Wahlen in Tschetschenien: Der Kreml bevorzugt den Interimspräsidenten Kadyrow und räumt dessen aussichtsreichste Rivalen aus dem Weg.
Am 5. Oktober finden in Tschetschenien Präsidentschaftswahlen statt. Doch eine Woche vor dem großen Ereignis haben die russischen Medien das Interesse daran fast gänzlich verloren. Dies nimmt kaum Wunder: Die Wahlen haben ihre Funktion bereits erfüllt, noch bevor sie überhaupt stattgefunden haben. Im Unterschied zu den Wahlen im Jahr 1997, denen Friedensverhandlungen und das Abkommen von Chasawjurt vorangingen, findet das diesjährige Spektakel unter realen Kriegsbedingungen statt. Der Status Quo soll formal abgesegnet werden, um vor den russischen Dumawahlen und den im März 2004 folgenden Präsidentschaftswahlen unter Beweis zu stellen, dass die herrschende Elite die Situation im Griff hat und somit die Gunst der Wähler verdient.
Aus den Wahlen von 1997 ging der gemäßigte Separatistenführer Aslan Maschadow noch als Sieger hervor.Aber dieses Mal tritt er erst gar nicht mehr an. Er soll unlängst ein Zeichen seiner Kapitulation abgegeben haben: Angeblich hat er die Kämpfer der separatistischen Einheiten dazu aufgefordert, nach Westeuropa abzuziehen.
Dies klingt ebenso absurd wie ein angebliches Impeachment des tschetschenischen Parlaments gegen Maschadow. Dieses Gerücht hatte der ehemalige Sprecher des Parlaments, Isa Temirow, in die Welt gesetzt, ohne schriftliche Beweise dafür vorzulegen. Er gilt in Separatistenkreisen als Mann des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB.
Als im Juni dieses Jahres erste Umfragen zur Popularität möglicher Präsidentschaftskandidaten stattfanden, stand der Moskauer Geschäftsmann Malik Sajdullajew mit 20 Prozent an der Spitze, noch vor Ruslan Chasbulatow und Aslanbek Aslachanow. Achmed Kadyrow, der einstige Großmufti von Tschetschenien und derzeitige Interimspräsident, der sein Amt dem Kreml verdankt, nahm mit 12,5 Prozent lediglich den vierten Platz ein. Heute mag an Kadyrows Wahlsieg niemand mehr zweifeln.
Chasbulatow, bei diesen Umfragen noch Nummer zwei, der vor genau zehn Jahren als Vorsitzender des Obersten Sowjets unter Boris Jelzin eine herbe Niederlage hinnehmen musste und inzwischen als Wirtschaftsprofessor tätig ist, kandidiert nicht. Es seien keine fairen Bedingungen für den Wahlkampf zu erwarten, lautete seine Begründung.
Die Bestätigung ließ nicht lange auf sich warten. Von den elf registrierten Kandidaten blieben Mitte September nur sieben übrig. Nach einem Gespräch mit einem nicht genannten Vertreter aus Putins Präsidialadministration nahm als erster der Geschäftsmann Hussein Dzhabrailow von seinen Plänen Abschied. Aslachanow bekam ein Angebot aus dem Kreml für ein noch zu schaffendes hohes Amt, welches auszuschlagen wohl unerwünschte Folgen für seine weitere politische Karriere gehabt hätte. Der letzte chancenreiche Konkurrent des Kremlfavoriten Kadyrow, Malik Sajdullajew, wurde mittels einer Klage des ebenfalls bei den Wahlen antretenden Nikolaj Pajzullajew, seines Zeichens Mitarbeiter des Pressedienstes von Kadyrow, ausgeschaltet.
Die Klage eines weiteren Kandidaten gegen Kadyrow selbst, er habe Gelder aus dem Staatshaushalt veruntreut und diese zur Deckung der Wahlkampfkosten verwendet, wies der Oberste Gerichtshof hingegen als unbegründet zurück
Zur Imageaufbesserung Kadyrows fanden zudem fast gleichzeitig erste Gespräche über den Auszahlungsmodus der längst überfälligen Entschädigungsleistungen für den Verlust von Wohnraum während der Kriegshandlungen statt. Dafür stünden aus dem russischen Haushalt nach Angaben des russischen Tschetschenienministers Stanislaw Iljasow rund 20 Milliarden Rubel (umgerechnet etwa 580 Millionen Euro) zur Verfügung.
Die Liste der administrativ-bürokratischen Maßnahmen, die den Wahlsieg Kadyrows garantieren sollen, ließe sich beliebig fortsetzen. Bislan Gantamirow, tschetschenischer Presseminister, alter Verbündeter des Kreml und gleichzeitig Gegenspieler Kadyrows, wurde Anfang September durch die Zusammenlegung seines Ministeriums mit dem Ministerium für Nationalitätenfragen kurzfristig seines Amtes enthoben, nachdem er Hussein Dzhabrailow seine Unterstützung im Wahlkampf zugesichert hatte. Unmittelbar darauf nahmen Einheiten des Sicherheitsdienstes von Kadyrow das Gebäude der staatlichen Fernseh- und Rundfunksender unter ihre Kontrolle. Acht tschetschenische Zeitungen mussten ihr Erscheinen einstellen.
Aber auch ohne diese faktische Beschlagnahmung medialer Ressourcen dürfte kaum jemand ernsthaft damit gerechnet haben, auf legalem Weg die realen Machtverhältnisse in der Kaukasusrepublik mitzubestimmen oder gar zu verändern. Denn im Kriegszustand zählt letztlich, wessen Munitionsvorrat länger hält.
Dies versteht auch die tschetschenische Bevölkerung nur allzu gut, und schon allein deshalb werden sich die nötigen Wählerstimmen finden. Die Zeit der willkürlichen Säuberungen und gezielten Racheakte unter der Zivilbevölkerung ist längst nicht vorüber. Nur hat sich seit geraumer Zeit neben den bewaffneten Gruppen der Separatisten und den föderalen Armee- und Milizeinheiten eine dritte Kraft etabliert: die von Kadyrows Sohn Ramzan angeführten Sondereinheiten des Interimspräsidenten. Die aus etwa 2 000 Mann bestehenden Einheiten sollen sich nach Angaben der Journalistin Anna Politkovskaja zumindest teilweise aus amnestierten Angehörigen der separatistischen Truppen rekrutieren. Fakt ist jedoch, dass sich Kadyrow durch den Terror seiner Privatarmee eine Macht sichert, die ihm der Kreml kaum zugestehen würde bzw. könnte. Auch ökonomisch hat Kadyrow etwas zu bieten: Er ist der Hauptlieferant von Wodka für die russischen Soldaten; der Schnaps wird in seiner Herkunftsstadt Tsentoroi abgefüllt und ist bei den Truppen als »Kadyrowka« bekannt.
Dass die russische Regierung derzeit Kadyrow bevorzugt, liegt angesichts seiner Funktion als Interimspräsident auf der Hand. Dennoch verkörpert er sicherlich nicht den idealen Partner Russlands in Tschetschenien. Er ist alles andere als zuverlässig. In seiner Zeit als Mufti rief er zum Jihad gegen Russland auf, was ihm das politische Establishment in Russland nach wie vor übel nimmt. Er ist machthungrig und unberechenbar. Und letztlich kontrolliert er die Lage in der Kaukasusrepublik insgesamt genauso wenig wie die föderalen Truppen.
Nicht zuletzt deshalb musste er zwischenzeitlich um seinen zukünftigen Posten als Präsident bangen. Denn die andauernden Machtkämpfe innerhalb des Kreml spiegeln sich auch in Tschetschenien wider. Doch war die Suche nach einer politischen Alternative bislang nicht von Erfolg gekrönt, und Kadyrow kann sich zumindest der Unterstützung Alexander Woloschins, des mächtigen Chefs der russischen Präsidialverwaltung, sicher sein. Doch sollten Woloschin und seine Verbündeten sich in Zukunft umorientieren wollen, dürfte es ihnen nicht leicht fallen, Kadyrows Macht zu brechen.
Auf internationale Beteiligung von Wahlbeobachtern aus anderen Staaten wird Moskau dieses Mal verzichten müssen. Sowohl die OSZE als auch das Europaparlament haben sich »aus organisatorischen Gründen« bzw. »mangels Garantien für die Sicherheit ihrer Mitarbeiter« gegen eine Wahlbeobachtung ausgesprochen.
Russische Bürgerrechtler begründen ihre Nichtteilnahme als Beobachter hingegen politisch und verurteilen die Wahlen ebenso wie ein Zusammenschluss tschetschenischer Nichtregierungsorganisationen. Ludmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki-Menschenrechtsgruppe etwa erklärte: »Das ist keine Wahl, sondern eine Farce.« Doch ob mit oder ohne Wahlen: An den realen Verhältnissen in Tschetschenien wird sich vorläufig nichts ändern.
Ute Weinmann