Einem britischen Justizbericht zufolge hat wahrscheinlich Wladimir Putin die Ermordung eines Dissidenten in London genehmigt. Folgen muss der russische Präsident wohl nicht befürchten.
Fast zehn Jahre nach der spektakulären Ermordung von Alexander Litwinenko in London wartete die britische Justiz mit einem über 300 Seiten umfassenden Bericht auf. Die am Donnerstag vergangener Woche veröffentlichten Ergebnisse einer gerichtlichen Untersuchung liefern allerdings keine neuen Fakten, sondern eher eine Zusammenfassung des ohnehin Bekannten. Richter Robert Owen kam zu dem Schluss, dass der bekannte Regierungskritiker und vormalige KGB-Oberstleutnant Litwinenko am 1. November 2006 in einer Hotelbar mit radioaktivem Polonium vergiftet wurde, was zu seinem Tod führte. Einen Selbstmord schließt der Richter aus, vielmehr sieht er die Schuld der russischen Staatsbürger Andrej Lugowoj und Dmitrij Kowtun als erwiesen an, die sich mit Litwinenko zum Tee verabredet hatten und die eindeutig auf den Aufnahmen der Überwachungskameras zu identifizieren sind. Geklärt ist indes weder die genaue Herkunft des Poloniums noch das Tatmotiv.
In Frage käme eine ganze Palette an Motiven. Litwinenko war für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 tätig und somit ein Überläufer. Er gab dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Schuld an dem Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja und er legte Informationen offen, die dem Präsidenten vorwerfen, enge Kontakte zur russischen Mafia gepflegt zu haben. In dem Bericht wird selbst an einen Artikel erinnert, in dem Litwinenko Putin der Pädophilie bezichtigte. Andere Quellen geben an, dass die Poloniumvergiftung ein wichtiges Treffen Litwinenkos mit spanischen Ermittlern zu den Machenschaften der Mafia vereitelt habe. Richter Owen ist überzeugt davon, dass die Mörder im direkten Auftrag des russischen Geheimdienstes FSB gehandelt haben und somit wahrscheinlich sei, dass Putin und der damalige FSB-Chef Nikolaj Patruschew die Operation genehmigt haben.
Politische Morde sind eines der auffälligsten Merkmale der postsowjetischen Geschichte Russlands. Die Motive mögen unterschiedlich sein, den folgenden Ermittlungen ist jedoch eines gemein: Ausführende Täter werden meist ausfindig gemacht und einer mehr oder weniger gerechten Strafe zugeführt, in der Regel aber nicht die Auftraggeber. Deren Identität wird gehütet wie ein Staatsgeheimnis. Das öffnet Tür und Tor für wilde Spekulationen, wobei gelegentlich die russische Regierung mit eigenen Favoriten nachhilft. So musste lange Zeit der 2013 in London verstorbene Oligarch Boris Beresowski als Bösewicht für den Mord an Litwinenko herhalten. Dieser leitete übrigens 1998 sein Dissidententum mit einer öffentlichen Erklärung ein, seine Vorgesetzten hätten ihm befohlen, Beresowski zu töten.
Ohne schwer zu liefernde Beweise lassen sich die Erkenntnisse der britischen Justiz leicht als politisches Statement abtun. Lugowoj und Kowtun leben in Russland, ein Auslieferungsantrag wurde 2007 abgelehnt und eine Schuld weisen sie ohnehin weit von sich. Auch die russische Führung muss sich über etwaige Folgen wohl keine Gedanken machen. Das britische Außenministerium hatte sich bereits vor der Veröffentlichung des Berichts an Premierminister David Cameron mit der Bitte gewandt, Russland selbst bei einem Schuldnachweis nicht mit neuen Wirtschaftssanktionen zu drohen.
Ute Weinmann