Fußball als Ausnahmezustand

Deutschland hat wieder einmal gewonnen. Beim Fußball. Dieses Mal im Confederations Cup in St. Petersburg. Der fand nämlich leider als Generalprobe für die Fußball-WM 2018 in Russland statt. Wo in Hamburg wegen des bevorstehenden G20-Gipfels Ausnahmezustand herrscht, reicht hier in Russland indes ein ödes Sportereignis, um gesetzlich garantierte Freiheiten einzuschränken. Weil die Dumaabgeordneten mit ihrem Pensum nicht fertig wurden, sprang der Präsident in die Bresche. Per Dekret machte er Russland sicherer — und sei es nur für die Zeit des Cups und ein wenig darüber hinaus.

Zwischen dem 1. Juni und dem 12. Juli darf mensch beispielsweise keine Pfeffersprays zur Selbstverteidigung bei sich tragen. An romantischen Bootsfahrten auf den Kanälen von St. Petersburg während der weißen Nächte darf nur verdienen, wer garantiert keine Terroristen befördert; also nur Strukturen, die in den Geldkreislauf der Fußballfunktioniärsbürokratie eingebunden sind. Dass nichtsportliche Versammlungen und Demonstrationen einem Verbot unterliegen, braucht nicht extra erwähnt zu werden. Gemeingefährlich sind im Übrigen alle Formen bürgerlichen Engagements, insbesondere Recycling und Aufklärung über Müllentsorgung. Einmal im Monat sind die Bewohner der Millionenstadt an der Newa aufgefordert, Papier, Plastik und allerlei sonstige Wertstoffe in ihrem Stadtteil an private Initiativen zu übergeben. Den Behörden käme solcher Kleinkram nie in den Sinn, schließlich findet sich in dem riesigen Land immer irgendwo ein Plätzchen zur Lagerung von ein wenig Abfall. Zur Not tut es auch eine Halde irgendwo am Stadtrand. Bis zum deutschen Sieg beim Endspiel in St. Petersburg und ein wenig darüber hinaus muss der Müll umweltbewusster Bürgerinnen und Bürger allerdings zu Hause bleiben. Der Präsident wollte es so.

Und die Menschen selber bleiben am besten auch zu Hause und halten sich von allen Austragungsorten des Fußballspektakels fern, also Moskau, St. Petersburg, Kasan und Sotschi; im nächsten Jahr während der WM erweitert sich die Liste dann um weitere Städte. Das Dekret enthält nämlich eine Klausel, wonach Ausländer und Ausländerinnen innerhalb 24 Stunden einer behördlichen Meldepflicht unterliegen, während russische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen ganze drei Tage Zeit haben, eine legale Unterkunft zu suchen und eine Person, die bereit und berechtigt ist, jemanden unter seiner Adresse zu registrieren. Kein leichtes Unterfangen, zumal neben anderen praktischen Hindernissen die Option, Unterlagen per Post zu schicken, kurzfristig außer Kraft gesetzt worden war. Und eine Behörde betritt in Russland schließlich niemand freiwillig. Schon die Post ist ein Abenteuer für sich.

Im Übrigen herrscht selbst bei der für Anmeldungen zuständigen Migrationsbehörde keine Einigkeit über die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme. Macht ja alles Arbeit. Zum Glück wissen die wenigsten Menschen Bescheid über die neuen Sicherheitsbestimmungen des Präsidenten. Ein Selbstversuch in St. Petersburg aus reiner Neugierde, wie sich der Ausnahmezustand auf das Leben gesetzestreuer Menschen auswirkt, veranlasste eine Mitarbeiterin der Migrationsbehörde zu einer regelrechten Offenbarung: «Wenn Ihre Unterlagen nicht in Ordnung sind, gebe ich Ihnen einen Rat: hauen Sie ab bevor es zu spät ist!»

Der deutsche Sieg in St. Petersburg kommt anderen teuer zu stehen. Aber das hat die Deutschen ja noch nie sonderlich interessiert.

ute Weinmann

Jungleblog

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