Aus alt mach neu

Bei den Präsidentschaftswahlen in Russland hat Wladimir Putin etwa drei Viertel der Stimmen gewonnen. Sein bislang bestes Resultat verdankt er nicht zuletzt den Bemühungen der Staatsbürokratie.

Besser hätte der Plan nicht aufgehen können. Nach vorläufigen Ergebnissen hat Wladimir Putin bei den russischen Präsidentschaftswahlen 76 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 67 Prozent erhalten. Damit gelang ihm das bislang beste Wahlergebnis seiner Karriere. Vor sechs Jahren, als in den russischen Metropolen die größten Proteste seit Jahren stattfanden und Putins Anhänger ihrerseits vehement Präsenz auf den Straßen zeigten, hatte es nur für 63 Prozent der Wählerstimmen gereicht. Zu wenig für einen Staatsführer, der Russland von den Knien habe auferstehen lassen, wie Putin betonte, der als Übervater einer einst gedemütigten Nation in die Geschichte eingehen will.

In den vergangenen sechs Jahren hat er seine Arbeit gründlich erledigt: Die Krim ist russisch geworden, eine aus Moskau verwaltete Sonderregion. Russland führt hybride und konventionelle Kriege mit wenigen toten Helden und etlichen unbenannten Opfern. Für jede innenpolitische Misere findet sich eine Erklärung, die den Präsidenten der Verantwortung enthebt. Mal wollen die USA Russland nicht verstehen, mal will Angela Merkel es nicht. Russlands Führung beherrscht die Kunst der verbalen Selbstviktimisierung und setzt prompt zum Gegenschlag an. »Für ein starkes Russland« – so lautete Putins Wahlkampfslogan. Und wer, wenn nicht er, soll diese Stärke symbolisieren?
 
Am Tag nach der Wahl sprach Ella Pamfilowa, die Leiterin der Wahlkommission, einigen führenden Politikerinnen und Politikern westlicher Länder explizit ihren Dank aus. Diese hätten ihren Beitrag dazu geleistet, dass sich das russischen Volk in einer schwierigen Stunde zusammengeschlossen habe. Bei einer anderen Gelegenheit betonte sie die herausragende Bedeutung dieser Präsidentschaftswahlen für die Eigenständigkeit Russlands, das nicht mehr Befehlsempfänger des Westens sei. Mit dieser spitzen Bemerkung war nicht zuletzt die britische Premierministerin Theresa May gemeint. Seit dem Giftanschlag auf den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia bringt die britische Regierung nach Ansicht der russischen Führung völlig grundlose Anschuldigungen vor. Zwar wird das Verhältnis zwischen Russland und Großbritannien auf eine harte Probe gestellt, das Vermögen russischer Oligarchen bleibt vorerst jedoch unangetastet.

May mag Putin am Sonntag unabsichtlich einige zusätzliche Stimmen beschert haben; andere haben ihr Bestes dafür gegeben, darunter Pamfilowa. Bei diesen Wahlen war es erstmals möglich, sich ohne kompliziertes Prozedere im eigenen Wahllokal abzumelden und andernorts seine Stimme abzugeben. Ein solches Verfahren bietet gute Gelegenheiten für Wahlmanipulationen. Im Zweifelsfall entscheidet die Wahlkommission an Ort und Stelle, wie vorzugehen ist, wenn etwa eine Person darauf besteht abzustimmen, obwohl sie im lokalen Wahlregister gar nicht vermerkt ist. In vielen Wahllokalen hatten Beobachterinnen und Beobachter Unregelmäßigkeiten bemerkt; ob und wie diese sich in den Protokollen wiederfinden, ist eine andere Frage.

Der erste Ansturm auf die Wahlurnen begann vielerorts bereits am frühen Morgen. Die einen forderten Kalender und was auch immer ihnen zuvor als kleines Dankeschön für die Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflichten versprochen worden war, andere wollten diese lediglich frühzeitig erfüllen, um den Rest des Tages freizuhaben. Ein Wahlbeobachter berichtete der Jungle World, dass die Ärztin einer staatlichen Klinik über eine Stunde lang mit Adlerblick überwachte, ob auch alle ihrer Kolleginnen und Kollegen im Wahllokal erscheinen.

Wer sein Gehalt von staatlichen Stellen bezieht, erhält häufig eine Aufforderung zu wählen, weshalb zur Absicherung viele den Akt der Stimmabgabe fotografierten. Andere erscheinen gleich im Familienverband und erfreuen sich an in den Farben der russischen Flagge gehaltenen Luftballons und an Sonderangeboten von Süßigkeiten und anderen Lebensmitteln. Durch besonderes Lokalkolorit fiel Machatschkala auf, die Hauptstadt der Nordkaukasusrepublik Dagestan. Dort drang eine Gruppe sportlich gekleideter junger Männer in ein Wahllokal ein und sorgte für Tumult, während aufgestellte Überwachungskameras festhielten, wie wohl einer von ihnen ungestört Packen ausgefüllter Wahlzettel in die Urne wirft. Kurze Zeit später wiederholte sich der Vorfall, nur dass dieses Mal eine der Wahlhelferinnen selbst Hand anlegte. Ein korrekter Wahlablauf sieht anders aus, doch wird es dieses Mal wohl weniger gemeldete Verstöße geben. Auch hier hat die russische Führung dazugelernt.

Es lassen sich viele Gründe anführen, weshalb Menschen in Russland Putin ihre Stimme geben. Im Russischen gibt es den passenden Ausdruck »erzwungene Freiwilligkeit«, aber es gibt eben auch überzeugte Anhänger Putins. Die weniger überzeugten, aber loyalen gelang es bei diesem Durchgang zu mobilisieren.

Gleichzeitig erzielte der Kandidat der Kommunistischen Partei KPRF, Pawel Grudinin, mit elf Prozent das schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte. Dem war eine üble Hetzkampagne gegen ihn in den Medien vorausgegangen, an der sich auch Rivalen aus dem kommunistischen und stalinistischen Lager beteiligten.
Aleksej Nawalnyj, der gar nicht erst zu den Wahlen zugelassen worden war, scheiterte erwartungsgemäß mit seinem Aufruf zum Wahlboykott. Allerdings war die Opposition bei dieser Wahl ohnehin auf eine Statistenrolle festgelegt. Nun stellt sich die Frage, welche Konsequenzen oppositionelle Parteien und Bewegungen nach dieser Wahlinszenierung ziehen. Xenija Sobtschak, die landesweit unter zwei Prozent der Stimmen blieb, in Moskau und St. Petersburg jedoch über vier Prozent der Stimmen erhielt, kündigte bereits die Gründung einer neuen Partei an und hätte Nawalnyj gerne mit im Boot. Aber den einen, starken Gegenkandidaten wird es kaum geben. Nawalnyj attackierte sie noch am Wahltag in einer Sendung auf seinem Youtube-Kanal heftig als Marionette des Kreml. Es wird wohl dauern, bis endlich wieder Inhalte in den Fokus rücken.

ute weinmann

Jungle World

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