Antifaschisten berichten von Folter durch Geheimdienst

Russischer Inlandsgeheimdienst FSB will Terrornetzwerk ausgehoben haben / Festnahmen in Pensa und St. Petersburg

Pensa zählt zu den Orten in der russischen Provinz, die nie durch Aktivitäten der russischen Opposition aufgefallen sind. Die Stadt liegt etwa 600 Kilometer südöstlich von Moskau in einer beschaulichen Landschaft. Glaubt man den jüngsten Enthüllungen des Inlandsgeheimdienstes FSB soll sich ausgerechnet dort eine Terrorgruppe formiert haben mit Zweigstellen in St. Petersburg, Moskau und sogar im benachbarten Belarus.

Das Netzwerk »5.11« soll Anschläge zum Zeitpunkt der anstehenden Präsidentschaftswahlen im März und während der Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer geplant haben, um die politische Lage zu destabilisieren. Im Visier der streng durchorganisierten Verschwörer sollen Angehörige des Sicherheitsapparats und lokale Machthaber gestanden haben. Ziel sei ein bewaffneter Aufstand. Das nötige Know-how sollen sich die vermeintlichen Terroristen beim Spiel Airsoft angeeignet haben, einem populären und völlig legalen taktischen Geländesport.

Bereits im Oktober gab es unbemerkt von der Öffentlichkeit Festnahmen in Pensa. Doch erst nach dem Verschwinden eines jungen Antifaschisten am 23. Januar in St. Petersburg, der einen Tag später, nach dem er ein Schuldgeständnis abgelegt hatte, in Untersuchungshaft ausfindig gemacht werden konnte, kamen einige in vielerlei Hinsicht fragwürdige Umstände des Verfahrens zum Vorschein. Wiktor Filinkow berichtete Mitgliedern einer für Haftbedingungen in russischen Gefängnissen zuständigen Kommission, er sei gefoltert worden, vermutlich von Angehörigen des FSB. Sein Anwalt reagierte geschockt. Trotz seiner Erfahrung mit Delikten im Bereich polizeilicher Willkür habe er derart schlimme Körperverletzungen noch nie an einem Mandanten gesehen.

In St. Petersburg folgten Hausdurchsuchungen im Umfeld der Anarchisten- und Antifaszene und eine weitere Festnahme. Beim Termin vor dem Haftrichter waren bei Igor Schischkin deutliche Spuren von körperlicher Misshandlung zu erkennen. Auch in Pensa wandten die Ermittler offensichtlich Foltermethoden an. Wassilij Kuksow verweigerte die Aussage mit Verweis auf den entsprechenden Passus in der russischen Verfassung. Seine Frau bekam ihn, übel zugerichtet, bei einer Ortsbesichtigung zu sehen. Dabei entdeckten die Ermittler eine Waffe in Kuksows Auto. Allerdings bemerkte er, dass die Schlösser aufgebrochen waren. Ansonsten basieren die Beweismittel im Wesentlichen auf den Aussagen der bislang befragten Verdächtigen.

Als Anführer der Terrorgruppe gilt den Ermittlern Dmitrij Ptschelinzew, der als Schützentrainer arbeitet. Er sitzt in Einzelhaft und legte nach anfänglicher Weigerung ein Geständnis ab. Seiner Frau berichtete er Anfang Dezember bei einem Besuch, er fürchte um sein Leben. Täglich habe man ihn mit Elektroschocks malträtiert und zeitweise mit dem Kopf nach unten aufgehängt. Auf seine Frau üben die Ermittler psychologischen Druck aus. Die Anwendung von Foltermethoden stellt in einigen Regionen Russlands zwar keine Seltenheit dar, aber in einem Verfahren gegen politische Oppositionelle ist diese Eskalationsstufe neu.

Wo der FSB von einer durchweg anarchistischen Terrorgruppe spricht, ordnen sich längst nicht alle der sechs in Pensa Festgenommenen einer politischen Ideenrichtung zu. Verbindungen untereinander bestehen hauptsächlich durch Konzertbesuche. Zudem irritiert die in den Ermittlungsakten angeführte Namensgebung der Gruppe »5.11«. Für den 5. November 2017 hatte der nationalistische Politiker Wjatscheslaw Malzew zu einer Revolution aufgerufen. Danach gab es mehrere Festnahmen.

Doch es ist weder bekannt, dass linke oder anarchistische Gruppen diesen Aufruf jemals unterstützt hätten noch dass direkte Bezüge hergestellt werden zum laufenden Verfahren gegen Malzews Anhänger. Letzterer hatte sich bereits im Juli nach Frankreich abgesetzt.

ute weinmann

nd

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