Dem Krieg folgt die PR. Russland — zwei Monate nach dem Ende der Kampfhandlungen in Südossetien

Zwei Monate nach dem fünftägigen Kriegsintermezzo in Südossetien hat sich das öffentliche Interesse in Russland an dessen Auswirkungen für die gesamte Region sichtlich gelegt. Nachrichten über Panikverkäufe an der russischen Börse und einen drohenden Wirtschaftskollaps haben den Kaukasus in Russlands Medien wieder zurück an die Peripherie verdrängt. Genugtuung und Zufriedenheit hinsichtlich der – alles in allem voraussehbaren – Überlegenheit der russischen Streitkräfte über den georgischen Aggressor, überdauerten nur einen kurzen Zeitraum.
Am Rande bleibt das von Russland und einigen wenigen anderen Ländern als eigenständiger Staat anerkannte Streitobjekt Südossetien dennoch weiter im Blickpunkt. Im Vordergrund steht dabei weniger die Situation der Bevölkerung in der Kaukasusrepublik, als die Interpretation der Kriegshandlungen der georgischen Truppen. Um den ungeliebten georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili in möglichst negativem Licht zu präsentieren, und gleichzeitig die positive Rolle des russischen Militärs als Schutzmacht in dem jüngsten Konflikt unhinterfragt hervorzuheben, lautet der Hauptvorwurf gegenüber der georgischen Führung auf Völkermord an der südossetischen Bevölkerung.

Insbesondere das Internet ist voller Augenzeugenberichte, die diese These bestätigen sollen. Auf der Seite http://osgenocide.ru/, aber auch auf zahlreichen russischsprachigen Webblogs sind Erzählungen von Menschen zu finden, die nach dem militärischen Angriff georgischer Truppen ihre Häuser verlassen mussten und deren Bekannte oder Verwandte ihr Leben verloren. Meist dominieren in den Berichte Emotionen, selten weisen sie dagegen die nötigen Einzelheiten auf, um als Beweise für die Völkermordthese herhalten zu können. Weniger Verbreitung erfahren indes Berichte von Menschenrechtsorganisationen, die teils noch vor Beendigung der Kriegshandlungen im August, teils etwa einen Monat später eine Bestandsaufnahme der Verhältnisse vor Ort vornahmen. Deren Ergebnisse spiegeln eine differenziertere Einschätzung wider als in den offiziellen Medien und größtenteils im Internet anzutreffen.

Nach Abschluss einer über einen Monat andauernden Untersuchung stufte das Ermittlungskomitee der russischen Staatsanwaltschaft, wie zu erwarten war, das Vorgehen der georgischen Armee als Völkermord ein. „Die im Rahmen der Ermittlungen erbrachten Angaben lässt die eindeutige Schlussfolgerung zu, dass das Ziel der Aggressoren in der vollkommenen Vernichtung der nationalen Gruppe der in Südossetien lebenden Osseten bestand“, zitierte die Nachrichtenagentur Interfax den Leiter des Ermittlungskomitees, Alexander Bastrykin. Außerdem sei erwiesen, dass die georgische Seite im Falle einer erfolgreichen Besetzung in Südossetien eine Marionettenregierung errichten wollte. Russland ist entschlossen, die Völkermordsversion auch vor einem internationalen Kriegstribunal zu verfechten. Ob die Beweislage dafür ausreicht darf allerdings bezweifelt werden.

Moskaus Bürgermeister Jurij Luzhkow betreibt derzeit vor dem Hintergrund der Anerkennung Südossetiens durch Russland Publicity in eigener Sache. Er vertritt die Ansicht, dass der Beitritt Südossetiens zum Staatsgebiet der Russischen Föderation „de facto“ bereits vollzogen sei. Die Umsetzung „de jure“ brauche indes Zeit, da die Voraussetzungen dafür noch nicht gegeben seien. Früher oder später werde ein Referendum aber zugunsten der Vereinigung Nord- und Südossetiens innerhalb Russlands entscheiden. Da ist sich Luzhkow ganz sicher. Die Moskauer Stadtregierung hatte 2,5 Milliarden Rubel, umgerechnet knapp 70 Millionen Euro, für den Bau von Wohnhäusern in Zschinwali bereit gestellt. An humanitären Hilfsprojekten beteiligen sich daneben auch hauptstädtische Unternehmen und Privatpersonen.

Die Hilfe aus Moskau ist in Südossetien äußerst willkommen, aber auch für das Prestige der im restlichen Russland wegen ihrer hohen Konzentration an Reichtum und Finanzpotenzial auf kleinem Raum verrufenen Hauptstadt von symbolischem Wert. Zudem engagiert sich der Bürgermeister in letzter Zeit gerne auf fremdem Terrain. Bei den Feierlichkeiten zum 225-jährigen Bestehen der russischen Schwarzmeerflotte im Mai diesen Jahres hatte Luzhkow dazu aufgerufen, die Stadt Sewastopol, den Stützpunkt der russischen Flotte auf der Krim, an Russland zu übereignen. Der ukrainische Geheimdienst erließ daraufhin ein Einreiseverbot gegen ihn.

Anfang Oktober lehnte die Synode der russisch-orthodoxen Kirche die Aufnahme von Südossetien und Abchasien ab. Beide abtrünnigen Kaukasusrepubliken hatten den Wunsch geäußert, sich vom georgischen Kirchenpatriarchat loszulösen und dem Moskauer Patriarchat beizutreten. Dass sich die russische Kirchenführung zur offenen Unterstützung des georgischen Oberhauptes entschlossen hat, erklärt sich mit der Notwendigkeit, den einzigen Bündnispartner um Einflußnahme auf dem Gebiet der GUS-Staaten nicht zu verlieren.

Für Schlagzeilen sorgte auch folgender Vorfall. Am 3. Oktober tötete eine in einem Auto versteckte Bombe neun Angehörige der russischen Streitkräfte, darunter auch den Stabchef des Friedenskontingents, Iwan Petrik. Die Explosion erfolgte direkt unterhalb des Fensters seines Arbeitszimmers im Hauptquartier in Tschinwali. Weitere sechs Personen trugen Verletzungen davon. Zuvor waren bei einer Plankontrolle zwei verdächtige Wagen beschlagnahmt worden. Deren Insassen, vier bewaffnete Männer in Zivil, konnten sich nicht ausweisen. Bei einer gründlichen Durchsuchung durch russische Soldaten explodierte der Sprengstoff in einem der beiden Wagen. Der Fahrer und sein Beifahrer, beide sollen georgischer Herkunft sein, kamen ums Leben.
Die OSZE-Botschafterin in Georgien, Terri Hakala, warf den russischen Medien gezielte Desinformation hinsichtlich der Arbeit der OSZE-Mission in Südossetien vor. Anlass für diese heftigen Anschuldigen bot eine Publikation der russischen Zeitung Gazeta auf deren Internetseite über den Bombenanschlag in Tschinwali. Mit Verweis auf einen Angehörigen der südossetischen Regierung, der Augenzeuge des Vorfalls wurde, berichtete die Zeitung, dass die beschlagnahmten Autos direkt hinter einer Wagenkolonne der OSZE hergefahren seien und suggerierte damit eine direkte oder indirekte Beteiligung der OSZE an dem Anschlag.

Der Präsident Südossetiens, Eduard Kokojty, will in dem Bombenanschlag die eindeutige Handschrift der georgischen Sicherheitsdienste erkennen. Die georgische Führung verdächtigt wiederum russische Sondereinheiten. Wie in Georgien der Konflikt um Südossetien jenseits der offiziellen Darstellung diskutiert wird, scheint in Russland hingegen niemanden wirklich zu interessieren.

ute weinmann

ak 532

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