Vor einem russischen Militärgericht sind mehrere Bewohner der Krim zu harten Strafen verurteilt worden. Sie hatten mit der Maidan-Bewegung sympathisiert.
Wer zu 20 Jahren Freiheitsentzug unter verschärften Haftbedingungen verurteilt wird, muss ein gefährlicher Straftäter sein. Im Militärgericht im russischen Rostow am Don basiert die Rechtsprechung jedoch offenbar auf anderen Grundlagen. Am Dienstag vergangener Woche erfolgte dessen Schuldspruch gegen Oleg Sentsow und Alexander Koltschenko. 20 beziehungsweise zehn Jahre Haft sollen der russischstämmige Regisseur und der russischsprachige Anarchist verbüßen, weil sie als Bewohner der Krim mit dem Kiewer Maidan sympathisiert haben. Beide sind ukrainische Staatsbürger, was vor einem russischen Gericht keinen Bestand mehr hat, da Russland die Krim seit März 2014 für sich beansprucht.
Der vorsitzende Richter, Sergej Michajljuk, verkündete im mit russischen und ausländischen Medienvertretern gefüllten Saal nur das Strafmaß, ohne ausführende Begründung. Auf die obligatorische Frage des Richters, ob den Angeklagten das Urteil verständlich sei, stimmten Sentsow und Koltschenko die ukrainische Nationalhymne an. Beide akzeptierten weder den Schuldvorwurf, noch baten sie um Nachsicht. Genutzt hätte es ihnen ohnehin so wenig wie die internationalen Proteste gegen das Verfahren. Das Gericht folgte der Argumentation der Anklage, wonach Sentsow im April 2014 im Auftrag unbekannter Personen des »Rechten Sektors« eine »terroristische Vereinigung« auf der Krim gegründet habe, mit dem Ziel, den Beitritt zu Russland rückgängig zu machen. Als Kopf der »Bande« habe Sentsow zwei Brandanschläge auf eine Filiale der Partei »Einiges Russland« und die »Russische Gemeinschaft der Krim« in Simferopol initiiert. Zur Sprengung eines Lenin-Denkmals und des »Ewigen Feuers«, das an die Opfer des Zweiten Weltkriegs erinnert, sei es nicht mehr gekommen.
Was sich in der Theorie harmonisch in die Darstellung des Ukraine-Konflikts im russischen Staatsfernsehen einfügt, hält in der Praxis keiner Beweisführung stand. Die Zeugen der Anklage taten sich schwer, den geringen Sachschaden mit der unterstellten politischen Zielsetzung in Zusammenhang zu bringen. Einer der Geschädigten, ein Vertreter des »Einigen Russland«, blieb dem Gericht einen Nachweis über die Höhe der Folgeschäden des Brands gänzlich schuldig. Zumal es juristisch betrachtet die Partei zu dem Zeitpunkt auf der Krim noch gar nicht gab. In den besagten Räumlichkeiten befand sich zuvor ein Büro der ukrainischen »Partei der Regionen«, lediglich das Türschild wurde ausgetauscht.
Die beiden Hauptzeugen, Alexej Tschirnij und Gennadij Afanasjew, beide in der gleichen Angelegenheit zu je sieben Jahren verurteilt, lehnten es ab, die ihnen zugedachte Rolle als belastende Mittäter zu erfüllen. Tschirnij verweigerte die Aussage, Afanasjew nutzte die Gelegenheit, um sich von früheren Aussagen gegen die Angeklagten zu distanzieren. Diese seien unter Folter zustande gekommen. Sentsow taucht in den Beweismitteln kaum auf. Seine DNA-Spuren seien auf einer sichergestellten Waffe festgestellt worden, die nach seinen Angaben zum Einsatz kam, als er selbst nach seiner Festnahme gefoltert wurde.
Entsetzen, aber keine Überraschung spiegelten die zahlreichen Reaktionen auf das Urteil wider. Kritische Kollegen aus der russischen und ukrainischen Filmbranche werteten das Verfahren als »Akt der Abschreckung«. Die deutsche Regierung forderte Russland auf, die beiden Verurteilten unverzüglich freizulassen. Der Prozess habe im »politischen Auftrag des Kremls« stattgefunden, hieß es im ukrainischen Außenministerium, und die Regierung wolle alles dransetzen, Sentsow und Koltschenko zurückzuholen. Derzeit sind jedoch weder ein Gefangenenaustausch noch das vielbeschworene Ende der russischen Machthaber in Sicht. Und anders als der belorussische Präsident Alexander Lukaschenko, der sich vor seiner in diesem Herbst erwarteten Wiederwahl großmütig gibt und unlängst eine ganze Reihe politischer Gefangener amnestierte, wäre es eine echte Sensation, wenn es ihm sein russischer Amtskollege gleichtäte.
Ute Weinmann