Neue US-Sanktionen treffen einige russische Oligarchen hart, andere bleiben ausgespart. Die Duma hat Gegenmaßnahmen angekündigt, doch die russische Regierung zögert.
Noch Ende Januar sorgten die US-amerikanischen Drohungen in Teilen des russischen Establishments für Erheiterung. Damals veröffentlichte das US-Finanzministerium einen Bericht, der Empfehlungen über die Verhängung von Sanktionen gegen 114 Schlüsselfiguren im russischen Staatsapparat und 96 Oligarchen aussprach. Die Zusammenstellung liest sich wie ein Who is Who der russischen politischen Führung und Geschäftswelt. Auch wenn einige der Betroffenen die Befürchtung äußerten, konkrete Maßnahmen ließen wohl nicht lange auf sich warten, taten andere den als Telefonliste verharmlosten Bericht leichtfertig ab. Zwei Monate später gibt es keinen Grund mehr zu lachen. Die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen den USA und Russland hatten sich in der kurzen Zeit weiter verschlechtert und statt verbaler Proteste drohen nun ernsthafte Konsequenzen.
Einer der zentralen Konfliktpunkte bleibt die militärische Unterstützung Russlands für den syrischen Diktator Bashar al-Assad. Zum Eklat kam es jedoch erst nach dem Einsatz chemischer Waffen, bei dem Anfang April Dutzende Menschen in Duma, einem Vorort von Damaskus, ums Leben kamen. Das syrische Militär flog einen Luftangriff, nachdem mit Hilfe russischer Unterhändler geführte Gespräche mit der islamistischen Miliz »Armee des Islam« gescheitert waren. Mediziner berichteten von Opfern mit Symptomen, wie sie nach einem Chemiewaffenangriff typisch sind; eine genaue Analyse des verwendeten Stoffes steht jedoch noch aus.
Sowohl die russische als auch die syrische Regierung dementierten, chemische Giftstoffe zu verwenden. Allerdings kam es in der Vergangenheit immer wieder zum Einsatz von Chemiewaffen, für die die zuständige Uno-Untersuchungskommission Assads Truppen verantwortlich machte.
Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, begrüßte eine Untersuchung der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) vor Ort. Deren Experten sahen sich jedoch mit großen Schwierigkeiten konfrontiert, bis nach Duma vorzudringen. Westlichen Medien warf Sacharowa »tödliche Propaganda« vor. Nach offizieller Ansicht Russlands verwendeten in Syrien lediglich regierungsfeindliche Extremisten und Rebellen chemische Waffen, im vorliegenden Fall handele es sich um eine Provokation. Russische Experten, die zwei Tage nach dem Angriff in Duma Proben entnommen hatten, stellten keine Spuren eines Giftstoffes fest. Als besonders zynisch bezeichnete Sacharowa überdies Raketenangriffe von US-amerikanischen, britischen und französischen Truppen eine Woche nach dem Angriff auf Duma, da sie die OPCW bei ihren Untersuchungen behinderten. Bei den Angriffen kamen keine Menschen zu Schaden, russische und syrische Streitkräfte ließen die Attacke unbeantwortet.
Nahezu parallel zum Giftgaseinsatz verhängten die USA umfangreiche Sanktionen gegen 38 Oligarchen, russische Unternehmen und Angehörige des Sicherheitsapparats. Der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitrij Peskow, erwiderte prompt, in Russland seien längst keine Oligarchen mehr zu finden. Doch Superreiche, die im Zentrum des russischen Herrschaftsgefüges stehen, gibt es sehr wohl. Die Auswahl auf der Sanktionsliste verwundert stellenweise, denn die Kriterien sind nicht offensichtlich. Es fällt auf, dass so mancher potentielle, der russischen Regierung nahestehende Kandidat nicht auf der Liste steht, wie beispielsweise Roman Abramowitsch. Andere, wie der Vorstandsvorsitzende von Gazprom, Aleksej Miller, oder Oleg Deripaska, der Hauptanteilseigner des Aluminiumkonzerns Rusal, treffen die restriktiven Maßnahmen in bislang ungewohnter Härte. Deripaska machte nie einen Hehl daraus, dass er bereit ist, sein Vermögen für die russische Führung einzusetzen. Dass er mit Teilen des US-amerikanischen Establishments gut vernetzt war, könnte dazu beigetragen haben, dass er nun ganz oben auf der Liste steht.
Die Sanktionen, die de facto den kompletten Ausschluss vom US-amerikanischen Markt bedeuten, schlugen in Russland wie eine Bombe ein. Der Rubel sackte ab, Deripaska verlor etwa eine Milliarde US-Dollar seines Vermögens und Rusal-Aktien büßten zeitweise 30 Prozent an Wert ein. Die russische Regierung sicherte den betroffenen Unternehmen ihre volle Unterstützung zu, aber alle Verluste kann sie nicht ausgleichen. Um wenigstens politisches Kapital aus der Misere zu schlagen, machten sich die Parlamentsabgeordneten umgehend an die Ausarbeitung umfangreicher Gegensanktionen. Ihrer Phantasie ließen sie dabei freien Lauf. So kündigten sie Importverbote für Alkohol, Tabak und Medikamente an, ein Beschäftigungsverbot für US-amerikanische Staatsangehörige sowie die Aufhebung der Lizenzen und Nutzungsrechte US-amerikanischer Hersteller.
Auf Widerstand in der Geschäftswelt, aber auch von einigen hohen Funktionsträgern stießen Einschränkungen in der Raumfahrtkooperation und ein mögliches Lieferverbot von Titanerzeugnissen an die USA. Nur Japan liefert mehr Titan als Russland und das Unternehmen Boeing ist derzeit auf Importe aus Russland angewiesen. Früher oder später findet sich immer Ersatz und der Verlust von Marktanteilen könnte Russlands Wirtschaft auf Dauer mehr schaden als die derzeitigen Sanktionen. Nach dem ersten emotionalen Ausbruch teilte die Regierung mit, über etwaige Gegenmaßnahmen werde nicht vor Mitte Mai endgültig entschieden. Bis dahin wird man sich im Kreml intensiv mit Verlustrechnungen beschäftigen müssen. Anders als das für eine patriotische Deutung zuständige Abgeordnetenhaus lässt sich die russische Regierung in Geldangelegenheiten lieber von Pragmatismus leiten.
Für andere Bereiche gilt dies weniger. Mitte April ließ die zuständige Aufsichtsbehörde den Instant-Messenger-Dienst Telegram blockieren. Mehrmals war dessen Erfinder und Unternehmensleiter Pawel Durow ohne Resultat aufgefordert worden, die Kodierungsschlüssel für das unter anderem von Oppositionellen, aber durchaus auch in Regierungskreisen geschätzte Programm offenzulegen. Erfahrene User kümmerten sich vorsorglich um die Absicherung des Zugangs per VPN oder Proxy-Adressen, aber kaum jemand rechnete damit, dass die Behörde derart gründlich sein würde: zwischenzeitlich wurden 18 Millionen IP-Adressen blockiert, was teilweise zu Funktionsausfällen bei Zahlungssystemen von Banken, Kassen in Supermärkten und zahlreichen Websites führte.
ute weinmann