erst haben sie das Relief an der Fassade unter dem Dach des vor über hundert Jahren erbauten sechsstöckigen Wohnhauses fotografiert und schließlich einen Arbeiter mit Werkzeug nach oben geschickt, um Mephistopheles Antlitz von der Wand zu schlagen. Seine Überreste landeten im Müll. Ein Petersburger Blogger kommentierte den Vorfall lakonisch: „Mit Gruß an den Islamischen Staat“.

Vermutlich hätte sich auch weiterhin niemand an der Petersburger Lokalattraktion an jener Häuserfassade gestört, befände sich nicht genau gegenüber eine Baustelle. Und zwar nicht irgendeine. Anstelle eines Spielplatzes und eines Fluchtweges im Brandfall entsteht dort eine orthodoxe Kirche. Erst vor wenigen Tagen wurde auf dem Rohbau ein Kreuz angebracht – gegen den Widerstand der „Figur des Teufels“. Der Autor des Bekennerschreibens mokiert sich darüber, dass in Reiseführern auf diesen Umstand speziell hingewiesen würde, wo sonst findet sich die Verkörperung des Bösen in unmittelbarer Nähe eines Gotteshauses? Man habe im Übrigen nichts dagegen die Eremitage zu bewachen, dort befänden sich schließlich „echte“ Kulturgüter. Die Orthodoxe Kirche äußerte ihr Verständnis für die Tat und forderte mildernde Umstände bei der Bestrafung ein, schließlich sei einem Gläubigen grundsätzlich die Darstellung des Dämonen zuwider.

Der Vergleich mit dem IS mag weit hergeholt sein, denn die Orthodoxen in Russland bleiben auf der Ebene des Kulturkampfes stehen und treten keinesfalls als blutrünstige Machthaber an. Durch Zugeständnisse des Staates erweitern sich ihre Handlungsfreiheiten jedoch zusehends, und das machen sich diverse radikale Zusammenhänge gnadenlos zunutze. Mitte August zerstörte Enteo, mit bürgerlichem Namen Dmitrij Tsorionow, mit weiteren orthodoxen Moralwächtern seiner Gruppe „Gottes Wille“ mehrere Exponate einer Ausstellung sowjetischer Underground-Künstler in der Manege, einem staatlichen Museum direkt von den Kreml-Mauern. Betroffen waren insbesondere Arbeiten des Bildhausers Wadim Sidur, dessen Skulptur „Den Opfern der Gewalt“ im Zentrum von Kassel steht. Sidur habe laut Enteo mit seinen „blasphemischen“ Kreuzigungsdarstellungen die Gefühle Gläubiger verletzt, die per entsprechendem Paragraf im russischen Strafgesetzbuch geschützt werden müssten. Allerdings komme der Staat seinen Aufgaben nicht nach, weshalb die Gläubigen, als deren Sprecher Enteo sich versteht, in einem „Schrei der Verzweiflung“ ihren Gefühlen freien Lauf ließen. Ins Visier der Strafverfolgungsbehörden gerieten jedoch nicht allein die Angreifer, überprüfen will die Staatsanwaltschaft auch die Veranstalter. Enteo durfte dies als Aufforderung auffassen im gleichen Stil fortzufahren. Die zweite Attacke auf die Ausstellung ließ demgemäß nicht lange auf sich warten.

Straffrei gehen sicherlich auch orthodoxe Schläger der orthodoxen Bewegung „Vierzig mal Vierzig“ aus, die bereits mehrere Male Aktivisten einer Anwohnerinitiative gegen den Bau einer Kirche in einem öffentlichen Park im Moskauer Nordosten und sogar lokale Abgeordnete attackiert haben. Im Netz kursieren Fotos, die deren Anführer Andrej Kormuchin gemeinsam mit Patriarch Kyrill zeigen, was zu Spekulationen Anlass gab, die prügelfreudigen Orthodoxen könnten womöglich als eine Art Spezialgarde im Auftrag des russischen „Vertreter Gottes auf Erden“ ihr Unwesen treiben. Kyrill hat das kaum nötig. Um die Zeichen der Zeit zu deuten, braucht es heutzutage nicht einmal viel Verstand. Es reicht, seine religiösen Gefühle, soweit vorhanden, ein wenig aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen.

Ute Weinmann

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