Der regierungskritische russische Regisseur Kirill Serebrennikow hat Probleme mit der Justiz.
»Ein Sommernachtstraum« von William Shakespeare ist eigentlich eine Komödie. Findet die Inszenierung in der russischen Hauptstadt statt und noch dazu auf Staatskosten, kann sie jedoch zum Albtraum für den Regisseur geraten. Am 23. August verhängte ein Moskauer Gericht Hausarrest inklusive Fußfessel über den international erfolgreichen Theater- und Kinoregisseur Kirill Serebrennikow – vorerst bis zum 19. Oktober. Er soll fast eine Million Euro staatlicher Kulturmittel veruntreut haben, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Bislang galt er lediglich als Zeuge in einem Verfahren, das ihm bereits im Mai eine Hausdurchsuchung eingebracht hatte. Nun drohen ihm zehn Jahre Haft. Sein Anwalt hat Rechtsmittel gegen die Entscheidung angekündigt.
Seit 2012 ist Serebrennikow Intendant des Moskauer Gogol-Zentrums. Seine Ernennung hatte der damalige Moskauer Kulturdezernent Sergej Kapkow verantwortet, er verursachte damit einen Tumult unter konservativen Theaterschaffenden. Serebrennikow ist ein Freigeist, der es sich herausnimmt, lauthals herauszuschreien, was andere sich bestenfalls im Stillen zu denken trauen. Statt vor Patriotismus triefender kultureller Schmalkost im Sinne führender Kulturkader bot er kritische Reflexionen zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen und sorgte dafür, dass das russische Theater auf internationalen Bühnen als ernstzunehmende Stimme erhalten blieb. Es schien unter seiner Leitung vieles möglich zu sein, allen Widrigkeiten zum Trotz. Aber auch Serebrennikow stieß an Grenzen, so zum Beispiel, als ihm Kapkow eine Filmvorführung über den Schauprozess gegen die Punk-Performerinnen von Pussy Riot untersagte.
Theater, Tanz, Musik und Medien vereinte Serebrennikow in seinem Projekt »Platforma«, für das er großzügige Fördermittel aus dem Staatshaushalt erhielt. Zur Verwirklichung erfolgte die Gründung der Produktionsfirma »Siebtes Studio«. Dessen ehemaliger Direktor Jurij Itin befindet sich seit Mai unter Hausarrest, die verantwortliche Buchhalterin Nina Masljajewa in Untersuchungshaft. Sie sorgte mit ihren belastenden Aussagen vermutlich dafür, dass nun auch gegen den künstlerischen Leiter der Truppe ermittelt wird. Welche Farce sich in russischen Gerichtssälen abspielt, zeigt das Beispiel des ebenfalls tatverdächtigen ehemaligen Direktors des Gogol-Zentrums, Aleksej Malobrodskij. Bei seinem Haftprüfungstermin legte sein Verteidiger Beweismittel vor, denen zufolge die angeblich veruntreuten Gelder tatsächlich in die Realisierung von Theaterprojekten geflossen waren. Als Belege fügte er auch Rezensionen über das von Serebrennikow inszenierte Stück »Ein Sommernachtstraum« bei. Der zuständige Staatsanwalt ließ dies nicht gelten mit der Begründung, dass schließlich alles Mögliche geschrieben werde: »Dem schenken wir sicher keinen Glauben.«
Damit liegt die Anklage voll im gesellschaftlichen Trend. Wer der Veruntreuung verdächtigt wird, gilt per se als schuldig. Seine Unschuld vor Gericht zu beweisen, ist ein müßiges Unterfangen, denn im russischen Justizwesen fällt der Schuldspruch effektiv bereits mit der Festnahme. Nur bei der Festlegung des Strafmaßes behalten sich die Richter Spielraum vor. Bei geringem öffentlichen Interesse kann es allerdings vorkommen, dass Ermittlungen im Sande verlaufen. Im vorliegenden Fall sind solche Hoffnungen unangebracht. Politische Vorwürfe sorgen in der Öffentlichkeit für Empörung, während sich bei Wirtschaftsdelikten ein einmal geäußerter Verdacht nie aus der Welt räumen lässt. Veruntreuung gehört wie Korruption zu den wesentlichen Elementen der russischen Wirtschaft und des gesamten Staatswesens. Allein für das erste Halbjahr 2017 stellte der Rechnungshof Haushaltsverstöße in Höhe von 20 Milliarden Euro fest.
Wer genau hinter den Ermittlungen gegen den Regisseur steht, bleibt vorerst Spekulation. Sicher ist, dass seine Festnahme ein Paradebeispiel für die Entsolidarisierung in Russland darstellt. Risiken und Nebenwirkungen staatlicher Finanzierung hätte Serebrennikow einkalkulieren müssen, so der Tenor vieler Reaktionen. Wer Kunst auf die große Bühne bringen will, hat jedoch längst keine andere Wahl mehr, als staatliche Mittel in Anspruch zu nehmen. Eine Komödie sieht jedenfalls anders aus.
ute weinmann