Gericht löst Memorial auf

«Auflösung» — so lautet das Verdikt des Obersten Gerichts in Moskau. Am 28. Dezember endete damit ein kurzer Prozess gegen Memorial International, die älteste nichtstaatliche Organisation im postsowjetischen Russland. Innerhalb von 30 Tagen kann diese Entscheidung angefochten werden.

An den wenigen vorangegangenen Verhandlungstagen ging es noch um den formalen Anlass für dieses Verfahren. Memorial wird vorgeworfen, als in das Register für sogenannte ausländische Agenten eingetragene Struktur vorsätzlich gegen gesetzlich vorgeschriebene Auflagen verstoßen zu haben. Konkret sind damit fehlende Markierungen auf Publikationen in Papierform und im Internet gemeint, einschließlich aller Einträge in sozialen Netzwerken. Gegen Memorial wurden deshalb in den letzten Jahren etliche Geldstrafen verhängt. Die Organisation versuchte so weit als möglich alle Regelverstöße zeitnah zu beseitigen, doch kamen immer neue Forderungen hinzu. Die gesetzlichen Grundlagen sind derart allgemein gehalten, dass man sich selbst bei gewissenhafter Erfüllung aller Vorgaben nie auf der sicheren Seite wägen darf.

Die Verteidigung legte vor Gericht auch die problematische Rechtsgrundlage für das gesamte Auflösungsverfahren dar. Gehört wurde sie nicht. Am Dienstag schließlich nannte Staatsanwalt Aleksej Schafjarow die wohl eigentlichen Beweggründe: Memorial International schaffe ein verlogenes Bild der Sowjetunion als terroristischer Staat und verunglimpfe das Andenken an den Zweiten Weltkrieg und werde dafür sogar noch bezahlt. Auch das Reinwaschen von Naziverbrechern sei Teil der Agenda.

Bei einem Treffen von Präsident Wladimir Putin mit Mitgliedern des Menschenrechtsrats Anfang Dezember ging es auch um das Verfahren gegen Memorial. Putin argumentierte, dass sich in der Memorial-Liste historischer Opfer des stalinistischen Terrors auch drei Nazikollaborateure befänden. Diese enthält über drei Millionen Namen, aus der Memorial bei einer Überprüfung die besagten jedoch schon vor Monaten gestrichen hatte.

Bereits am Montag verurteilte ein Gericht im karelischen Petrosawodsk den Memorial-Historiker Jurij Dmitrijew, der Massengräber in der Region ausfindig gemacht hatte, zu 15 Jahren Haft wegen Pornographie. Im Kreuzfeuer der russischen Justiz steht auch das Menschenrechtszentrum von Memorial. Dass sich das Moskauer Stadtgericht am 29. Dezember gegen dessen Auflösung ausspricht, ist höchst unwahrscheinlich. Zudem steht in diesem Fall ein Entscheid über den Vorwurf der Rechtfertigung von Terrorismus und Extremismus an.

ute weinmann

nd

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