Die Wahl der Waffen

Am Sonntag wird in Tschetschenien ein neues Parlament gewählt. Die besten Chancen haben die Vertreter der pro-russischen Milizen.

Tschetschenien verfügt zwar über alle Institutionen, die eine zur Russischen Föderation gehörige Republik ausmachen. Es existiert eine Verfassung, eine Regierung und ein Präsident. Die Legitimität dieser Regierung mit Sitz in Grosny ist jedoch ebenso fragwürdig wie die der separatistischen Führung, die in den tschetschenischen Bergen und im Exil residiert.

Der Kreml sieht dies im ersten Fall anders und segnete die für den 27. November geplante Parlamentswahlen ab. Erstmals seit Januar 1997 soll in Tschetschenien nun wieder eine eigene Legislative geschaffen werden. Mit diesem Schritt vollzieht die russische Führung die formalrechtliche Machtübergabe an den lokalen Staatsapparat, dies wird als letzter Schritt des vor drei Jahren eingeleiteten »Normalisierungsprozesses« betrachtet.

Diese Normalisierung bedeutet indes mitnichten die Beendigung des faktisch weiter andauernden Kriegszustandes, vielmehr wird der Konflikt zu einer innertschetschenischen Angelegenheit erklärt. Die Anzahl groß angelegter Kampfoperationen ist merklich zurückgegangen, wenngleich russische Armeetruppen und Sondereinheiten des Moskauer Innenministeriums nach wie vor »Säuberungsaktionen« durchführen.

Doch nicht weniger gefürchtet sind die zahlreichen brutal agierenden tschetschenischen Einheiten, deren Zuordnung zu bestimmten russischen oder tschetschenischen Behörden oder lokalen Machtstrukturen sich immer weniger nachvollziehen lässt. Teils handelt es sich um kleinere Gruppierungen, die lediglich ein beschränktes Territorium kontrollieren, teils um äußerst einflussreiche und durch den Kreml gedeckte Milizen, wie beispielsweise das Batallion Wostok (dtsch. Osten) von Sulim Jamadajew. Doch allen voran agiert der zum »Helden Russlands« gekürte Ramzan Kadyrow, der erste Vizepremierminister Tschetscheniens und Sohn des im vergangenen Jahr bei einem Anschlag ermordeten damaligen tschetschenischen Präsidenten Achmed Kadyrow.

Kadyrow Junior hat sich in Tschetschenien weithin als Schlächter einen Namen gemacht. Seine halb offiziellen Truppen sind Schätzungen zufolge für rund 70 Prozent der Vorfälle verantwortlich, bei denen Zivilisten spurlos verschwinden. Nach Angaben russischer Menschenrechtsorganisationen ist der Verbleib von beinahe 1 000 seit 2002 »Verschwundener« bislang ungeklärt. Allein im vergangenen Oktober sollen 116 Menschen entführt worden sein. Besonders gefährdet durch gezielte Racheaktionen sind Personen, deren Klagen gegen Russland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verhandelt werden.

Umfragen zufolge sind in Tschetschenien über zwei Drittel der Bevölkerung davon überzeugt, dass nicht die knapp 600 000 Wahlberechtigten die Zusammensetzung des Parlaments bestimmen werden, sondern niemand anders als Kadyrow. Dabei spielt es keine Rolle, dass dieser selbst weder kandidieren wird noch sich offen für eine der acht zur Wahl stehenden Parteien ausspricht.

Von einem Wahlkampf mit programmatischen Aussagen profilierter Politiker zu sprechen, wäre ohnehin verfehlt. Brisante Themen wie die Sicherheit der Zivilbevölkerung wagt niemand offen anzusprechen. Doch um das Parlament repräsentativ erscheinen zu lassen, dürfen, ja sollen verschiedene Parteien vertreten sein.

Aussicht auf Erfolg haben Parteien, deren obere Listenplätze bekannte Apparatschiki in Absprache mit den Chefs der einflussreichsten bewaffneten Gruppierungen einnehmen. Das Industrie- und Energieministerium beispielsweise ist durch die tschetschenische Filiale der Union der Rechten Kräfte (SPS) vertreten. Magomed Hambijew, der ehemalige Verteidigungsminister der von Moskau nicht anerkannten separatistischen Regierung, soll den Rückhalt der SPS in den Hochburgen der Separatisten im Süden sichern. Hambijew kandidierte nicht ganz freiwillig, Kadyrows Truppen hatten vorsorglich einige Dutzend seiner Familienangehörigen entführt. Die Partei Rodina (Heimat) hat den vormals mächtigen Gegenspieler Kadyrows und ehemaligen Bürgermeister von Grosny, Bislan Gantemirow, in ihre Reihen aufgenommen. Faktisch dürfte das neue Parlament damit zu einer Institution werden, in der sich Apparatschiki und Milizenführer politische Schaukämpfe liefern und ihre Fraktionskämpfe austragen können.

Auch das Einige Russland, die Hauspartei des russischen Präsidenten Wladimir Putin, kandidiert in Tschetschenien. Sie trumpft mit 29 000 Mitgliedern in der kleinen Republik und einem flächendeckenden Netzwerk auf. Parteiaktivitäten werden finanziell oder mit Dienstleistungen honoriert, und allein der Besitz des Parteibuches zahlt sich aus, da es an den zahlreichen durch russische Einheiten kontrollierten Straßensperren quasi Immunität verleiht, während normale Sterbliche im Regelfall eine Art Wegezoll bezahlen oder mit Übergriffen rechnen müssen. Die Partei wird vom Jamadajew-Clan kontrolliert.

Es ist zu erwarten, dass die offiziellen Beobachter aus den überwiegend diktatorisch oder autokratisch regierten Gus-Staaten wie gewöhnlich am Wahlverfahren nichts auszusetzen haben und die Ergebnisse absegnen werden. Der Europarat wird zwar Vertreter schicken, will jedoch die Wahlen nicht per se durch eine offizielle Delegation zur Wahlbeobachtung legitimieren.

Allerdings scheint innerhalb der Europäischen Union die Unterstützung für die Vertreter der Exilregierung zu schwindend. Durch die erneute Aufnahme des für zahlreiche Terroranschläge verantwortlichen islamistischen Warlords Schamil Bassajew in die tschetschenische Parallelregierung nach dem Tod des ehemaligen Präsidenten Aslan Maschadow im März dieses Jahres hat sich die separatistische Führung endgültig als potenzieller Verhandlungspartner diskreditiert. Doch Verhandlungen sind ohnehin nicht in Sicht, wahrscheinlich wird sich der Westen früher oder später zu einer engeren Kooperation mit der derzeitigen tschetschenischen Führung in Grosny entschließen.

Diese wird durch die Parlamentswahlen weiter gestärkt. Dies ist im Kreml einerseits zwar durchaus gewollt, denn die Verantwortung für die weiter andauernde ökonomische und soziale Misere in der Republik kann von nun an komplett dem tschetschenischen Machtapparat zugeschoben werden. Andererseits erwachsen daraus neue Probleme. Denn Kadyrows Regierung ist zwar nicht separatistisch, fordert jedoch innerhalb der Russischen Föderation bereits jetzt weitreichende Vollmachten ein, die über das bislang vom Kreml tolerierte Maß an Eigenständigkeit bei den autonomen Teilrepubliken Tatarstan und Baschkortostan weit hinausgehen.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2005/47/16433.html

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