Russische Gastfeindschaft

In St. Petersburg haben Sicherheitskräfte eine Razzia gegen Muslime durchgeführt. Der Kampf gilt in Russland nicht nur angeblichen Extremisten, sondern vor allem Migranten.

Letztlich fiel der Erfolg der Sicherheitskräfte mager aus, nur sechs Männer kamen in Untersuchungshaft, und davon kein einziger durch die Razzia auf dem Markt Apraksin Dwor. Russische Spezialeinheiten hatten am 8. Februar einen muslimischen Gebetsraum auf dem Markt im Zentrum von St. Petersburg gestürmt. 271 Personen wurden nach offiziellen Angaben erkennungsdienstlich behandelt, Augenzeugen sprechen von etwa 700 vorübergehenden Festnahmen. Am selben Tag fanden in mehreren Wohnungen Hausdurchsuchungen statt. Der Sondereinsatz diene staatlichen Sicherheitsinteressen, hieß es in den Kommentaren des Ermittlungskomitees und des Inlandsgeheimdiensts FSB, der formale Anlass sei ein Strafverfahren wegen öffentlicher Aufrufe zu Terrorismus gewesen. In dem Gebetsraum waren Anführer islamistischer Gruppen vermutet worden. Nur über einen der Verhafteten drangen Informationen an die Öffentlichkeit, es handele sich um einen russischen Staatsbürger aus Kabardino-Balkarien im Nordkaukasus. Gegen sieben »potentielle Extremisten« ordnete der FSB Abschiebungen an.

Immer wieder finden auf dem riesigen Marktgelände Razzien statt, die sich durch grobe Unverhältnismäßigkeit auszeichnen. Auch dieses Mal gingen die Sondereinsatzkräfte nicht zimperlich vor. Die Gläubigen wurden nach eigenen Angaben gezwungen, den Gebetsraum auf Knien zu verlassen, ein Mann berichtete einer lokalen Menschenrechtsorganisation, dass nicht nur er Schläge abbekommen habe, sondern auch seine älteren Söhne. Der zehnjährige jüngste Sohn stehe unter Schock.

Ob die Bekämpfung des Extremismus nur ein vorgeschobener Grund für den Einsatz war, ist unklar. Der festgenommene Mann aus dem Kaukasus soll einer islamistischen Gruppe angehören, der Kontakte zu den Muslimbrüdern nachgesagt werden. Manche Beobachter vermuten aber, dass die Großrazzia Ausdruck der Rivalität zwischen verschiedenen religiösen Machtzentren sein könnte. So schließt der lokale Koordinationsrat aller Muslime eine Beteiligung des Imams der St. Petersburger Moschee, der dem Muftiat im baschkirischen Ufa nahesteht, nicht aus. Auf dem Apraksin Dwor haben Vertreter des konkurrierenden Moskauer Muftiats das Sagen.

Das 14 Hektar große Marktgelände gilt als traditioneller Umschlagplatz für Kleidung, Ramsch und Waren, die sich sonst kaum erwerben lassen. Dass im »Apraschka«, wie der Ort im lokalen Jargon heißt, nicht alle Geschäfte legal sind, ist kein Geheimnis. Die staatlichen Ordnungshüter verdienen daran kräftig mit, was einer der Gründe dafür sein mag, dass die Bemühungen der Stadtverwaltung, das Gelände umzugestalten und die Geschäftsstruktur neu zu regeln, bislang scheiterten.

2008 erhielt das Bauunternehmen Glawstroj SPb, das zur Holding Bazowoj Element des Oligarchen Oleg Deripaska gehört, den Zuschlag für umfangreiche Sanierungsarbeiten. Allerdings überließ die Stadt dem Unternehmen die Aufgabe, mit den Geschäftsleuten über deren weiteren Verbleib zu verhandeln. Die aber dachten nicht daran, das Gelände zu räumen. Da keinerlei Fortschritte bei der Sanierung zu erkennen waren, kündigte die Stadtverwaltung am Vorabend der Razzia den Vertrag mit Glawstroj SPb. Aufgrund des geplatzten Geschäfts und weil der Markt offiziell geschlossen wurde, soll der Stadt ein Verlust an Steuereinnahmen von umgerechnet 125 Millionen Euro entstanden sein. Deripaskas Unternehmen besteht außerdem auf Kompensationszahlungen von den Behörden.

Doch abgesehen von der Frage, was der wahre Anlass für den Sondereinsatz am 8. Februar gewesen sein mag, ist auffällig, dass sich diese und ähnliche Razzien immer gegen Migrantinnen und Migranten richten. Am Tag zuvor räumten Polizeikräfte bei Petersburger eine Siedlung von Roma aus Tadschikistan, wobei Minderjährige von ihren Eltern getrennt in Abschiebehaft landeten. Auch in Moskau hat das Aufstöbern von Ausländern ohne legalen Aufenthaltsstatus derzeit Hochkonjunktur. Der Moskauer Polizeipräsident Anatolij Jakunin macht Auswärtige für 50 Prozent der Straftaten in der russischen Hauptstadt verantwortlich, 17 Prozent davon sollen auf das Konto von Menschen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken gehen. Diese Polizeistatistiken sind mit großer Vorsicht zu genießen, weil die Zusammenstellung der Zahlen mit äußert fragwürdigen Methoden erfolgt; aber auch deshalb, weil sie als Legitimation für die Bildung von Bürgerwehren dienen, die ehrenamtlich bei der Jagd nach sogenannten Illegalen helfen.

Auf lokaler Ebene hat sich indes eine fruchtbare Kooperation zwischen rechtsextremen Gruppen und städtischer Verwaltung etabliert. So organisiert die »Patriotische Jugendbewegung Swetlaja Rus« Razzien in von den kommunalen Hausverwaltungen illegal als Wohnraum vermieteten Kellern von Wohnhäusern. Sie spüren Migranten auf und übergeben sie der Polizei. Die Mitglieder von »Swetlaja Rus« verfügen über behördlich ausgestellte Dokumente, die sie als »freiwillige Hüter der öffentlichen Ordnung« ausweisen. Zwar beschränken sich deren Vollmachten rechtlich auf die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten, das hält sie jedoch nicht davon ab, die aufgesuchten provisorischen Wohn­unterkünfte zu verwüsten und ihre Bewohner zu schikanieren. Auch Vertreter des staatlichen Migrationsdienstes wurden bei solchen Razzien gesehen, die Behörde streitet allerdings vehement ab, Kontakt zu »Swetlaja Rus« zu haben.

Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, stimmte der von Liberalen dominierte oppositionelle Koordinationsrat Mitte Februar für die Einführung der Visumspflicht für Reisende nach und aus Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien. Das sei ein Schritt in Richtung Europa, lautete eine Begründung.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2013/08/47189.html

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