Zwar hat Russland 1993 die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert, an der Umsetzung hapert es jedoch. Im vergangenen Jahr veröffentlichte das Civic Assistance Committee dazu einen über 300 Seiten umfassenden Bericht. Die Moskauer Nichtregierungsorganisation berät und unterstützt Flüchtlinge seit über 25 Jahren. Ihre Schlussfolgerung fällt eindeutig aus: Russland kommt seinen Verpflichtungen nicht nach.
Im November teilte die russische Migrationsbehörde mit, dass seit Beginn des Bürgerkriegs etwa 2000 syrische Flüchtlinge in Russland Asyl erhalten haben. Insgesamt halten sich nach Schätzungen der Behörde etwa 12 000 syrische Staatsbürger im Land auf, weniger als 5000 verfügen über einen anderen Aufenthaltstitel, der Rest ist illegal. Kreml-Pressesprecher Dmitrij Peskow machte zuvor deutlich, dass Russland lediglich für den Transit syrischer Flüchtlinge zur Verfügung stehe. Von Murmansk über die sogenannte Nordroute gelangten bis Anfang 2016 über 5000 Menschen aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern nach Norwegen.
Für Aufsehen sorgte ein Fall syrischer Kurden, die über zwei Monate in der Transitzone des Moskauer Flughafens Scheremetjewo festsaßen. Am 10. September 2015 kamen Hassan Achmad Abdo, seine Frau Gulistan Schao Issa und ihre vier Kinder in Moskau an. Die Grenzbeamten ließen sie nicht einreisen und behaupteten, die Pässe seien gefälscht. Obwohl die syrischen Behörden deren Echtheit bestätigten, verurteilte im November ein Moskauer Gericht die Familie zu einer geringen Strafe von 150 Euro. Die russische Gesetzgebung gewährt keine Straffreiheit für ohne gültige Papiere eingereiste Asylbewerber. In der Zwischenzeit wurde ihr Antrag abgelehnt. Dank ihrer Anwältin Rosa Magomedowa vom Civic Assistance Committee befinden sie sich wieder im Asylverfahren, aber ihr Optimismus hält sich in Grenzen.
«In meiner Praxis haben syrische Flüchtlinge bestenfalls einen vorübergehenden Asylstatus für ein Jahr bekommen», sagt Rosa Magomedowa. «Bei gleicher Sachlage entscheiden die Behörden in einem Fall für den Antragsteller, im anderen dagegen.» Das russische Asylrecht sieht zwei Aufenthaltstitel für Flüchtlinge vor: politisches Asyl und einen vorübergehenden Status. Laut der letzten offiziellen Statistik mit Stand vom 1. Oktober 2015 sind bei der Migrationsbehörde nur zwei syrische Staatsbürger mit einem festen Asylstatus gemeldet. Alle anderen müssen jährlich eine Verlängerung beantragen und erhalten dann häufig eine Ablehnung. Dass in Syrien Krieg herrscht, nehmen die Gerichte nur selten zur Kenntnis.
Wer die Einreise mit einem gültigen Visum gemeistert hat benötigt oft Wochen oder Monate bis zur Antragstellung. Informationen über das Asylverfahren sind kaum erhältlich, zumal auf Arabisch, die Schlangen bei der Behörde sind lang. Etwa 150 syrische Flüchtlinge wandten sich seit letzten September an das Civic Assistance Committee, weniger als in den Monaten zuvor. Nur 15 haben einen vorübergehenden Asylstatus erhalten. Ablehnungen erfolgen nach der Asylprüfung oft innerhalb von zwei Tagen, aber bis es überhaupt soweit kommt müssen sich Flüchtlinge über Monate mit einer einfachen Bescheinigung der Migrationsbehörde zufrieden geben. Am 10. Februar nahm die Polizei im etwa 75 Kilometer östlich von Moskau gelegenen Noginsk einen syrischen Mann fest, weil er nur über eine solche Bescheinigung verfügte, nicht aber über einen Asylstatus. Mit einem Elektroschocker malträtierten Polizisten den Syrer und ließen ihn erst wieder frei, nach dem sich die Moskauer Flüchtlingsorganisation eingeschaltet hatte.
Wer Pech hat landet ganz ohne Papiere bei der Polizei. «Eine Ausweisung können wir nur verhindern, wenn wir rechtzeitig Bescheid erhalten und unsere Anwälte sich einschalten», kommentiert Leyla Rogosina, die Leiterin der Beratungsstelle beim Civic Assistance Committee. Trotz Bemühungen konnten aber auch sie im vergangenen Jahr in einem Fall die Ausweisung eines jungen Syrers nicht verhindern. Bezeichnenderweise handelte es sich bei dem Mann um den Neffen eines Kommandanten der syrischen Oppositionsarmee.
Ute Weinmann