Russische Medien und die staatliche Propaganda behaupten, dass der Einsatz in Syrien die eigenen Bürger schütze.
Kriegsfetischisten kommen in Russland seit Herbst voll auf ihre Kosten. Syrien hat seit dem Eingreifen russischer Luftstreitkräfte den ukrainischen Donbass als Hauptthema im Fernsehen zu weiten Teilen abgelöst. Nach offizieller Lesart findet in der Ukraine ja überhaupt kein russischer Militäreinsatz statt. Demnach lässt sich die russische Präsenz dort eher als eine Art Freundschaftsdienst für Ukrainer interpretieren, die keine sein wollen. Und wo seinerzeit Tod und Elend im Donbass die Berichterstattung geprägt hatten, blendet das russische Staatsfernsehen die verstörenden Bilder ziviler Opfer im Syrien-Krieg einfach aus. Zudem muss Russland seine Militärpräsenz in Syrien nicht verstecken, schließlich fliegen dort auch Franzosen und Amerikaner Einsätze. Es ist eben ein »echter« Krieg gegen einen bedrohlichen Gegner, den »Islamischen Staat« (IS). Und ein »sauberer« noch dazu.
Neue Gegner, ja Feinde – denn dieses Wort hat sich im russischen Sprachgebrauch fest etabliert – tauchen in der Berichterstattung häufig unvermittelt auf und wechseln, so scheint es gelegentlich, fast beliebig. Seit die Türkei bei der russischen Führung in Ungnade gefallen ist, würde es wohl kaum jemanden verwundern, wenn es zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der Türkei käme. Nach dem Vorstoß von Truppen des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad Richtung türkischer Grenze, der von russischen Jets begleitetet wird, wollen Militärbeobachter dies zumindest nicht mehr ausschließen. Äußert sich die Uno kritisch zum türkischen Vorgehen, wie jüngst aufgrund andauernden Artilleriebeschusses gegen syrische Kurden, sind die russischen Staatsmedien voller Meldungen. Auch finden sich Mitteilungen, dass mit Unterstützung Russlands zur Verfügung gestellte humanitäre Hilfsgüter in syrische Städte und Dörfer transportiert werden. Russland ist schließlich eine Friedensmacht.
Anfangs mussten die russischen Fernsehzuschauer erst auf die Notwendigkeit eines russischen Militäreinsatzes in Syrien eingestimmt werden. Noch immer wirken die sowjetischen Erfahrungen im Afghanistan-Krieg in der russischen Gesellschaft nach und erzeugen Skepsis angesichts eines womöglich sich wiederholenden Afghanistan-Szenarios. Zahlreiche Berichte von erfolgreichen Luftangriffen russischer Kampfjets in Syrien, Versprechungen, wonach die Militäroperation zeitlich begrenzt und zudem kein Einsatz von Bodentruppen vorgesehen sei, keine zusätzlichen Haushaltsmittel verschlinge, und die Beteiligung an einer internationalen Mission gegen den Terrorismus reichten jedoch bislang aus, um die Gemüter zu beruhigen.
Als besonders schlagkräftig erwies sich das Argument, Russland schütze so seine Bürger vor möglichen Anschlägen aus Syrien zurückkehrender Jihad-Kämpfer. Es kursieren Zahlen von bis zu 7 000 aus den ehemaligen Sowjetrepubliken stammenden IS-Anhängern, die sich in Syrien und im Irak befänden. In dieser Woche veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum die Ergebnisse seiner jüngsten Umfrage zum Thema Syrienkrieg. 53 Prozent der Befragte werten den russischen Militäreinsatz als Präventionsmaßnahme gegen die Bedrohung durch Jihadisten in Russland. Weniger als ein Viertel der Befragten denkt hingegen, das Ziel sei es, den Sturz Bashar al-Assads durch die von den USA angeleitete »farbige Revolution« zu verhindern.
Nach den Terroranschlägen vom November 2015 in Paris vermeldeten Psychologen in Russland immer mehr Anfragen verängstigter Bürger. Der Terror scheint überall zu lauern und diverse Vorfälle im Land dürften vorhandene Ängste zusätzlich schüren. Anfang Februar wurden in Jekaterinburg sieben mutmaßliche IS-Mitglieder festgenommen. Sie sollen Anschläge in Moskau, St. Petersburg und in der größten Stadt des Ural geplant haben. Sie seien von einem aus der Türkei stammenden Mann angeleitet worden und wollten sich nach Angaben des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB nach erfolgreicher Umsetzung ihrer Vorhaben nach Syrien absetzen. Eine Woche später kamen in der russischen Kaukasus-Republik Dagestan zwei Straßenpolizisten bei einer Sprengstoffexplosion ums Leben, hinter dem ebenfalls der IS stehen soll. An Dauerkriegsberichterstattung sind russische Medienkonsumenten gewöhnt. In Zeiten hoher Ölpreise war noch häufig die Rede von Modernisierung und grandiosen Projekten, seit dem Aufflammen der Kämpfe im Donbass 2014 aber paaren sich Spaß und Unterhaltung mit Nachrichten von der Front. Selbst der harmlos daherkommende Wetterbericht schweift schon mal ab und prognostiziert im Einsatzgebiet russischer Militärflugzeuge in Syrien hervorragendes Flugwetter. So war es etwa Anfang Oktober 2015 im Fernsehsender »Rossija 24«. Die russische Propagandamaschinerie erfüllt ihren Zweck, der jedoch weniger in der Kriegsverherrlichung als solcher besteht, wenngleich in Siegerpose vorgetragene Parolen von der Großmacht Russland, wie sie in unzähligen Talk-Shows zu hören sind, durchaus Effekte erzielen. Im Vordergrund der Medienberichterstattung steht vielmehr die gezielte Desorientierung der Fernsehzuschauer, denn das Fernsehen ist und bleibt die Hauptinformationsquelle für russische Bürger. Sich gegenseitig ausschließende Aussagen sind fester Bestandteil der Medienrealität. Dort geht das Feindbild »Westen« einher mit der Darstellung westlicher Staaten als Partner, mal ist die Rede von »ukrainischen Nationalisten«, mal wird der Ukraine als Nation gänzlich die Existenzberechtigung abgesprochen. In den vergangenen fünf Jahren ist das Vertrauen in das Fernsehen stark gesunken und es gilt als Allgemeingut, dass Medien und Institutionen Lügen verbreiten.
Auch wenn über die Hälfte der russischen Bevölkerung den russischen Kampfeinsatz generell befürwortet, bleibt Syrien durch seine geographische Entfernung eine eher abstrakte Größe und weist auch nicht annähernd das Mobilisierungspotential des nach wie vor schwelenden Konflikts mit dem westlichen Nachbarn Ukraine auf. Betroffenheit bleibt aus und anders als in Europa machen sich syrische Flüchtlinge in Russland kaum bemerkbar. Gerade mal 2 000 Syrer haben dort einen zeitlich begrenzten Asylstatus erhalten. Flüchtlinge sollen in den Westen gehen, der trage schließlich die Verantwortung für das syrische Desaster, heißt es. An nennenswerte Proteste ist vor diesem Hintergrund nicht zu denken, zumal sich diese automatisch gegen Präsident Wladimir Putin richten würden. Viele Menschen eint immer noch die diffuse Hoffnung, dass er irgendwie alle Probleme im Land lösen wird.
Ute Weinmann