Krieg der Agenten

Seit Donnerstag voriger Woche ist offiziell, was die russische Führung bislang vehement abgestritten hatte: Auf der Krim waren vor und während des Referendums über einen Beitritt zu Russland Angehörige der Streitkräfte als »Unterstützung für die Kräfte der Selbstverteidigung« präsent. Dies sagte der russische Präsident Wladimir Putin in einer jährlich stattfindenden Fernsehsendung, in der er jenen antwortet, die als telefonische Fragesteller ausgewählt worden sind. »Auf andere Weise wäre es unmöglich gewesen, das Referendum offen und ehrlich durchzuführen«, sagte Putin.

Die Krim ist bereits Geschichte, da ist es ein Leichtes zuzugeben, was in Russland selbst ohnehin keinen Skandal verursacht. In der Ostukraine könnte es länger dauern, bis die Regierung ihre ausführenden Organe benennt. Die US-Regierung veröffentlichte Fotos, die den Einsatz russischer Soldaten belegen sollen, deren Authentizität aber noch nicht überprüft wurde. Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU vermeldete vorige Woche die Festnahme von 23 GRU- und FSB-Offizieren, außerdem konnte durch die Auswertung eines aufgezeichneten Telefongesprächs die Identität des GRU-Offiziers Igor Strelnikow geklärt werden. Ukrainer seien vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB angeworben und vom militärischen Abschirmdienst, der Hauptverwaltung für Aufklärung (GRU), mit Waffen versorgt und kommandiert worden. Dies entspräche der üblichen ­Arbeitsteilung.

Für Aktivitäten russischer Geheimdienstmitarbeiter sprechen auch Beobachtungen und Interviews von Korrespondenten vor Ort, wie sie unter anderen in der Zeitung Novaja Gazeta zu finden sind. Wenig professionell ließ etwa ein uniformierter Gesprächspartner im Eifer des Wortgefechts seine Tarnung fallen und aus der anfänglichen Legende, der zufolge er aus dem russischen Rjazan stamme, seinen Wohnsitz jedoch vor zwei Monaten auf die Krim verlegt habe, wurde ein erleichtertes Geständnis: »Wir sind vom GRU.« In einem unter anderem auf Youtube veröffentlichten Video berichtet ein ukrainischer Soldat, dass seine provisorisch zusammengestellte Einheit, ohne Widerstand zu leisten, von bewaffneten Milizen am 16. April an einer Straßensperre vor Kramatorsk im Donezker Gebiet aufgehalten und mit Geldversprechen angeworben worden sei. Aus Donezk und Lugansk stammende Armeeangehörige hätten sich daraufhin entschieden, die Seite zu wechseln. Wer dazu nicht bereit gewesen sei, habe aber freies Geleit erhalten und seine Ausrüstung mitnehmen dürfen. Der Soldat wies auf den Umstand hin, dass die mit einheitlichen Uniformen ausgestatteten Milizen offensichtlich eine militärische Ausbildung auf hohem Niveau genossen hätten.

Im Übrigen seien, der Kiewer Zentralregierung zufolge, Informationen über ukrainische Überläufer aus dem Militär frei erfunden. Russische Militärexperten und die Regierung hingegen leugnen die Präsenz russischer Geheimdienste und Militärangehöriger im Osten der Ukraine. Eine der Begründungen dafür lautet, es sei unmöglich, unbemerkt die russische-ukrainische Grenze zu passieren. Die allerdings ist zwischen den offziellen Grenzübergängen kaum gesichert und nicht nur für Geheimdienstprofis durchlässig. Auch erforderten derlei Maßnahmen langfristige Vorbereitungen, äußern Skeptiker. Doch selbst wenn die russische Führung während der Proteste kaum exakte Prognosen über die Folgen der Kiewer Maidan-Proteste abgeben und weitere Handlungsmöglichkeiten deshalb nur ungenau benennen konnte, dürfte der Generalstab zumindest einen Plan B für den Fall eines Regierungswechsels erstellt haben. Schließlich besteht darin seine Aufgabe. Unter anderen politischen Vorzeichen wären solche Pläne im Archiv abgelegt worden, nun aber kann Putin sicherlich bei der Führung der Streitkräfte auf eine treue Gefolgschaft bauen. Ein Aspekt, der bei seinen machtpolitischen Entscheidungen offenbar eine immer wichtigere Rolle spielt.

Trotz einer angekündigten Waffenruhe über Ostern kamen in der Nacht auf Sonntag bei einer Schießerei an einer Straßensperre in Slawjansk unter ungeklärten Umständen mindestens fünf Menschen ums Leben. Der selbsternannte »Volksbürgermeister« von Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, forderte Putin nach dem Vorfall auf, endlich russische Truppen einmaschieren zu lassen. Das russische Außenministerium vermutete wie üblich eine Provokation durch Extremisten, die Schießerei habe der »Rechte Sektor« zu verantworten. Bei einer der Leichen sei eine Visitenkarte von deren Anführer Dmitrij Jarosch gefunden worden. Der »Rechte Sektor« distanzierte sich von der Aktion. Ukrainische Militärexperten gehen von einer gezielten Aktion bewaffneter Separatisten aus.

Slawjansk gilt als Zentrum der separatistischen Donezker »Volksrepublik« und selbst das ukra­inische Innenministerium gibt zu, die Kontrolle über die Stadt vollständig verloren zu haben. Die in Kiew regierenden vormaligen Oppositionsparteien und die Agitation für sie unterliegen in Slawjansk inzwischen einem Verbot. Auch kündigte Ponomarjow an, gegen Personen vorzugehen, die Ukrainisch sprechen. Die eigentliche Bürgermeisterin Nelja Schtepa befand sich zeitweise in der Gewalt der Separatisten, deren Vorgehen sie seither wohl gezwungenermaßen mitträgt. Aus dem Donezker Gebiet kamen überdies Meldungen über die Misshandlung von dort lebenden Roma, die zumindest in Kiew nicht als reine Propaganda aufgenommen wurden. Im Informationskrieg zwischen russischen und ukrainischen Medien kommt jede noch so absurd klingende Nachricht recht, wie beispielsweise die von einem vermeintlichen Aufruf an die jüdische Bevölkerung, sich gegen eine Gebühr 50 Dollar registrieren zu lassen, da andernfalls der Entzug der Staatsbürgerschaft erfolge.

Bei den Verhandlungen am 17. April in Genf, an denen sich neben Russland und der Ukraine auch die EU und die USA beteiligt hatten, wurden konkrete Schritte zur Deeskalation in der Ostukraine vereinbart. Dabei kommt Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine Schlüsselfunktion zu. Außerdem ist die Entwaffnung der nichtstaatlichen Konfliktparteien vorgesehen.

Die Mission der OSZE nutzte am Sonntag die Osterzeit, um erste Verhandlung mit den separatistischen Gruppen aufzunehmen, die eine Föderalisierung der Ukraine und die »Selbstbestimmung« der gesamten Donbass-Region fordern. Bevor sie selbst ihre Waffen abgeben, bestehen sie auf der Entwaffnung des »Rechten Sektors«. Dieser Prozess läuft allerdings überaus zögerlich an, der »Rechte Sektor« trennte sich in den vergangenen Tagen lediglich von 21 Kisten mit Molotow-Coctails. Letztlich fühlen sich die Vertreter der »Volksrepublik« aber ohnehnin nicht an die Genfer Vereinbarungen gebunden. Das zumindest bekundete einer ihrer Vorsitzenden, Denis Puschilin, im zivilen Leben Manager eines du­biosen Finanzfonds namens MMM.

Die ukrainische Regierung ringt sich derweil nach und nach zu langfristigen politischen Strategien zur Überwindung der Spaltung der Ukraine durch. Interimspräsident Alexander Turtschinow teilte am Wochenende mit, dass die Regierung bis Herbst eine grundlegende Verfassungsreform anstrebe, in deren Mittelpunkt die Ausweitung der Entscheidungsbefugnisse der Regionen steht und die eine Stärkung der territorialen Selbstverwaltung beinhaltet. Außerdem ist eine gesonderte Anerkennung lokal gesprochener Sprachen vorgesehen. Bis dahin aber könnte ein Teil der Ostukraine bereits zu einem neuen Transnistrien verkommen sein.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2014/17/49735.html

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