Putin ernannte Ramsan Kadyrow, den einflussreichsten Warlord Tschetscheniens, zum Präsidenten. In den Bergregionen ist der Krieg noch nicht beendet.
Auch in Tschetschenien kann es aufwärts gehen, wenn nur der richtige Mann regiert, glaubt Ramsan Kadyrow. »Sollte ich Präsident werden, werde ich zumindest Russland beweisen, dass Ordnung geschaffen werden kann«, prophezeite er, als er noch Premierminister war. »Dann beweise ich, dass Tschetschenien die stabilste, friedlichste und blühendste Region der Russischen Föderation sein wird.«
Kadyrow hatte zwar lange Zeit betont, er habe »keinerlei Ambitionen in Bezug auf das Präsidentschaftsamt«, doch das war noch weniger glaubwürdig als seine Ankündigung, »blühende Landschaften« zu schaffen. Anfang März wurde er Präsident Tschetscheniens, obwohl die Amtszeit seines Vorgängers Alu Alchanow noch nicht abgelaufen ist.
Alchanow befand sich indes bereits seit geraumer Zeit auf verlorenem Posten. Der aus dem Polizeiapparat hervorgegangene ehemalige Innenminister hat bei seinen vergeblichen Versuchen, sich gegen seinen allseits präsenten Konkurrenten Kadyrow zu behaupten, sicherlich wenig Freunde im politischen Establishment gewonnen. Die Clanführer störte vor allem seine Kritik am dominierenden Clanwesen. »Nicht nur die Tschetschenische Republik, sondern alle nordkaukasischen Republiken brauchen Reformen, die geeignet sind, das primitive politische System zu verändern, welches auf dem Clanprinzip aufbaut.«
Der mächtigste Clanführer Tschetscheniens ist Ramsan Kadyrow. Er stellte durch das eigenmächtige Überschreiten seiner Befugnisse und die Anwendung von Gewalt unter Beweis, dass es zu seiner Präsidentschaft derzeit keine Alternative gibt. Ernst zu nehmende politische Widersacher gibt es nicht mehr, einige Konkurrenten wurden ermordet, andere erpresst, bedroht oder gekauft. Der Sohn des ehemaligen Großmuftis und Präsidenten Achmat Kadyrow, der seinerseits am 9. Mai 2004 von Unbekannten bei einem Sprengstoffanschlag getötet wurde und mittlerweile als Kultfigur verehrt wird, ließ sich in einer effektiven Propagandakampagne als Friedensbringer und Wohltäter preisen. Um die letzte Hürde zu nehmen, musste Ramsan Kadyrow nur abwarten. Die tschetschenische Verfassung legt fest, dass nur Präsident werden kann, wer das 30. Lebensjahr vollendet hat. Das tat Kadyrow am 5. Oktober 2006.
Im Gegensatz zu einem wesentlichen Teil der Oligarchie in der Nordkaukasusrepublik hat Alchanow niemals zum Jihad gegen Russland aufgerufen. Doch die Loyalität wurde ihm nicht gedankt, Präsident Wladimir Putin zog Ramsan Kadyrow vor, der sich zwar als 16jähriger dem Kampf gegen Russland anschloss, dessen Milizen aber entscheidend zur Schwächung der separatistischen Bewegung beitrugen, nachdem er die Seiten gewechselt hatte. Die Regierung in Moskau lässt Kadyrow nicht nur seine gewalttätigen Exzesse durchgehen, sie duldet sogar, dass er hin und wieder Menschenrechtsverletzungen russischer Sicherheitskräfte kritisiert.
Auf einer Pressekonferenz am 1. Februar verband Putin alle sichtlichen Verbesserungen in der Tschetschenischen Republik mit dem damaligen Premierminister Kadyrow, den damals noch amtierenden Präsidenten Alchanow erwähnte er mit keinem Wort. Damit war der Weg frei für Kadyrow, es verging gerade mal ein Monat, bis Putin den einflussreichsten Warlord Tschetscheniens offiziell zum Präsidenten ernannte. Die Zustimmung des tschetschenischen Parlaments war dann nur noch eine Formsache.
Offiziell tritt Kadyrow sein Amt erst am 5. April an, doch so lange mochte er nicht warten. Mit einflussreichen Posten im Staatsapparat bedachte er Familienangehörige und enge Vertraute, an deren Loyalität kein Zweifel besteht. Zum Premierminister stieg Kadyrows Cousin Odes Bajsultanow auf, Bürgermeister von Grosny wurde Muslim Chutschijew, der nicht nur die tschetschenische Sektion der neuen Kremlpartei »Gerechtes Russland« anführt, sondern überdies Vizepräsident der Achmat-Kadyrow-Stiftung ist. Diese Stiftung, die sich Ramsan Kadyrow zufolge durch eigene geschäftliche Aktivitäten und Spenden »aller, die der der Republik helfen wollen«, finanziert, stellt ihm ein inoffizielles weiteres Budget zur Verfügung.
Doch Korruption und dubiose Geschäftspraktiken gehören zu den geringfügigsten Vorwürfen gegen Kadyrow. Seine Kritiker verweisen vor allem auf die zahlreichen Entführungen, für die in den vergangenen Jahren vor allem Kadyrow unterstellte Einheiten der tschetschenischen Sicherheitskräfte verantwortlich waren. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial zählte zwischen 2002 und 2006 insgesamt 1 976 Entführungen. 190 Leichen wurden entdeckt, von etwa der Hälfte der Entführten fehlt bis heute jede Spur, und längst nicht alle Fälle werden überhaupt öffentlich bekannt.
Seit Jahresanfang hat sich die Situation plötzlich verbessert. Die Zahl der Entführungen sank spürbar, und die bekannt gewordenen Fälle werden nun mit tschetschenischen Einheiten in Verbindung gebracht, die dem russischen Verteidigungsministerium unterstehen, wie das berüchtigte Bataillon Wostok. Im Januar rief Kadyrow die Kommandeure seiner Einheiten zusammen, er soll ihnen Entführungen bis auf weiteres verboten haben. Damit bewies er zwar, dass er seine Truppen unter Kontrolle hat, bestätigte aber auch die Vorwürfe seiner Kritiker. Kadyrow ist bemüht, sein Image zu verbessern, doch das bedeutet nicht unbedingt, dass er Entführungen und Morden als Mitteln der Herrschaftssicherung dauerhaft entsagen wird.
In Tschetschenien wird saniert und renoviert, vielleicht werden sogar die Telefonleitungen wieder instandgesetzt. Jeder Erfolg beim Wiederaufbau wird als persönliche Leistung Kadyrows gefeiert. Wenn es um größere Projekte geht, wie bei der Wiedereröffnung des Flughafens in Grosny, ist sein Auftritt ein Teil der Inszenierung. Kadyrow hat Sinn für PR-Gags: Da der Flughafen am Internationalen Frauentag wieder in Betrieb genommen wurde, durften Frauen gratis fliegen. Im Alltag der meisten Tschetschenen hat sich jedoch wenig geändert.
Der Krieg in Tschetschenien, der von beiden Seiten mit äußerster Brutalität geführt wurde, hat selbst nach konservativen Schätzungen 15 Prozent der Bevölkerung das Leben gekostet. Die meisten Überlebenden flohen nach Grosny, wo derzeit etwa zwei Drittel der tschetschenischen Bevölkerung leben. Die Normalisierung der Verhältnisse beschränkt sich auf die Stadt und die umliegenden Ebenen.
In den Bergregionen dagegen geht der Krieg weiter, wenn auch mit geringerer Intensität als früher. Russische Truppen bombardieren Dörfer, viele junge Männer schließen sich deshalb den Separatisten an, die Mehrheit der Bevölkerung flieht aus dem Kampfgebiet in Richtung Flachland. Auf Anordnung Kadyrows wird ihnen in ihren neuen Aufenthaltsorten die Registrierung verweigert, die eine Voraussetzung für die Auszahlung von Renten und Sozialhilfe ist. Andere legale Einkommensquellen gibt es kaum, reguläre Erwerbsarbeit ist in Tschetschenien eine Randerscheinung.
Kadyrows Klientelpolitik dürfte daran nichts ändern. Doch Widerstand aus der Bevölkerung muss er wohl nicht fürchten, denn politische Alternativen gibt es nicht, und die meisten unter seiner Herrschaft lebenden Tschetschenen sind froh, dass der Krieg, zumindest für sie, zu Ende ist.
Ute Weinmann