Nach Mordserie russischer Neonazis fiel das Urteil gegen den »intellektuellen Kopf«
Gegen die Neonaziszene in Russland und ihren führenden Kopf wurde ein juristischer Schlag geführt. Es ging um fünf Morde, eine extremistische Vereinigung und Waffenbesitz — aber auch um dubiose Kontakte.
Mit dem Richterurteil zu einer lebenslänglichen Haftstrafe ging der Gerichtsprozess gegen den intellektuellen Kopf der »Kampforganisation russischer Nationalisten«, kurz BORN, jetzt in Moskau zu Ende. Ilja Gorjatschow hatte sich mit dem Aufbau einer schlagkräftigen Neonaziorganisation als dem verlängerten Arm einer legal agierenden rechtsextremen Vereinigung den ganz großen Karrieresprung innerhalb des russischen Machtapparates erhofft. Nun aber teilt er das Schicksal mehrerer bereits abgeurteilter BORN-Mitglieder.
Es fiel der Anklage unter der leitenden Staatsanwältin Maria Semenenko nicht schwer, das Geschworenenkollegium während der sechs Wochen dauernden Verhandlungen von der Schuld Gorjatschows zu überzeugen. Laut einem einvernehmlichen Votum sahen die zwölf Geschworenen alle Anklagepunkte als erwiesen an, darunter Mord in fünf Fällen, Organisation einer Bande, Bildung einer extremistischen Vereinigung und illegaler Waffenbesitz.
Zu den Mordopfern zählt der im Januar 2009 auf offener Straße erschossene Anwalt Stanislaw Markelow. Ihn hatte Gorjatschow gegenüber seinem engen Freund und Weggefährten Nikita Tichonow als vermeintlichen Anführer der Antifabewegung ausgegeben, über den Gelder aus dem Westen geflossen seien. Ein Fantasiekonstrukt, das Markelow zum Feind Nummer Eins stilisierte und ihn das Leben kostete. Markelows Mörder Nikita Tichonow sitzt wegen der Tat eine lebenslängliche Haftstrafe ab. Seine Lebensgefährtin wurde wegen Beteiligung an dem Mord zu 18 Jahren Freiheitsentzug verurteilt.
Beide traten im Prozess gegen Gorjatschow auf und sorgten mit ausführlichen Zeugenaussagen für belastendes Beweismaterial. Aufschlussreiche Details boten Einblicke in den Aufbau der Neonazigruppierung und deren Querverbindungen in polizeiliche Strukturen und diverse kremlnahe Jugendorganisationen. Letzte Zweifel an Gorjatschows Rolle räumte der Angeklagte jedoch selbst aus. Auf seinem Computer konnte eine ausführliche Kommunikation per Mail und Skype sichergestellt werden. Außerdem speicherte Gorjatschow dort Adressen der Mordopfer ab, die aus einer nur den Sicherheitsbehörden zugänglichen Datenbank stammen.
Gorjatschow, der den Spitznamen »Student« trägt, gab sich als weitsichtiger Stratege mit engen Kontakten zur Präsidialverwaltung aus. Diese versuchte er auszunutzen, um der extremen Rechten in den Jahren zwischen 2007 und 2010 über die von ihm gegründete Organisation Russkij Obras Einfluss auf den Machtapparat zu verschaffen. Durch von BORN verübte spektakuläre Morde sollte das Kampfpotenzial der Neonaziszene allen vor Augen geführt werden.
Gorjatschow inszenierte sich als Verbindungsmann zum radikalen Flügel, den er zu kontrollieren in der Lage sei. Tichonow schien seinerseits zu glauben, dass Gorjatschows Beziehungen eine Art Freifahrtschein für Gewaltaktionen darstellen. Die Präsidialadministration unterhielt tatsächlich ein enges Verhältnis zu Russkij Obras als legaler Struktur. Das mag die Machtfantasien von Gorjatschow beflügelt haben. Aber weder ließ er Antifaschisten im Auftrag des Kreml liquidieren, noch vermochte Gorjatschow die von ihm geschaffene Kampforganisation völlig zu kontrollieren. Deren Mitglieder mordeten trotz gegenläufiger Anweisungen weiter.
Gorjatschow plädierte auf unschuldig und sieht sich als Opfer einer politischen Intrige gegen den damaligen stellvertretenden Leiter der Präsidialadministration Wladislaw Surkow. Einige Fragen bleiben auch nach dem Urteil offen. Dazu gehört auch die, warum dieser Prozess an sich heikle Details offenlegen konnte, die ansonsten gerne unter den Tisch gekehrt werden.
Ute Weinmann