Im Namen des Herrn

In Russland werden kritische Künstler von Staat und Kirche immer stärker ins Abseits gedrängt.

Gegenwartskunst mit kritischem Anspruch hat es in Russland schwer, ein breiteres Publikum zu erreichen. Es gibt nur wenige ­Institutionen, die sich aktuellen Kunstpositionen öffnen und eine Debatte über die gesellschaftskritische Funktion der Kunst organisieren. Es klingt makaber, ist aber eine Tatsache, dass einer der wenigen Orte, an denen die Auseinandersetzung geführt wird, der Gerichtssaal ist.

Seit eineinhalb Jahren wird in einem Moskauer Gericht über eine Ausstellung verhandelt, die gerade eimmal 24 Werke umfasste. Für den 12.Juli wird das potentiell folgenreiche Urteil erwartet. Auf der Anklagebank sitzen der Kurator und ehemalige Leiter der Abteilung für zeitgenössische Kunstrichtungen der Tretjakowgalerie, Andrej Jerofejew, und der ehemalige Direktor des für seine oppositionellen Aktivitäten bekannten Moskauer Sacharow-Zentrums, Jurij Samo­durow. Unter dem Titel »Verbotene Kunst 2006« hatten sie zeitgenössische Werke, die aus der konservativen Tretjakowgalerie auf Weisung der Leitung verbannt worden waren, ausgestellt. Ein Hinweisschild am Eingang warnte Minderjährige vor dem Betrachten der Werke, die nur durch Gucklöcher hinter einer Wand zu sehen waren.

Der Staatsanwalt bewertet die Ausstellung als »Gefahr für die Gesellschaft« und fordert für beide Angeklagten drei Jahre Haft. Offensichtlich dient der Prozess zur Einschüchterung zweier unbequemer Kuratoren, die in der Vergangenheit immer wieder von den herrschenden konservativen und patriotischen Grundsätzen abgewichen sind. Zugleich errichtet der Staat neue Normen im Umgang mit missliebigen ästhetischen Positionen.

Andrej Jerofejew ist der Sohn sowjetischer Diplomaten und der Bruder des bekannten Schriftstellers Viktor Jerofejew. Jurij Samodurow kuratierte 2003 die Ausstellung »Achtung! Religion«, die zeitgenössischer Kunst gewidmet war und von militanten orthodoxen Christen beschädigt wurde. Entgegen dem Wunsch der Künstler wurde die Ausstellung geschlossen. Angeklagt wurden dann allerdings nicht diejenigen, die die Ausstellung verwüstet hatten, sondern ihr Kurator. Samodurow wurde wegen »Anstiftung zum religiösen Hass« zu einer Geldstrafe ver­urteilt. Als blasphemisch galt z.B. ein Gemälde, das das Abendmahl zeigte. Statt Brot wurden Hamburger verzehrt.

Der russische Philosophie-Professor und Korrespondent von Lettre International Michail Ryklin hat den Prozess gegen Samodurow verfolgt. Die Ächtung der zeitgenössischen Kunst und die antisemitischen Pöbeleien erinnern ihn an Sowjetzeiten. Er warnte schon damals vor der erstarkenden Allianz von russisch-orthodoxer Kirche und Geheimdiensten, die gegen Künstler, Wissenschaftler und Umweltschützer vorgeht. Der laufende Prozess gegen die Kuratoren von »Verbotene Kunst« knüpft unmittelbar an die damalige Kampagne an.

Der bekannte Fernsehkommentator und Kreml-Apologet Michail Leontjew sprach sich noch während der Laufzeit der Ausstellung im März 2007 dafür aus, die Organisatoren der Ausstellung der »vollkommenen moralischen Vernichtung« preiszugeben. Die Moskauer Staatsanwaltschaft versucht, dieses Ansinnen nun im laufenden Verfahren im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu realisieren. Die Initiative geht allerdings auf Wladimir Sergejew zurück, den Chef der sich als orthodoxe Bürgerrechtsorganisation verstehenden »Volkssynode«. Erst Ende Mai meldete sich die bis dahin durch Zurückhaltung aufgefallene Kirchenführung mit einem eindeutigen Statement zugunsten des Vorgehens der »Volkssynode« zu Wort. Die Anklage wartete mit nicht weniger als 134 Zeugen auf, darunter sich weltlich gebende Konservative ebenso wie verhärmte Frauen in der typischen Uniform der weiblichen Orthodoxen, dem Kopftuch und dem fast bis zu den Knöcheln reichenden Rock. Bezeichnend ist allerdings, dass sich nur drei jener empörten Zeugen die Mühe gemacht hatten, die Ausstellung mit eigenen Augen zu betrachten. Stattdessen begnügte sich der Großteil mit Darstellungen im Internet. Auf der anderen Seite erhalten die Angeklagten öffentliche Unterstützung durch fast die gesamte fortschrittliche Moskauer Kunstwelt.

Staatsanwalt Alexander Nikiforow stellte bei der Verhandlung Ende Mai dem Architekten Ewgenij Ass die Frage, ob der Betrachter das Recht auf eine eigenständige Wahrnehmung eines Kunstobjekts habe, die nicht im Zusammenhang stehe mit dem Sinn, den der Künstler seinem Werk beimisst. Außerdem interessierte ihn, ob der Betrachter dafür über eine besondere Ausbildung verfügen müsse. Treffen das »Volk« und die »Intelligenz« aufeinander, darf sich letztere im heutigen Russland kaum Hoffnungen machen, ungeschoren davonzukommen.

»Gotteslästerliche« Kunst und Performances mit einem juristischen Nachspiel, das hat im postsowjetischen Russland bereits Tradition. Zu den weit über Künstlerkreisen hinaus Aufsehen erregenden Aktionen gehörte eine Art-Performance im Jahr 1998 auf einer Ausstellung für moderne Kunst in einer der wichtigsten Kunsthallen Moskaus. Der Galerist und Künstler Awdej Ter-Oganjan präsentierte dort Ikonen aus Papier und bot deren »Schändung für 50 Rubel im Beisein des Auftraggebers« an. Vor den Augen des kunstinteressierten Publikums wurden die Papierikonen mit einer Axt malträtiert. Dieser Akt endete in einer Schlägerei und mit einer Strafanzeige. Ter-Oganjan entzog sich allerdings den Ermittlern, indem er sich nach Tschechien absetzte. Zwei Jahre später ließ sich der heute in New York lebende Künstler und Regisseur Oleg Mavromatti unweit der Erlöserkathedrale in Moskau öffentlich kreuzigen, was ihm eine Hausdurchsuchung einbrachte. Das Verfahren wurde eingestellt, da die Staatsanwaltschaft keinen Straftatbestand erkennen konnte.

Gelegentlich gibt sich die orthodoxe Kirche mit Unterstützung des Patriarchen aber auch regelrecht progressiv. Derzeit läuft in der Moskauer Kirche der Heiligen Tatiana unter dem Titel »Doppelwort/Dialog« eine Ausstellung zeitgenös­sischer Künstler mit Arbeiten rund um das Thema Christentum. Zu den dort Ausstellenden zählt auch der Moskauer Maler Dmitrij Vrubel, der sich im Jahr 1990 auf der Berliner East Side Gallery und fast 20 Jahre später bei der Sanierung des historischen Mauerabschnitts mit seinem berühmten »Bruderkuss« von Leonid Breschnew und Erich Honecker verewigt hatte. Zwar finden in der Kirche der Heiligen Tatiana regelmäßig Ausstellungen traditioneller und kirchennaher Künstler statt, aber die Einbindung des sich als modern und kritisch oder gar avantgardistisch verstehenden Teils der Kunstszene ist eine neue Entwicklung.

Dieser Umstand weist jedoch nicht allein darauf hin, dass die russische orthodoxe Kirche keineswegs als monolithische Einheit agiert. Vielmehr wirft er ein Licht auf das im Wandel begriffene Verständnis jener Künstler, die durch nonkonformistische und provokante Arbeiten zwar einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben, von den Geldern, die für etablierte Künstler offen stehen, indes bislang zu wenig profitieren konnten. Die Annäherung an staatstragende Kreise der russischen Gesellschaft, welche die orthodoxe Kirche nicht weniger verkörpert als eine Behörde, darf somit durchaus als Selbstzweck verstanden werden.

Gor Tschachal, Kurator der Kirchenausstellung, sieht die Gründe für eine verlangsamte Entwicklung der modernen Kunst in Russland nämlich in deren Unterfinanzierung, sprich dem mangelnden Interesse seitens des Staats und des privaten Kapitals. Für deren finanzielle Förderung braucht es jedoch inhaltliche Kompatibilität und einen gewissen Grundkonsens über die Rolle und Funktion moderner Kunst im Sinne der Geldgeber. Dafür eignet sich die als solche deklarierte Dialogform in einem Kirchengebäude selbstverständlich besser als eine Auseinandersetzung im Gerichtssaal unter Aufsicht einer offensichtlich parteiischen Richterin.

Ob geplant oder nicht – dass der »Dialog« zwischen moderner Kunst und Kirche zeitlich mit dem aufsehenerregenden Gerichtsverfahren gegen den »gotteslästerlichen« Kurator Andrej Jewrofejew zusammenfällt, erlaubt eine Prognose für die Zukunft: Wenn sich die Unverbesserlichen und Störenfriede nicht in die dialogbereite und verständige moderne Kunstszene integrieren lassen, bleiben die Behörden im heutigen Russland nicht lange untätig.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2010/27/41291.html

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