Hart bleiben in harten Zeiten

Rechtsextreme Organisationen sind dem russischen Staatsapparat nicht mehr dienlich. Deshalb gehen die Sicherheitsbehörden härter gegen sie vor als in früheren Zeiten. Die Bereitschaft der Nazis zu Mord und Totschlag ist dennoch nicht geringer geworden.

Wer als Held in die Annalen der russischen Naziszene eingehen will, muss sich mittlerweile zumindest eine hohe Haftstrafe einhandeln. Die Zeiten, als man sich als führender Vertreter einer legal arbeitenden rechtsextremen Organisation eine entsprechende Reputation erarbeiten konnte, gehören der Vergangenheit an. Zum Helden wird erklärt, wer möglichst viele Morde an Menschen nichtslawischer Herkunft begangen hat oder – besser noch – eine gegen andere »Feinde des russischen Volkes« gerichtete Gewalttat mit Todesfolge vorweisen kann. Die Liste der Opfer ist lang, ihr gehören Antifaschisten, alternative Studenten, missliebige Staatsdiener und andere Personen des öffentlichen Lebens an, die der Idee einer russischen Revolution von rechts nichts abgewinnen konnten und dies auch kundtaten.

Am Verhalten der Nazis ist der russische Staats­apparat nicht ganz unschuldig.Nach der »orangenen Revolution« in der Ukraine ersann der Kreml aus Angst vor einem Übergreifen der Umbruchstimmung auf Russland Ablenkungsmanöver wie etwa die Hetze gegen Migranten und fand unter anderem in nationalistischen Gruppen geeignete Akteure. So brach die Stunde für rechtsextreme Organisationen wie die Bewegung gegen illegale Immigration (DPNI), den Slawischen Bund (SS) oder Russkij Obraz (Russische Art) an. Allerdings ging die Unterstützung aus dem Kreml nie so weit, die extreme Rechte als eigenständige politische Kraft in den Machtapparat zu integrieren.

Inzwischen ist die vermeintliche ukrainische Gefahr gebannt, legalen rechtsextremen Organisationen wird es nicht mehr allzu leicht gemacht. In einzelnen Fällen reicht dies bis zu einem Verbot, wie etwa im Fall des Slawischen Bundes, dem im April die Arbeit untersagt wurde. Vor dem 65. Jahrestag des Sieges über Nazideutschland ließ ein Gericht die Organisation, die bis dahin eine auch von den Behörden gewollte Mittlerfunktion zwischen legal und illegal operierenden Gruppen ausübte, kurzerhand wegen »Extremismus« verbieten.

Seiner Funktion wurde der Slawische Bund aber ohnehin nicht mehr gerecht. Militante Nazis feindeten ihn wegen seiner staatsloyalen Anführer an. Die nach deutschem Vorbild als Netzwerk organisierten »Autonomen Nationalisten«, die spätestens seit ihrem Auftreten als »schwarzer Block« auf dem sogenannten russischen Marsch im November 2008 von sich reden machen, streben nicht nach einer Integration in den bestehenden Machtapparat. Sie bedienen sich linker Symbolik, wettern gegen den Kapitalismus und haben dem Staat den Kampf angesagt. Und sie predigen den Terror nicht nur in der Theorie, sondern demonstrieren in der Praxis, wozu sie fähig sind.

Als sich die Angriffe aus dem militanten, rechtsextremen Spektrum auf Menschen nichtslawischer Herkunft beschränkten, gingen die russischen Behörden recht zurückhaltend vor. Doch nachdem die Täter begonnen hatten, sich auch andere Opfer zu suchen, und zudem die Anzahl rassistischer Morde so rasant angestiegen war, dass sie sich nicht mehr ignorieren ließ, leiteten die Polizeibehörden ab Herbst 2008 in Moskau umfangreiche Strafverfolgungsmaßnahmen ein. Inzwischen tun sie dies auch in St. Petersburg.

Seither nahm die Zahl rassistisch motivierter Morde in den beiden Städten ab.Strafprozesse gegen die »Weißen Wölfe« oder die »Bande Ryno-Skatschewskij« endeten mit teils hohen Haftstrafen. Seit Juli läuft in Moskau der Prozess gegen die Nationalsozialistische Gesellschaft Nord (NSO-Sewer), deren Mitgliedern Mord in 27 Fällen vorgeworfen wird. Bei ihrer Festnahme verletzten die Nazis zudem drei Offiziere des Inlandsgeheimdienstes FSB mit Messerstichen. Bereits über ein Jahr zieht sich in St. Petersburg der Prozess gegen die »Bande Borowikow« hin, deren Mitglieder in der extremen Rechten als Helden gelten und unter anderem den Mord an dem Wissenschaftler und Menschenrechtsaktivisten Nikolaj Girienko zu verantworten haben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Behörden den bei seiner Festnahme erschossenen Anführer Dmitrij Borowikow lange Zeit gewähren ließen, da er der Sohn eines hochrangigen Milizionärs war.

Die Ermittlungen in anderen Fällen, die für den russischen Staat von noch größerer Relevanz sind, scheinen indes nur schleppend voranzukommen. So wurde beispielsweise der Mörder des Richters Eduard Tschuwaschow bislang nicht gefasst. Das ist erstaunlich: Tschuwaschow wurde im April im Eingangsbereich seines Hauses um­gebracht, eine Überwachungskamera lieferte Aufnahmen des Täters, die Aussage des Hausmeisters, der diesen beobachten konnte, liegt ebenfalls vor. Wegen der hohen Haftstrafen, die der Richter gegen Nazis verhängt hatte, ist es wahrscheinlich, dass der Täter im rechtsextremen Milieu zu finden ist.

Der Suizidversuch eines Mitglieds der NSO in der U-Haft im Mai könnte mit den Ermittlungen im Fall Tschuwaschow in Verbindung stehen. Nach Ansicht von Aleksej Baranowskij, dem Koordinator der Nazi-Gefangenenhilfsorganisation Russkij Verdikt, ist der Vorfall eine Folge des großen Drucks, den die Ermittler im Mordfall Tschuwaschow auf rechtsextreme Häftlinge ausüben. Angesichts der Methoden russischer Ermittler klingt die Behauptung nicht abwegig.

Trotz der Kampfansage der Rechtsextremen an den Staat, wie sie sich etwa im Mord an Tschuwaschow manifestierte, blieb das öffentliche Interesse an den Enthüllungen in den laufenden Gerichtsverfahren und Ermittlungen recht gering. Für Begeisterung bei den Nazis und Schlagzeilen im ganzen Land sorgte dagegen im Juni eine Gruppe junger Männer, die in der Region Primorje bewaffnete Raubüberfälle und Attacken auf die Miliz verübte. Dass sich die Banditen als Angriffsziel die äußerst unbeliebte Miliz ausgesucht hatten, brachte ihnen die Bezeichnung »Primorskije Partizany« ein. Ein Angehöriger der Gruppe ist ein ehemaliges Mitglied der Nationalbolschewistischen Partei Russlands, die bei Nazis ein hohes Ansehen genießt. Zum Show-Down zwischen Banditen und Polizei kam es in der nahe des Pazifiks liegenden Stadt Usurijsk: Zwei »Partisanen« wurden getötet, vier festgenommen.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2010/36/41692.html

Запись опубликована в рубрике Gerichtsprozesse, Nazis + Nationalisten с метками , . Добавьте в закладки постоянную ссылку.