Recht russisch

Warum Putin für den Rechtspopulismus so attraktiv ist

Russland wird zentral und autoritär von Präsident Putin geführt. Ökonomisch herrscht ein Mischsystem aus einem starken öffentlichen Sektor und neoliberaler Wirtschaftspolitik. Die Staatsideologie ist konservativ bis nationalistisch ausgeprägt. Es ist genau diese Mischung, die Russland zum Vorbild für RechtspopulistInnen aus aller Welt macht.

Versuche, Außenstehenden das russische Herrschaftssystem unter Präsident Wladimir Putin begreiflich zu machen, sind eine undankbare Aufgabe. Selbst in unmittelbaren Nachbarstaaten besteht Unverständnis angesichts des raschen gesellschaftlichen Wandels in Russland, dessen aggressive Komponente insbesondere die Ukraine zu spüren bekommt. Mit dem Wort Rechtspopulismus lässt sich die gegenwärtige Verfasstheit nur ungenügend beschreiben.

Formal entspricht Russland den Kriterien einer parlamentarischen bürgerlichen Demokratie mit einer auf die Macht des Präsidenten zugeschnittenen Verfassung. Die Arbeit der politischen Institutionen imitiert jedoch eher rechtsstaatliche Verhältnisse. Weder existiert eine unabhängige Gerichtsbarkeit, noch eine eigenständige Legislative. Die Exekutive orientiert sich an den Vorgaben und Freiräumen, welche die Präsidialadministration vorgibt. Wahlen geraten nicht allein aufgrund von Wahlfälschungen zur Farce. Die Einteilung in regierungstreue, für das System akzeptable und in den Prozess der Machtausübung integrierte Oppositionsparteien einerseits und geduldete Außenseiter andererseits sind kein Ausdruck politischer Willensbildung. Vielmehr gehen Entscheidungen über die Zusammensetzung des Machtapparates und somit auch über die Zulassung oppositioneller Kräfte auf die oberste politische Führung zurück.

Putins Regime …

Diese Konstellation führt auch zu Konsequenzen hinsichtlich der Rolle und Funktion von Parteien. So ist die Hauspartei des Kremls „Einiges Russland“ lediglich ein ausführendes Machtinstrument, aber keine Ideologie generierende Struktur. Entsprechende Impulse gehen von Putin aus, der sich jedoch für deren Artikulierung und für gesellschaftspolitische Debatten (oder deren Anschein) vorzugsweise der 2011 auf seine Initiative hin gegründeten „Allrussischen Volksfront“ (ONF) bedient. Die ONF vereinigt zahlreiche Gruppen und Verbände von Gewerkschaften bis zur Frauenunion, die sich durch eine absolute Loyalität zur Staatsmacht auszeichnen. Formal decken sie ein breites Themenspektrum ab. Differenzen überwinden durch das Vorgaukeln der Einheit von Staat und Volk – das ist das Credo.

Russland wird von etlichen europäischen Linken gerne als positives Gegenmodell zur oligarchisch organisierten Ukraine gesehen. Dabei verkörpert Putin de facto die russische Gesamtoligarchie, zu der als größte Profiteure auch langjährige Mitstreiter Putins wie der Chef des Erdölkonzerns Rosneft, Igor Setschin, zählen. Ohne ein durch Korruption befriedetes Staatsdienertum könnte allerdings auch der mächtige Präsident seine Herrschaft nicht auszuüben. Dieser kompensiert wiederum in seiner Person, als charismatischer Anführer, gegenüber der Öffentlichkeit das fehlende Vertrauen in fast sämtliche Staatsorgane, einschließlich der Regierung, ihrer Ministerien und der Polizei. Die Staatsquote am Bruttoinlandsprodukt liegt nach Angaben der Föderalen Antimonopolbehörde FAS bei gut zwei Drittel.

Hinsichtlich der Kluft zwischen Arm und Reich nimmt Russland eine Spitzenposition ein. Trotz paternalistisch-sozialer Rhetorik fand unter Putin keine Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums statt. Die erste Grundlage des Putinismus wurde bereits in den 1990er Jahren durch vom Neoliberalismus inspirierte WirtschaftspolitikerInnen und konservative Kräfte aus dem Sicherheitsapparat, mit engen Verbindungen zu Staatsunternehmen, gelegt. Die hohen Profite aus dem Rohstoffgeschäft ließen es in den 2000er Jahren zu, dass auch für die Bevölkerung ein spürbarer Anteil abfiel. Für viele Grund genug, um diese Zeit in guter Erinnerung zu bewahren.

… und die russische Welt …

Der ideologische Überbau des Putinismus entstand wesentlich später. Putin hat nie Zweifel daran gelassen, dass er den Zusammenbruch der Sowjetunion als Katastrophe wertet und deren Spaltprodukte unter russischem Einfluss zusammenhalten möchte. Diese Haltung findet in Russland zahlreiche AnhängerInnen. Putin verfolgt aber einen Plan, dessen Umsetzung einer Aneinanderreihung taktischer Manöver gleicht. Erst zum Ende seiner zweiten Amtszeit hin — an dieser Stelle sei auf Putins Rede auf der Sicherheitskonferenz in München 2007 verwiesen -formte sich neben einem zunehmend antiwestlichen Kurs ein passendes ideologisches Konstrukt, das in verstärkt aggressiver Form Gestalt annahm: das Konzept der «russischen Welt».

Dabei handelt es sich keineswegs um ein ethnisches Volksverständnis, sondern um ein kulturelles Phänomen. Neben dem Russischen als einziger übergreifender Kommunikationssprache definieren dessen VerfechterInnen als Markenzeichen der russischen Welt eine Reihe ethisch-moralischer Zuschreibungen wie Gerechtigkeit, Opferbereitschaft oder Patriotismus – gemeint ist die Unterwerfung unter das gesamtgesellschaftliche Kollektiv – sowie den orthodoxen Glauben gemeinsam mit anderen anzutreffenden Konfessionen. Dabei spielen die zentralasiatischen Republiken mit Ausnahme Kasachstans und der Südkaukasus keine relevante Rolle, während die Ukraine oder Belarus im Bewusstsein der russischen Bevölkerung einen festen Bestandteil der russischen Welt bilden. Unterschiede werden hier ausgeblendet. Daraus ergibt sich die Auffassung, dass die Grenzziehungen zwischen diesen Ländern und Russland ein historisches Missverständnis sind.

Nach seiner Rückkehr ins Präsidentenamt 2012 erhob Putin den Konservatismus zur Staatsideologie. Während der Massenproteste im gleichen Jahr wurde offensichtlich, auf welche soziale Basis er sich stützte: auf den komplett vom Staatshaushalt abhängigen Teil der Bevölkerung. Die im staatlichen Sektor beschäftigten «bjudzhetniki» machen etwa 40 Prozent der Bevölkerung aus. Freiberufliche, die Mittelklasse und insbesondere vermögende Eliten stellen hingegen ein Risiko dar und sind deshalb potenzielle GegnerInnen. Das Konzept der russischen Welt greift auch für die Definition der Zugehörigkeit im Inneren.

Dieses durchaus rechtspopulistische Projekt stützt sich auf einen Mythos, nämlich die Vorstellung von einem quasi naturgegeben traditionellen Dasein. Authentizität erlangt danach nur der «einfache Mensch», der sich auf vermeintlich nicht anfechtbare Werte wie Religiosität, Familie und dergleichen mehr beruft und sich jenseits der Moderne verortet. Weder die Problematisierung der Wohlstandsverteilung noch die Infragestellung des eigenen sozialen Status passen zu diesem Konzept. Dafür agiert der Staat als Garant sozialer Minimalleistungen. Gleichzeitig ist die russische Bevölkerung den Gesetzmäßigkeiten eines globalisierten Kapitalismus natürlich genauso unterworfen wie andere Gesellschaften auch. Vor diesem Hintergrund nimmt es sich geradezu abstrus aus, dass Russland, so der weitverbreitete Glaube, es nicht nur schaffe die christlichen Werte des Abendlandes in ihrer ursprünglichen Form zu verteidigen, sondern der Vorherrschaft des Kapitalismus neoliberaler Prägung aktiven Widerstand leiste.

… oder die russländische Nation

Seit dem Erstarken rechter Bewegungen in Europa und insbesondere seit dem Wahlsieg von Donald Trump fühlt sich die russische Führung in ihrer Vorreiterrolle bestätigt. Sie inszeniert sich als Avantgarde im Kampf der Kulturen. Gleichzeitig bleibt die Abgrenzung zu einem liberalen Wertesystem, das der Westen verkörpert, ein zentraler Bestandteil der eigenen Standortbestimmung. Weite Teile der russischen etatistischen Linken orientieren sich ihrerseits an einer nationalpatriotischen Linie. Ihre Bezugnahme auf das Volk unterscheidet sich aber in einem entscheidenden Punkt von der offiziellen Leitlinie: Russische Staatsangehörige haben ein fest verankertes Anrecht auf die Sorgepflicht durch den Staat und dürfen dies einfordern. Deutsche Rechtspopulisten wiederum ziehen Russlands antiamerikanische Attitüden an, gleichzeitig interpretieren sie Russland als Opfer der Politik des Westens, insbesondere der NATO, und stilisieren Putin als heroischen Gegenpart zum westlichen politischen Establishment. Vermutlich fiele die Attraktivität des russischen Präsidenten ohne Finanzspritzen für Projekte der europäischen Rechten jedoch geringer aus.

Unterschiede zwischen dem Kreml und den Positionen der extremen Rechten in Russland schwinden. Letzterer fällt es zunehmend schwer, sich als eigenständige politische Kraft darzustellen. Dafür konnten sich etliche VertreterInnen der extremen Rechten Betätigungsfelder in staatsnahen Strukturen sichern. Wer zu wenig Loyalität zur Führung an den Tag legt oder gar offene Kritik übt, muss sich allerdings mit einem Randdasein zufrieden geben. Streitpunkte existieren hinreichend, auch und gerade hinsichtlich der Frage, wer als zum russischen Volk zugehörig gilt. Im vergangenen November veranlasste Putin die Ausarbeitung eines neuen Gesetzes über eine «russländische Nation». Was sich hinter diesem Begriff verbirgt, ist offen. Russische NationalistInnen befürchten nicht ohne Grund, dass damit wohl kaum die ethnisch definierte Nation gemeint ist. Weniger besorgt sind sie darüber, dass hier mit großer Wahrscheinlichkeit das seit der Zarenzeit verfolgte Gegenkonzept zum aufgeklärten Citoyen eine neue gesetzliche Grundlage erhalten wird.

ute weinmann

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