Ein belarussischer Aktivist in Kiew wehrt sich vor Gericht erfolgreich gegen seine Auslieferung
Urteilt ein ukrainisches Gericht entgegen Vorgaben des Staatsschutzes, ist das eine kleine Sensation. Am Mittwoch schlugen sich Kiewer Richter in Berufungsinstanz auf die Seite des belarussischen Antifaschisten Aliaksei Baliankou. In erster Instanz hatte sich der Sicherheitsdienst SBU durchgesetzt, der den mit einem festen Aufenthaltstitel in der Ukraine lebenden Aktivisten zu einer Bedrohung für die nationale Sicherheit erklärt hatte. Es war zu erwarten, dass Baliankou auch in zweiter Instanz unterliegt und er das Land verlassen muss. Aber: »Die Zivilgesellschaft hat einfach doch ein gewisses Gewicht«, sagte er nach dem Urteil dem »nd« mit Erleichterung in der Stimme. Anders formuliert: Solidarität zahlt sich aus.
Ein erster Abschiebeversuch fand bereits im Frühjahr statt. Am Morgen des 22. April durchsuchten Sicherheitsbehörden die Wohnung von Baliankou und parallel dazu die von Artur Kandratowitsch, einem weiteren Antifaschisten aus Belarus. Im Fall von Kandratowitsch, der in der Ukraine ein Asylverfahren durchläuft, blieb es bei verbalen Drohankündigungen. Doch Baliankou wollten die SBU-Angehörigen mitnehmen und an die Grenze nach Belarus fahren. Ihre Vorgesetzten hätten das entschieden, er könne von dort ja wieder zurück nach Kiew, lautete die fadenscheinige Erklärung. Ihre Dienstausweise zeigten die Beamten erst am Abend nach Eintreffen eines Anwalts und weiterer Unterstützer. Da war längst klar: Vor den Augen der Öffentlichkeit kommt eine stille Autofahrt als Option nicht mehr in Frage.
2014 zog es Baliankou nach Kiew auf den Maidan. Monatelange Demonstrationen vor allem auf dem Majdan Nesaleschnosti (»Platz der Unabhängigkeit«) gegen die Regierung gipfelten im Februar in der Niederschlagung der Proteste und rund 80 Toten. Der amtierende Präsident wurde schließlich abgesetzt. Baliankou blieb in Kiew, jobbte mal hier, mal da, beobachtete die erstarkende Neonaziszene, beteiligte sich an Kundgebungen gegen Polizeiwillkür, demonstrierte vor der türkischen Botschaft seine Unterstützung für die Kurden, verkaufte anarchistische Literatur. All diese politischen Aktivitäten dienten dem SBU als Begründung, um Baliankou außer Landes zu schaffen.
Aus den Gerichtsakten geht hervor, dass im März dieses Jahres weiteres belastendes Material hinzu kam, nämlich Ermittlungen, die die belarussischen Strafverfolgungsbehörden gegen den Antifaschisten im Zusammenhang mit den großangelegten Sozialprotesten in Belarus 2017 eingeleitet hatten. Baliankou soll zwei Brandsätze durch das Fenster des Finanzamts in Gomel geworfen haben. Eine entsprechende über Interpol weitergeleitete Anfrage an die ukrainischen Kollegen mit der Bitte, dessen Aufenthaltsort mitzuteilen, enthält weitere Namen von Anarchisten und einer Aktivistin, die sich in Belarus in Untersuchungshaft befinden. Ein offizieller Auslieferungsantrag gegen Baliankou wurde nicht gestellt.
Einen wesentlichen Anteil am Interesse des ukrainischen Staatsschutzes an den beiden belarussischen Antifaschisten dürften, so ihre Vermutung, lokale Rechtsextreme tragen. Baliankou und Kandratowitsch recherchierten über deren gewalttätige Übergriffe auf queere Personen, Feministinnen und Angehörige jugendlicher Subkulturen. In Podil, einem der ältesten Stadtviertel Kiews, gab es etliche solcher Vorfälle. Als einer der Täter gilt Michail Schalankewitsch, der vor seinem Umzug in die Ukraine der Gruppierung des in Haft verstorbenen russischen Neonazis Maxsim Martsinkewitsch angehörte. Letzteren wiederum verband eine enge Freundschaft mit Sergej Korotkich, bekannter als Botsman oder Maljuta.
Baliankou wird überwacht
In Russland geboren und in Belarus aufgewachsen, diente Korotkich dort zunächst bei Sondereinsatzkräften, stieg später zu einer der Führungsfiguren in der russischen Neonaziszene auf und kämpfte schließlich im ukrainischen Freiwilligenregiment Asow, wofür ihn die Kiewer Führung mit einem ukrainischen Pass belohnte. Maljuta ist mit dem Sohn des kürzlich zurückgetretenen langjährigen Innenministers Arsen Awakow befreundet, was Antifaschisten als eine Art Freibrief für kriminelle Machenschaften werten. Baliankou bemerkte im November, dass sein Wohnhaus überwacht wird. »An mich wurde herangetragen, dass Maljuta über mich ›Bescheid weiß‹.« Die Verhandlung diese Woche musste um einen Tag verschoben werden, weil Neonazis den Eingang zum Gericht blockierten.
Maksym Butkewych, Koordinator des Projekts »Ohne Grenzen«, der die Kampagne für Baliankou begleitete, spricht von einer unerwarteten Entscheidung mit Signalwirkung. »Offizielle Auslieferungsverfahren sind eher selten«, erklärt der Asylexperte dem »nd«. Der Aufwand sei den Behörden zu hoch, zudem griffen gesetzliche Schutzmaßnahmen, weshalb sie einen Umweg nutzten, der durch eine Gesetzeslücke gedeckt werde. Bei einer Abschiebung auf Initiative des SBU habe dieser lediglich die Staatsanwaltschaft zu informieren. Den Betroffenen bleibe dann meist nur ein Tag, bis sie zur Grenze gefahren werden. »Solche Fälle kommen vor, nicht nur in Bezug auf belarussische Staatsbürger.« Nun sei es erstmals gelungen, durch rechtzeitiges Eingreifen von Anwälten eine solche Abschiebung zu verhindern.
ute weinmann