Immer Ärger mit den Volksrepubliken

In den »Volksrepubliken« in der Ostukraine nehmen die Konflikte zu

Einen Innenminister in den Ruhestand zu befördern, ist unter Umständen eine riskante Angelegenheit – selbst für das Oberhaupt einer Volksrepublik, die keine internationale Anerkennung genießt und in der ungeschriebene Gesetze weitaus mehr gelten als Verfassungsvorschriften. Igor Plotnizkij jedenfalls, das Oberhaupt der Lugansker »Volksrepublik« und zuvor unter anderem als Brandschutzinspektor ­tätig, hat sich bei diesem Versuch die Finger verbrannt. Er gab nur wenige Tage später seine Stellung auf, offiziell aus gesundheitlichen Gründen, und floh nach Russland. Seine Nachfolge trat der »Minister für Staatssicherheit« an, Leonid Pasetschnik.

Am 20. November hatte Plotnizkij seinen langjährigen Widersacher, den Innenminister Igor Kornet, seines Amtes enthoben, weil gegen diesen strafrechtliche Ermittlungen wegen illegaler Aneignung eines Privathauses eingeleitet worden waren. Für Plotnitskijs langjährigen Widersacher Kornet kein Grund nachzugeben. Er ließ im Gegenzug eine Reihe von Regierungsgebäuden in Lugansk mit bewaffneten Sicherheitskräften umzingeln. In der Nacht auf den 22. November marschierten Verbände aus der Donezker »Volksrepublik« in Lugansk ein, zusammen mit Sondereinheiten des Lugansker Innenministeriums stürmten sie das Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft und nahmen unter anderem die Behördenleitung und den Militärstaatsanwalt fest. Zuvor hatte das lokale »Staatsfernsehen« über den Konflikt in der Lugansker Führung ­berichtet, woraufhin Polizeieinheiten prompt die Elektrizitätsversorgung in dem Viertel um den Sender unterbrachen.

Ein Konflikt mit Vorgeschichte

Im August 2016 überlebte Plotnizkij verletzt einen Anschlag und sprach danach von einem gescheiterten Umsturzversuch. Der ehemalige Lugansker »Ministerpräsident« Gennadij Zypkalow wurde verdächtigt, den mutmaßlichen Putschversuch vorbereitet zu haben, und inhaftiert. Im Herbst 2016 wurde er in seiner Zelle tot aufgefunden; vermutlich handelte es sich um einen fingierten Selbstmord. Nach seiner gescheiterten Absetzung bezeichnete Kornet Zypkalow als seinen »Kampfbruder« und beschuldigte die Lugansker Führung, im Interesse der ukrainischen Zentralregierung zu handeln. Eine Zelle ukrainischer Spione habe gezielt Falschinformationen über ihn in die Welt gesetzt. Namentlich beschuldigte er die Direktorin des Lugansker Staatsfernsehens, Anastasia Schurkajewa, die Leiterin der Präsidialverwaltung, Irina Tejzman, und den Leiter der für die Sicherheit der Regierung zuständigen Abteilung im Innenministerium, Jewgenij Seliwerstow.

Plotnizkij genoss prinzipiell zwar die Unterstützung der russischen Regierung, während der jüngsten Eskalation wurde aber deutlich, dass seine Macht schwindet. Er dürfte weiterhin eine politische Rolle spielen, schließlich steht seine Unterschrift unter den Minsker Vereinbarungen von Februar 2015, die den Krieg im Donbass beenden sollten, de facto jedoch nicht befolgt werden. Im Unterschied zur benachbarten Donezker »Volksrepublik« gelang es der Lugansker Führung nie, die Gebiete jenseits der Hauptstadt zu kontrollieren. Zu viele lokale Akteure und Clans entzogen sich der Eingliederung in institutionelle Hierarchien und konnten nur mit Mühe politisch entmachtet werden, teilweise wurden sie ermordet. An die Stelle alter Autoritäten traten neue, die ebenfalls keine große Loyalität gegenüber Plotnizkij zeigten.

Angesichts dessen kündigte der Präsident der Donezker »Volksrepublik«, Alexander Sachartschenko, bereits im Sommer die Schaffung eines vereinigten »Kleinrusslands« an, mit Regierungssitz in Donezk. Dass Donezker Einheiten im November in Lugansk ein­gesetzt wurden, könnte ein Indiz dafür sein, dass die Vereinigung der »Volks­republiken« näherrückt. Dmitrij Peskow, der Pressesprecher des Kreml, kommentierte solche Vermutungen lakonisch, über diese Frage hätten allein die Volksrepubliken zu entscheiden. Faktisch sind beide »Volksrepubliken« von russischer Finanzierung und mi­litärischer Unterstützung abhängig.

Aus dem Umfeld von Wladislaw Surkow, der als hochrangiger Kremlberater auch für den Donbass zuständig ist, verlautete, die jüngste Krise in Lugansk sei Teil einer Umstellung der Kontrollmechanismen der russischen Regierung. Reibungslos verläuft dieser Prozess nicht, neben Surkow ist auch Boris Gryslow mit den Entwicklungen im Donbass betraut, und zwar als russischer Vertreter in der Minsk-Kontaktgruppe, in der die Ukraine, die ukrainischen Separatisten, Russland und die OSZE vertreten sind. Es fehlt ein zentrales Koordinationsgremium. Zudem verwiesen kürzlich namentlich nicht genannte Gesprächspartner der russischen Mediaholding Rosbusinessconsulting (RBK) darauf, dass der Kreml Kornet unterstützt habe und Plotnizkij eine letzte Chance habe geben wollen. Sollte das stimmen, hätte Russland offenbar nicht alle Vorgänge in Lugansk unter Kontrolle.

Der mysteriöse Tod eines Personenschützers

Anfang Dezember wurde überdies bekannt, dass das russische Ermittlungskomitee inzwischen ein Verfahren gegen Kornet eingeleitet hatte wegen des mysteriösen Todes eines Personenschützers mit russischer Staatsbürgerschaft im Donezker Innenministerium im November 2016. Zu denken gibt auch, dass Plotnizkijs Abgang ausgerechnet wenige Tage nach seinem und Sachartschenkos erstem offiziellen Telefongespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vonstatten ging. Thema des Gespräch war es, die Bemühungen um einen umfassenden Gefangenenaustausch zwischen den »Volksrepubliken« und der ukrainischen Regierung zu intensivieren. Putin fordert vom ­ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko einen Austausch noch vor Neujahr.

Kaum war das Lugansker Intermezzo ad acta gelegt, sorgten frische Enthüllungen des investigativen Recherche­netzwerks Bellingcat in Kooperation mit seinem russischen Partner The Insider für Aufsehen. Demnach steht nun »mit hoher Wahrscheinlichkeit« die Identität der Schlüsselfigur hinter dem Abschuss einer Passagiermaschine der Malaysia Airlines, mit der Flugnummer MH17, im Juli 2014 über der Ostukraine fest. Ein internationales ­Ermittlungsteam, an dem sich Australien, Belgien, Malaysia, die Niederlande und die Ukraine beteiligen, hatte zur Mithilfe beim Auffinden zweier Personen mit den Decknamen Delphin und Orion aufgerufen. Der ukrainische Geheimdienst hatte belastende Gesprächssequenzen abgefangen. Eine linguistische Untersuchung der ukra­inischen Aufnahmen von 2014 und ein Stimmabgleich mit jüngeren Aufnahmen aus einem Interview des Insider zu einem anderen Thema bestätigten den Verdacht weitgehend.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei Delphin um Generaloberst Nikolaj Fjodorowitsch Tkatschow. 2010 aus dem aktiven Militärdienst ausgeschieden, war er danach Militärberater in Syrien und bekleidet im Augenblick das Amt des leitenden Militärinspekteurs für Zentralrussland. Tkatschow bezeichnete die Vorwürfe als Unsinn und wollte es nicht ausschließen, gegen ihre Urheber vor Gericht zu ziehen.

ute weinmann

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