Russlands Trucker gegen »Platon«

Nicht nur das neue Mautsystem bringt vor allem Kleinunternehmer in Schwierigkeiten

Der Kilometerpreis des russischen Mautsystems »Platon« für Schwerlaster stieg am 15. April planmäßig. An jenem Tag wollten Lkw-Fahrer ihren Protest dagegen mit einer Autokolonne von einem Streikposten am Stadtrand von St. Petersburg in die Innenstadt tragen. Doch die Polizei hinderte sie daran und nahm mehrere Personen fest.

Eigentlich sollte ein Gerichtsverfahren folgen, aber weder gibt es bislang einen Termin, noch eine klare Anschuldigung. Nicht einmal ein Gesetzesverstoß liegt vor. An derlei Schikanen haben sich die landesweit gut vernetzten Fahrer längst gewöhnt. Innerhalb der vergangenen drei Wochen wurden aus fadenscheinigen Gründen in über 250 Fällen Bußgelder oder mehrtätige Haftstrafen verhängt.

Seit dem 27. März 2017 befinden sich russische Lkw-Fahrer in einem unbefristeten Streik gegen das Mautsystem »Platon«. Sie wollen erreichen, dass sich die Regierung mit ihnen an den Verhandlungstisch setzt, um gemeinsam über eine Lösung zahlreicher Probleme in der Logistikbranche zu sprechen.

Das Ende 2015 eingeführte »Platon«-System ist nur die Spitze des Eisbergs. Bereits vor der Einführung der Mautgebühr sank die Rentabilität bei Kleinspediteuren infolge der Wirtschaftskrise und der Sanktionen gegen Russland und auch der sogenannten Gegensanktionen. Gleichzeitig steigen diverse Abgaben wie die unlängst angehobene Benzinsteuer. Großspeditionen profitieren von den Problemen der ressourcenschwachen Konkurrenz. Sie konnten ihren Marktanteil im vergangenen Jahr von 30 auf etwa 40 Prozent ausbauen.
Nach Einschätzung der Vereinigung russischer Transportunternehmer OPR, die maßgeblich hinter dem Streik steht, liegt die Beteiligungsquote derzeit bei 40 Prozent. An der Spitze liegt Dagestan, wo sich bis auf eine kleine Minderheit alle Fahrer dem Arbeitskampf angeschlossen haben; es folgen Tschetschenien und die kleineren Kaukasusrepubliken.

Zum einen stehen sie ökonomisch schlechter da, zum anderen fördern die lokalen gesellschaftlichen Strukturen ein geschlossenes Vorgehen. Wer die Region mit einem beladenen Lkw verlassen will, erhält Polizeischutz. Zwar haben sich die Streikenden im Voraus auf friedliche Protestformen geeinigt, aber wer aus ihren Reihen ausbricht, muss sich deutliche Worte der Kollegen gefallen lassen.

Nicht überall ist der Protest sichtbar. Um keinen Konflikt mit der Polizei zu riskieren, bleiben die Trucks oft auf ihren Stellplätzen. In Dagestan kamen zur Einschüchterung der Fahrer sogar Einheiten der Nationalgarde zum Einsatz. Michail Kurbatow, einer der Koordinatoren der OPR, strahlt dennoch Optimismus aus. »Immer mehr Regionen schließen sich dem Streik an«, sagte er dem »nd«. Auch weit hinter dem Ural, insbesondere in Burjatien, liegt der Güterverkehr auf der Straße zu großen Teilen lahm. Aus 34 anderen Regionen vermeldete die Verbraucherschutzvereinigung bereits Engpässe bei der Lebensmittelversorgung.

In den Metropolen Moskau und St. Petersburg sind die Vorratsspeicher jedoch gut gefüllt, zudem verfügen große Supermarktketten über einen eigenen Fuhrpark. Nur wenige Printmedien berichten über den Streikverlauf. Das überregionale staatliche Fernsehen blendet den Protest komplett aus, während sich lokale Sender stellenweise über das faktische Nachrichtenverbot hinweg setzen.

Der Föderationsrat kündigte inzwischen eine Effektivitätsprüfung von »Platon« an, und in manchen Regionen signalisieren die Behörden Gesprächsbereitschaft mit dem Versprechen, die politische Führung in Moskau von den Ergebnissen in Kenntnis zu setzen. Doch dort dürften ausreichend Informationen vorliegen.

Bislang setzt der Kreml offenbar schlicht auf eine Hinhaltetaktik in der Erwartung, der Protest löse sich irgendwann von selbst auf. Anstatt sich dem direkten Gespräch zu stellen, entsandte Moskau Dienstag den Fernsehjournalisten und Kaukasuskenner Maksim Schewtschenko als Unterhändler nach Dagestan. Der Kampfmoral der streikenden Fahrer tut dies keinen Abbruch: sie wollen einzig und allein mit den Entscheidungsträgern aus der Regierung sprechen.

ute weinmann

nd

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