Miese Stimmung in Moskau gegen Migranten

Millionen frühere Sowjetbürger aus den südlichen Republiken leben in Russland in einer Grauzone

Der Moskauer Polizeichef ließ am Mittwoch die Vorführung eines Aserbaidschaners per Video verbreiten, der den Mord an einem jungen Russen gestanden haben soll.

Direkt nach seiner Verhaftung durch eine Spezialeinheit am Montagabend war Orchan Zejnalow mit dem Hubschrauber ins Moskauer Zentrum geflogen und dem russischen Innenminister präsentiert worden. Zuvor durften Polizisten den Aserbaidschaner vor laufender Kamera treten. Solche Inszenierungen demonstrieren erfolgreiche Polizeiarbeit. Der seit dem Wochenende eskalierenden ausländerfeindlichen Stimmung in der russischen Hauptstadt soll Einhalt geboten werden.

In der Nacht zum 10. Oktober war im Süden Moskaus der 25-jährige Russe Jegor Scherbakow mit einem Messer erstochen worden. Die Anwohner forderten Aufklärung und die Schließung eines nahe gelegenen Gemüsegroßhandels, in dem vor allem ausländische Arbeiter beschäftigt sind. Am Sonntag sorgten über Tausend Nationalisten und Rechtsradikale in einem Einkaufszentrum für Stimmungsmache. Es kam zu einer regelrechten Hetzjagd auf Migranten. Die Polizei reagierte mit vorübergehenden Festnahmen von Randalierern und verschärften Ausländerkontrollen auf Märkten. Zwei Tage später, am islamischen Opferfest, konnte ein rechtsradikaler Aufmarsch Jugendlicher unter Naziparolen verhindert werden.

In immer kürzeren Abständen spielen sich in Moskau, St. Petersburg, aber auch vielen Kleinstädten pogromartige Szenen ab. Fast immer geht der Eskalation ein Konflikt mit Gewaltanwendung voraus. Eine öffentliche Skandalisierung findet jedoch nur dann statt, wenn die Täter aus dem Kaukasus oder Zentralasien stammen. Wie im Dezember 2010 nach dem Mord eines russischen Fußballfans durch einen jungen Mann aus dem Nordkaukasus.

In der russischen Bevölkerung wächst die Zustimmung für ein hartes Durchgreifen. Der Staat kommt dem mit populistischen Gesten und oft drastischen, in der Sache jedoch wirkungslosen Maßnahmen nach. Rechtsradikale Randalierer werden wie im jüngsten Fall mit minimalen Ordnungsstrafen belegt oder in Einzelfällen mit Strafermittlungen gezügelt, gleichzeitig aber zu Übergriffen angespornt. Die Moskauer Bürgermeisterwahlen im vergangenen September haben durch die ausländerfeindliche Wahlkampfstrategie aller Kandidaten einen erheblichen Beitrag zur Zuspitzung der ohnehin angespannten Lage geleistet.

Zu viele »illegale« Arbeitsmigranten seien das Problem, das sehen auch viele Oppositionelle so, allen voran der nationalistische Antikorruptionspolitiker Alexej Nawalny. Er nahm die jüngsten Krawalle zum Anlass für eine Unterschriftenkampagne zur Einführung der Visapflicht für die südlichen Ex-Sowjetrepubliken.

Dabei sorgen die Behörden mit zu niedrig angesetzten Quoten für ausländische Beschäftigte und bürokratischen Hindernissen selbst dafür, dass sich Millionen von Ausländern in einer Grauzone befinden. Es ist einfacher, sich den ungeschriebenen Gesetzen korrupter Polizeiangehöriger zu unterwerfen. Bei Razzien schützt zwar ein legaler Aufenthaltsstatus vor der Abschiebung, nicht aber vor der Zahlung von Schmiergeld.

Im Übrigen drängt sich die Vermutung auf, dass sich hinter der jüngsten Kampfansage gegen Migranten in Moskau auch ökonomische Interessen verbergen. Unter Bürgermeister Sergej Sobjanin findet eine Umverteilung des Lebensmittelhandels von den traditionellen Märkten hin zu Supermarktketten statt, wobei die Märkte bei Kontrollen im Fokus stehen. Die Partei »Gerechtes Russland« profiliert sich mit einem Programm, das vordergründig die Bekämpfung illegaler Arbeitsverhältnisse im kommunalen Sektor anstrebt. Bislang führte es aber bestenfalls zu Entlassungen und Abschiebungen. Dabei schreckt die Partei selbst vor einer Kooperation mit nationalistischen Kräften nicht zurück.

Ute Weinmann

http://www.neues-deutschland.de/artikel/836208.miese-stimmung-in-moskau-gegen-migranten.html

 

 

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