Olympisch-geschäftlicher Pleitekomplex

Arbeiter werden nicht bezahlt, errichtete Bauten später nicht benötigt und Umweltschäden sind programmiert – bei Wladimir Putins Renommierprojekt Sotschi häufen sich die Probleme.

Ohne den Präsidenten geht bekanntlich gar nichts. Russland hätte den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi ohne Wladimir Putin kaum erhalten, und würde der Präsident anders als mit sogenannter harter Hand regieren, so scheint es, bestünde nicht der Hauch einer Chance, dass der unaufschiebbare Termin für die Fertigstellung der Sportstätten zum Beginn der Spiele am 7. Februar 2014 eingehalten wird. So aber dürfen Sportfreunde gelassen bleiben, während die Baumeister in Sotschi einen Zahn zulegen müssen. Immerhin ist der Schuldige für offensichtliche Versäumnisse und den Rückstand im Bauplan einer Reihe olympischer Objekte gefunden und bereits seiner Ämter enthoben worden. Ab sofort werden die Olympiafunktionäre reibungslos arbeiten müssen, denn so ein Schicksal wünscht sich schließlich niemand, dem der Sprung in die erste Liga der olympischen Großverdiener gelungen ist. Und Putin will Sotschi vor den Spielen noch mindestens zweimal einen Inspektionsbesuch abstatten.

Dem Vizepräsidenten des russischen Olympischen Komitees, Achmed Bilalow, wurde das »Bergkarussell« in Krasnaja Poljana zum Verhängnis. Wo bereits vor fast zwei Jahren ein Komplex aus Sprungschanzen, Rodelbahn und einer Biathlonanlage fertig sein sollte, befinden sich nach wie vor Baustellen, insbesondere anstelle der Zuschauertribünen. Ausgerechnet das »Karussell« erweckte die Aufmerksamkeit Putins, als sich dieser Anfang Februar an Ort und Stelle ein Bild von den Vorbereitungen auf die Winterspiele machen wollte. Für präsidiale Unzufriedenheit sorgten auch die gestiegenen Kosten. Ursprünglich waren für das Ensemble umgerechnet etwa 30 Millionen Euro veranschlagt, inzwischen liegen die Bauaufwendungen bereits bei 200 Millionen.

Verantwortlich für den Bau des »Bergkarussells« ist die Aktiengesellschaft Krasnaja Poljana. Bilalow hielt bis Mai 2012 einen mehrheitlichen Anteil, seither jedoch verfügt die Sberbank über ein Kontrollpaket und hat nun auch die Mehrkosten zu tragen. Allerdings berichtete die russische Tageszeitung Kommersant unter Berufung auf eine Bilalow nahestehende, nicht näher genannte Quelle, dass die Sberbank ihren Anteil aufgestockt habe, um eine für die Bauarbeiten und den weiteren Betrieb unabdingbare Straße zu dem hoch gelegenen Sportkomplex zu bauen. Dem Plan zufolge war jedoch das staatliche Unternehmen Olimpstroj für den Straßenbau zuständig. Die Verzögerung und der immense Kostenanstieg seien allein durch dessen Versäumnis zu erklären. Krasnaja Poljana sieht sich jedenfalls nicht alleine mit wachsenden Problemen konfrontiert: Ein Jahr vor dem sportlichen Großereignis hinkt jedes fünfte olympische Bauobjekt in Sotschi dem Zeitplan hinterher.

Dass Bilalow als Sündenbock fungieren musste, könnte indes weniger mit den Olympischen Spielen an sich zusammenhängen, als mit seiner Absicht, exklusive Ski- und Erholungsgebiete rund um Sotschi nach den Spielen weiter zu nutzen und Sonderwirtschaftszonen für den Tourismus im gesamten Nordkaukasus einzurichten. Zumindest kam es zwischen ihm und Olimpstroj genau in dieser Frage zum Konflikt. Zur geschäftlichen Dimension kommt insofern eine politische hinzu, als Premierminister Dmitrij Medwedjew und sein Stellvertreter Arkadij Dworkowitsch Bilalows Nutzungskonzepte protegierten. Mit Bilalows Absetzung werden die Karten für den Zugriff auf das staatlich gelenkte lukrative Tourismusgeschäft in der russischen Nordkaukasusregion neu gemischt.

Tatsache ist jedoch, dass viele Schwierigkeiten bei der Realisierung der Bauvorhaben in Sotschi bereits im Vorfeld abzusehen waren. Selbst mehr oder weniger fertiggestellte Sportanlagen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Infrastruktur altersschwach oder schlicht nicht vorhanden ist. Es fehlt an befestigten Straßen, durch Baufahrzeuge beschädigte Wege werden nicht repariert, was dazu führt, dass der öffentliche Nahverkehr in einigen Vierteln im städtischen Einzugsgebiet zum Erliegen gekommen ist. Das völlig überlastete Stromnetz bricht ebenfalls zum Leid der Bevölkerung im Großraum Sotschi regelmäßig zusammen. Vielerorts halten sich die Bauunternehmen nicht an bestehende Vorschriften, was beispielsweise dazu führt, dass dringend benötigter Zement in Fabriken hergestellt wird, die ohne Genehmigung in Wohngegenden errichtet wurden. In der Imeretinskij-Niederung patrouillieren Anwohner am zugehörigen Strandabschnitt, um einer Landaufschüttung vorzubeugen, denn sie befürchten nicht nur folgenreiche Schäden an Flora und Fauna, sondern auch den Verkauf von Grundstücken an Privatinvestoren und die anschließende Uferbebauung. Selbst ehemalige Spitzensportler wie der russische Eiskunstlauf-Olympiasieger von 2002, Aleksej Jagudin, halten sich mit ihrer Kritik an den Folgen der Olympia-Vorbereitungen nicht zurück. Unlängst bezeichnete er Sotschi schlichtweg als »Müllhalde«.

Olympische Stimmung will deshalb noch nicht so richtig aufkommen. Eine Ausnahme war vielleicht die große Show im neuen Eispalast anlässlich der einjährigen Frist bis zum Beginn der Winterspiele, als Tausende von Angestellten des öffentlichen Dienstes in Bussen angekarrt wurden, um die Tribünen zu füllen. So erhielten sie immerhin einen Vorgeschmack auf olympischen Glanz und Gloria, den sie im kommenden Winter vermutlich nur am Fernsehbildschirm verfolgen können. Eine ganze Horde für die Gästebetreuung speziell geschulter ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer verbreitete bereits optimistische Olympialaune, während die zahlreichen Ordnungskräfte nach Medienberichten in erster Linie durch ihre unflätigen Manieren auffielen. Ein Stück realitätsnahe Alltagskultur eben, die sich trotz der langersehnten Anerkennung Russlands durch die sogenannte internationale Gemeinschaft nicht so einfach verleugnen lässt.

Aber die meisten Unwägbarkeiten werden die Olympiaorganisatoren wohl meistern. Schließlich soll sich die Mühe auszahlen. Sotschi setzt bereits heute neue Maßstäbe, und das nicht nur, weil die Winterspiele mit Kosten von 50 Milliarden Dollar als die bislang teuersten in die olympische Geschichte eingehen werden. Die Summe entspricht in etwa dem Jahreshaushalt von Moskau oder der Kapitalflucht aus Russland im vergangenen Jahr. Kritiker vermuten, dass die Kostensteigerung insbesondere eine Folge der höheren Schmiergeldtarife im staatlichen Auftragswesen sei.

An den hohen Löhnen für Bauarbeiter kann der Kostenanstieg jedenfalls kaum gelegen haben. Die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch weist in ihrem jüngst veröffentlichten Bericht über die Vorbereitungen der olympischen Winterspiele in Sotschi auf zahlreiche Verstöße gegen arbeitsrechtliche Normen hin. Löhne wurden häufig mit Verspätung, in geringerem Umfang als vereinbart oder gar nicht ausbezahlt. Bauunternehmen scheuten auch nicht davor zurück, renitente ausländische Arbeitskräfte, die sich gegen Willkür und Vertragsverstöße zur Wehr setzten, den russischen Behörden zu übergeben, was in einigen Fällen zu deren Abschiebung führte.

Am Ende bleiben riesige staatliche Investitionen und Sportpaläste, für die es in der Region eigentlich keinen Bedarf gibt. Anders als Vancouver 2010 wird Sotschi aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ein Nullsummenspiel werden, sondern ein finanzielles Fiasko. Um zumindest einen Teil der Ausgaben wieder in die Staatskasse fließen zu lassen, sind innovative Methoden und Durchsetzungskraft nötig. Wladimir Putin ist für beides bekannt. Mitte Februar legte er der Duma ein Gesetzesprojekt vor, das für zahlreiche hochrangige Staatsdiener und deren nahe Angehörige ein Verbot ausländischer Bankkonten und des Besitzes ausländischer Wertpapiere festschreibt. Diese Maßnahmen seien zur Wahrung der nationalen Sicherheitsinteressen Russlands erforderlich. Der Schritt zu einem selektiven Ausreiseverbot ist dann nicht mehr weit. Dann gäbe es jedenfalls für einen Teil der russischen Vermögensbesitzer nur noch ein Reiseziel im Süden: Sotschi.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2013/10/47301.html

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