Sattelfester Diktator

Auch wenn der Rückhalt für Alexander Lukaschenko schwindet, zeichnet sich kein Machtwechsel ab: Der Präsident hat ein Regime aufgebaut, in dem KritikerInnen niedergeknüppelt werden – und die Opposition ist sich uneins.

Ein Kleinbus mit der Aufschrift «Telekommunikation» hält an, maskierte Männer in Zivil packen eine grosse, blonde Frau und zerren sie in den Wagen. Diese Szene ereignete sich am Montag in der belarusischen Hauptstadt Minsk. Bei der entführten Person handelt es sich um Maria Kolesnikowa, Mitglied des oppositionellen Koordinierungsrats.

Kurz nach ihrer Entführung wurden in der Nacht zum Dienstag zwei weitere Angehörige des Koordinierungsrats festgenommen und in die Ukraine abgeschoben. Auch Kolesnikowa sollte ins Nachbarland abgeschoben werden, sie habe aber ihren Pass zerrissen, sagte der stellvertretende ukrainische Innenminister, Anton Geraschtschenko. Derzeit soll sich die Oppositionspolitikerin im Gefängnis befinden. Am Mittwochmorgen wurde in Minsk gemäss Medienberichten ein weiteres Ratsmitglied festgenommen.

Gescheiterter Generalstreik

Tausende Menschen protestierten nach den Wahlen vom 9. August gegen den angeblichen Wahlsieg des Alleinherrschers Alexander Lukaschenko. Die Entschlossenheit der DemonstrantInnen verschaffte der politischen Opposition unverhoffte Vorteile. In den ersten Tagen war der Präsident etwas verunsichert – er behauptet zwar, achtzig Prozent der WählerInnen hätten für ihn gestimmt, doch die Opposition spricht von massiver Wahlfälschung. Angesichts einer fehlenden legalen politischen Interessenvertretung blieb der Opposition aber nur die Option, durch Massenproteste Druck aufzubauen. Doch das Scheitern des angekündigten Generalstreiks deutete auf Zögerlichkeit hin, die sich Lukaschenko zunutze machte – er liess die Proteste niederknüppeln.
Bislang hat die Opposition Durchhaltewillen gezeigt, und trotz der Festnahmen, Polizeigewalt und Einschüchterungsversuche deutet bislang nichts darauf hin, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern wird. Allerdings führte die Ankündigung von Maria Kolesnikowa, im Namen des inhaftierten gescheiterten Lukaschenko-Herausforderers Viktor Babariko eine eigene Partei zu gründen, im oppositionellen Lager für Irritationen.

Putins Absichten

Eine interne Revolte muss Lukaschenko nicht fürchten. In seinem Regime gibt es keine eigenständigen AkteurInnen in unabhängigen Machtpositionen. Er hat dafür gesorgt, dass es gar nicht erst zu Fraktionsbildungen kommen kann. So ist an eine Transformation des Staatsapparats unter Lukaschenko nicht zu denken, das geht nur ohne ihn. Zwar schwindet sein Rückhalt in der Bevölkerung, obwohl er mit Gegendemonstrationen seiner Anhängerschaft Gegensteuer zu geben versucht. Auch die orthodoxe Kirche stellt sich nicht mehr bedingungslos hinter ihn, und im IT-Sektor, der als einzige Branche kontinuierliches Wachstum zeigt, häufen sich die Stimmen, die dafür plädieren, Unternehmen ins Ausland zu verlegen. Doch all das reicht nicht, um Lukaschenko ernsthaft zu gefährden.

Rückhalt bekommt Lukaschenko aber vom Kreml: Nach anfänglicher betonter Nichteinmischung stellt Moskau mittlerweile die Refinanzierung belarusischer Schulden in Aussicht. Für Mitte September ist in Moskau ein Treffen Lukaschenkos mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin anberaumt. Beide Länder sind durch einen Unionsstaatsvertrag verbunden, aber die Verhandlungen über viele Einzelfragen geraten immer wieder ins Stocken. Belarus ist bei Russland mit rund achtzehn Milliarden US-Dollar hoch verschuldet, generell ist die belarusische Wirtschaft von Russland abhängig, wegen Öl- und Gaslieferungen und weil es ihr Hauptabsatzmarkt ist. Auch deswegen versuchte Lukaschenko in den vergangenen Jahren, die heimische Wirtschaft dem Westen gegenüber zu öffnen.

Damit hat sich Lukaschenko allerdings aus Perspektive des Kremls als unzuverlässiger Partner gezeigt. Russland kann sich auf Lukaschenko nicht mehr verlassen – und ist deswegen an einer Lenkung des Präsidenten oder an einem Machtwechsel interessiert. Den Forderungen der DemonstrantInnen nachzugeben, wäre für Putin indes keine akzeptable Option, Neuwahlen bergen ebenfalls Risiken. Wenn die Opposition ihre Kandidatin oder ihren Kandidaten auf demokratischem Weg durchbekommt, dann könnte das auch als Modell für Russland dienen.

ute weinmann

WOZ

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