Moskauer Rektor bleibt in Haft

Russische Behörden gehen gegen den Leiter der renommierten Privatuniversität »Schaninka« vor

Sergej Sujews Chancen auf ein Leben außerhalb enger Gefängnismauern sind auf ein Minimum gesunken. Das Moskauer Stadtgericht entschied am Dienstag über die Rechtmäßigkeit, den Rektor der Moskauer Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften vorerst bis zum 7. März in Untersuchungshaft zu belassen. Ginge es nach objektiven Kriterien, hätte der 67jährige an dem Tag nach Hause gehen können.

Bald nach seiner Verhaftung am 13. Oktober musste er sich einer Bypass-Operation unterziehen, in Haft fehlt ihm indes der Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung. Vor einem Monat wandten sich dutzende Mitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften mit einem offenen Unterstützerbrief an Präsident Wladimir Putin, insgesamt über 3000 Menschen unterzeichneten Aufforderungen Sujew freizulassen. Die Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa setzte sich persönlich für ihn ein und bei einem Treffen mit dem Menschenrechtsrat Anfang Dezember sagte sogar Putin, er sehe keine Notwendigkeit den Rektor «hinter Gittern» zu belassen.

Für Sergej Sujew geht es buchstäblich ums Überleben. Dass er schwerkrank ist, zweifelt selbst bei der Gefängnisbehörde niemand an. Zunächst stand er unter Hausarrest, aber im November hob das Moskauer Stadtgericht die Entscheidung der ersten Instanz auf. «Die Strafermittlungsorgane wollen, dass er in Haft sitzt, um ihn dazu zu bringen, belastende Aussagen gegen sich und andere zu machen», lautet die Einschätzung von Grigorij Judin im Gespräch mit dem nd. «Ein schlechter Gesundheitszustand gilt ihnen als geeignetes Pfand dafür.» Er ist Professor und Leiter des Programms «Politische Philosophie» an Sujews Hochschule, in Kurzform einfach nur Schaninka genannt. Die Ermittlungsakten enthielten keinerlei belastendes Beweismaterial und nun warteten die Strafermittler einfach ab, bis Sujew die gewünschten Aussagen liefere.

Dabei ist er nur Mittel zum Zweck, ein Bauernopfer. Das Strafverfahren läuft wegen Betrugs in besonders schwerem Ausmaß. Umgerechnet etwa 250 000 Euro aus der Staatskasse, die zu Forschungszwecken im Bildungsbereich bereit gestellt worden waren, sollen er und weitere fünf Verdächtige veruntreut haben. Im Zentrum der Ermittlungen steht die ehemalige stellvertretende Bildungsministerin und unlängst noch Vize-Chefin der Sberbank Marina Rakowa. Die ambitionierte 37jährige legte eine steile Karriere hin — welchen Personen sie diese zu verdanken hat bleibt nebulös, als sicher gilt lediglich, dass zu ihren Förderern sowohl der stellvertretende Regierungschef Andrej Belousow, als auch der Vorstandsvorsitzende der Sberbank German Gref zählten. Ihr Verhältnis zu Olga Wasiljewa, der vormaligen Bildungsministerin, soll extrem konfliktbeladen sein. Ansonsten galt sie in ihrem Umfeld als dynamische Figur, über deren Schreibtisch Projekte mit Milliardenbeträgen abgewickelt worden waren.

Der Bildungssektor wirft riesige Gewinne ab, doch die Profiteure bleiben lieber im Dunkeln. So ist nicht vollständig geklärt, wem der Prosweschtschenije-Verlag gehört, der sämtliche Schulen Russlands mit Lehrbüchern und allen für den regulären Betrieb notwendigen Materialen beliefert. Konkurrenz ist auf dem staatlichen Bildungsmarkt nicht mehr vorgesehen, Aufklärung hat zentral zu erfolgen. Die Kontrolle über das verschachtelte Monopolunternehmen liegt, soweit sich das überhaupt nachverfolgen lässt, vermutlich bei den Brüdern Arkadij und Boris Rotenberg — beide enge Weggefährten des russischen Präsidenten.

Bekannt ist hingegen, dass 75 Prozent der Anteile im vergangenen Jahr formal ihren Besitzer wechselten, ein Drittel davon ging an die Sberbank. Gref arbeitet seit geraumer Zeit an einer Diversifizierung seines Geschäftsmodells und zeigte sich offenbar an einer kompletten Verlagsübernahme interessiert mit Rakowa als designierter Leiterin. Der Deal kam nicht zustande, Rakowa wurde von der Sberbank allerdings in den neu geschaffenen Verwaltungsrat berufen, der erstmals im vergangenen Juli tagte. Zu dem Zeitpunkt liefen gegen Rakowa bereits Vorermittlungen, seit Oktober befindet sie sich in Haft.

Russische Gerichte und das Strafverfolgungssystem dienen längst nicht nur zur Ausschaltung politischer Oppositioneller. Den weitaus größeren Teil der Verfolgten stellen jene, die einflussreichen Personen bei der Profitumverteilung im Weg stehen. Dass dabei auch Leute wie Sujew unter die Räder kommen, hat einen symptomatischen Nebeneffekt: Im Hochschulwesen wächst die Angst vor der Annahme staatlicher Fördergelder, ohne die keine Universität existieren kann.

ute weinmann

nd

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