Drei Frauen gegen Lukaschenko

Am Sonntag will sich Alexander Lukaschenko zum sechsten Mal in Folge zum Präsidenten wählen lassen. Doch nun gerät sein System ins Wanken: Auf der Strasse wächst der Protest – und die Opposition schickt eine überraschende Kandidatin ins Rennen.

Es ist ein starkes Bild: Drei Frauen posieren vor der Kamera – eine formt mit ihren Händen ein Herz, die in der Mitte reckt die Faust in die Höhe, die Dritte im Bunde formt ihre Finger zum Victoryzeichen. Gemeinsam haben sie Alexander Lukaschenko den Kampf angesagt: einem der dienstältesten Staatsoberhäupter, das sich partout nicht zurückziehen will.

Seit 1994 amtiert Lukaschenko als Präsident Weissrusslands, am Sonntag will er sich zum sechsten Mal in Folge wählen lassen. Wobei er sich nie allein auf die Gunst seiner WählerInnen verlässt, sondern ernst zu nehmende Konkurrenten vorsichtshalber im Vorfeld ausschaltet und auf der Strasse seinen Sicherheitsapparat zur Zähmung aufmüpfiger BürgerInnen walten lässt.

Swetlana Tichanowskaja, die kämpferische Frau mit der Faust, ist keine Politikerin. Das sagt sie selbst von sich. Ihren Werdegang hatte sich die 37-jährige Englischdolmetscherin wohl anders vorgestellt, Mitte Juli allerdings wurde sie als offizielle Präsidentschaftskandidatin registriert. Sie sprang kurzerhand für ihren Mann Sergei Tichanowsky ein, der in Weissrussland gerne mit dem rechten russischen Antikorruptionspolitiker Alexei Nawalny verglichen wird.

Weil gegen ihn Administrativhaft verhängt wurde, konnte er seine Kampagne nicht weiterführen. Inzwischen sitzt der Videoblogger in Untersuchungshaft: Ihm werden Gewaltaufrufe gegen Polizeiangehörige zur Last gelegt. Gemeinsam mit dem Anführer der nichtregistrierten sozialdemokratischen Partei soll er zudem «Massenunruhen» geplant haben.

Unter fairen Bedingungen hätten sich auch die Herausforderer Wiktor Babariko und Waleri Zepkalo weitaus höhere Wahlchancen ausrechnen dürfen. Babariko, der die grösste Zahl an für die Kandidatur erforderlichen Unterschriften vorgelegt hat, war langjähriger Leiter der Belgazprombank, eines Ablegers des russischen Gazprom-Konzerns. Wegen Steuerhinterziehung sitzt auch er in U-Haft. Zepkalo steht für politischen Widerstand aus dem System heraus: 1994 gehörte er dem Team an, das Lukaschenko in den Präsidentensessel hievte, später forcierte er die Entwicklung der IT-Branche des Landes. Statt einer Wahlzulassung erhielt er deutliche Hinweise, dass ein Verbleib im Land für ihn gefährlich werden könnte, weshalb er sich prompt nach Russland absetzte.

Von wegen leichtes Spiel

Präsident Lukaschenko wurde in letzter Zeit nicht müde zu behaupten, sein Job sei nichts für eine Frau, «die Arme» würde «unter der Last zusammenbrechen». Und in der Verfassung würde er als Voraussetzung für das Amt gerne einen geleisteten Armeedienst verankern. Solche Äusserungen stossen selbst im konservativen Weissrussland auf Kritik – bei der weiblichen Bevölkerung sowieso.

Sollte Lukaschenko glauben, mit einer Frau als stärkster Konkurrentin habe er leichtes Spiel, irrt er. Vor fünf Jahren erhielt Tatjana Korotkewitsch als Präsidentschaftskandidatin der Opposition zwar lediglich 4,4 Prozent der Stimmen, diesmal sieht die Sache anders aus. Tichanowskaja und die Wahlteams von Babariko und Zepkalo – unter Leitung von Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkalo, den beiden anderen Frauen auf dem oben erwähnten Bild – schlossen sich zusammen und gehen im Wahlkampf nun koordiniert vor. Für diese Übereinkunft benötigten sie gerade einmal fünfzehn Minuten. Geeinigt haben sich die drei auf ein simples Fünfpunkteprogramm: Sie rufen zur geeinten Stimmabgabe auf und versprechen die Freilassung politischer Häftlinge, um die ausgeschlossenen Kandidaten anschliessend bei erneuten, freien Wahlen gegeneinander antreten zu lassen. Zudem klären sie über Optionen auf, wie sich die eigene Stimme vor Manipulation schützen lässt, und mobilisieren zur aktiven Wahlbeobachtung.

Swetlana Tichanowskaja sieht sich nicht als künftige Präsidentin, sie will lediglich den Weg ebnen für ein Weissrussland ohne Lukaschenko. Bei einer öffentlichen Wahlveranstaltung in Minsk letzte Woche fanden sich nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Wjasna bis zu 63 000 Menschen ein – so etwas hat es in der Republik schon viele Jahre nicht mehr gegeben.

Ein riskanter Affront

Lukaschenko setzt derweil auf militärische Machtdemonstration, besucht öffentlichkeitswirksam Armeeeinheiten und lässt zur Abschreckung grösserer Protestdemonstrationen Manöver abhalten. Russland beschuldigte er, zur Eskalation beizutragen. Als Beweis dafür diente die Festnahme von 33 Angehörigen der russischen Söldnertruppe Wagner in Weissrussland Ende Juli – ein hochriskanter Affront gegen den östlichen Nachbarn.

Aus Moskau war zunächst nur zu hören, die Männer hätten sich auf der Durchreise nach Istanbul befunden. Und tatsächlich wäre die Wagner-Gruppe, die in Syrien, Libyen und anderen Ländern inoffizielle Aufträge für den Kreml erfüllt, ohne Wissen des weissrussischen Sicherheitsapparats gar nicht erst ins Land gekommen. Ein Einsatz in Weissrussland scheint also wenig plausibel, durch die implizierten Verbindungen zu den russischen Kämpfern gerät die Opposition dennoch unter Druck. Dass Lukaschenko dafür gegenüber Russland unkalkulierbare Folgen in Kauf nimmt, deutet indes nicht auf ein entspanntes Heimspiel gegen angeblich so schwache Frauen hin.

ute weinmann

WOZ

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