Kirche von oben

Die orthodoxe Kirche genießt in Georgien Verfassungsrang und Steuerfreiheit, erhält staatliche Zuschüsse und ist erzkonservativ. Ihren christlich-religiösen Nationalismus trägt sie offen zur Schau.


Heiliges Domino. Die Allgegenwart der Orthodoxie macht in Georgien nicht einmal vor dem Glücksspiel halt. Foto uw

Manche sind gleicher als andere; das gilt bekanntlich nicht nur für die in George Orwells »Animal Farm« ­beschriebene Ordnung. In Bezug auf die georgische orthodoxe Kirche kommt als Rechtfertigung für ihren expliziten Sonderstatus vor anderen Religionsgemeinschaften im Land noch ihre historische Rolle hinzu.

Im Jahr 2001 wurde die ideologische Vormachtstellung der Orthodoxie durch den Abschluss eines Konkordats zwischen Staat und Kirche bekräftigt. Dieser Vertrag gewährt weitreichende Privilegien von der Anerkennung der kirchlich geschlossenen Ehen und der Befreiung des Klerus vom Militärdienst bis hin zu vermögensrechtlichen Fragen und der vollständigen Befreiung von Steuerzahlungen. Eine entsprechende Verfassungsänderung besiegelte diese auch über die georgischen ­Grenzen hinaus richtungsweisende Führungsrolle der Kirche innerhalb des Staatswesens.

Religion ist keine reine Glaubenssache, sondern stets mit handfesten ­materiellen Interessen verbunden. Der georgische Staat leistet jährliche Zahlungen an das Patriarchat der Orthodoxen Kirche in Höhe von 25 Millionen Lari als Entschädigung. Dabei handelt es sich nicht nur um Reparationen für Verluste aus der Sowjetzeit, sondern sogar noch aus der Zarenzeit. Welche Ansprüche die Kirche im Einzelnen geltend macht, lässt sich jedoch nicht nachvollziehen. Zusätzlich zu den staatlichen bezieht sie Gelder aus den ­Kommunen und verfügt über Land- und Immobilienbesitz. Darüber hinaus zählen zum kirchlichen Geschäftsimperium Dutzende Firmen, darunter auch Alkohol produzierende. Außerdem hat die Kirche über 100 Nichtregierungsorganisationen (NGO) angemeldet, die in erster Linie religiöse Bildungsarbeit betreiben. Der Staat hat keinerlei Kontrolle über die Verwendung öffentlicher Mittel durch die Kirche.

Im vergangenen Jahr ging der damalige georgische Ministerpräsident ­Giorgi Kwirikaschwili so weit zu behaupten, Georgien könne gar kein ­säkularer Staat sein. Über gesellschaftliche Relevanz verfügt die Kirche ­allein schon deshalb, weil jenseits von Orthodoxie und neoliberaler Wirtschaftslehre nur eine nennenswerte Ideologie vorhanden ist: Der georgische Nationalismus. Die Orthodoxe Kirche gewann zur gleichen Zeit an Popu­larität wie die Idee der Erschaffung einer georgischen Nation im Sinne Swiad Gamsachurdias, des ersten Präsidenten im postsowjetischen Georgien. Patriarch Ilia II., mit bürgerlichem Namen Irakli Ghuduschauri-Schiolaschwili, seit 1977 im Amt, verfolgt ebenfalls einen nationalistischen Ansatz, nur mit dem Unterschied, dass in seiner Auslegung das Selbstverständnis der ­Georgier auf der Zugehörigkeit zur Orthodoxie beruht. Heute hat sich der Patriarch mit seiner Auffassung von Nationalismus durchgesetzt. 1989 betrug der Anteil ethnischer Georgier auf dem Gebiet der damaligen Sowjetrepublik 70 Prozent, mittlerweile stellen sie knapp 87 Prozent der Bevölkerung. Über 83 Prozent gaben bei der jüngsten Volkszählung von 2014 an, dem orthodoxen Glauben anzuhängen, während Atheisten statistisch gesehen eine ­irrelevante Minderheit darstellen. Kwirikaschwilis Aussage lässt sich demnach als Versuch deuten, sich mit der Anbiederung an die ­Kirche politische Vorteile zu verschaffen für seine Partei »Georgischer Traum«, deren Anhängerschaft derzeit schwindet.

Bei Umfragen erhält die Kirche jedenfalls regel­mäßig Sympathiewerte von über 80 Prozent. Vor einigen Jahren sprachen sogar über 90 Prozent der Bevölkerung der Kirche ihr Vertrauen aus. Nur die Armee genießt ein ähnlich hohes Ansehen, während die Polizei ihr unter dem ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili erreichtes positives Image zu guten Teilen wieder eingebüßt hat. Ein Grund für den hohen Rückhalt der Orthodoxie in Georgien in der Bevölkerung liegt ­sicherlich in der sie umgebenden sakralen Aura. Die Kirche inszeniert sich als über dem Staat stehende Instanz und als über jegliche Kritik erhaben. Zumindest war sie es bis zur Festnahme des Chefs der Vermögensverwaltung des Patriarchats, Giorgi Mamaladse, im Februar 2017. Am Flughafen von Tiflis war in seinem Gepäck Zyanid gefunden worden. Mamaladse soll versucht ­haben, das Gift nach Deutschland zu bringen, wo sich der damals 84jährige Patriarch Ilia II. einem medizinischen Eingriff unterzog und sich auch seine engsten Vertrauten aufhielten.

Zu ­ihnen gehört Schorena Tetruaschwili, die persönliche Referentin des Patri­archen, die auf ihn großen Einfluss ausübt und als Strippenzieherin im Hintergrund gilt. Sie wurde von der georgischen Staatsanwaltschaft als Ziel des vermeintlichen Giftanschlags identifiziert. In einem Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde Mamaladse zu neun Jahren Haft ver­urteilt. Zuvor veröffentlichte der oppositionelle Fernsehsender Rustawi 2 ­einen Brief Mamaladses an Patriarch Ilia II., dessen Echtheit jedoch nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte. In dem Schreiben ist von Korruption, Fremdnutzung kirchlichen ­Eigentums und illegalen Geschäften die Rede, weshalb Mamaladse um ­Erlaubnis für eine ausführliche Buchprüfung bat. Zweifel an der offiziellen Anklage gibt es zuhauf, bis hin zu der Version, der Giftfund sei Ausdruck ­eines Machtkampfes um Ilias Nachfolge.

Die Kirche hat durch diesen Fall ihre Unantastbarkeit eingebüßt. Korruptionsvorwürfe kamen sogar aus den eigenen Reihen.
Hochrangige Würdenträger sagten Mamaladse eine kriminelle ­Vergangenheit nach, nachdem dieser ein Begnadigungsgesuch eingereicht hatte. Für den Klerus verhängte das ­Patriarchat außerdem ein Verbot, mit Journalisten zu kommunizieren, ins­besondere mit Giorgi Gabunia von Rustawi 2. Einer der Metropoliten beschimpfte den Moderator gar als »Lakaien des Teufels«. Grund dafür ist seine oft mit biblischen Bezügen humoristisch verpackte Kritik an Zuständen im Land, wie beispielsweise in der Anmoderation zu einem Beitrag über den Umgang mit Waldbeständen in Georgien. Jesus Christus, so Gabunia, hätte statt nach Israel besser in die Region Adscharien kommen sollen, wo schlicht das Material zur Anfertigung eines Holzkreuzes gefehlt hätte. Außerdem fiel in Gabunias Sendungen mehrmals der Vorwurf, im Haus von Ilia II. hätten 2016 drei türkische Staatsbürger gewohnt, die wegen Terrorismusverdachts auf der Fahndungsliste von Interpol gestanden hätten.

Ohne Frage verfügt die Orthodoxe Kirche in Georgien über weitreichende symbolische Macht, aber ihr realer ­politischer Einfluss stößt an Grenzen. Trotz mehrmaliger Anläufe scheiterte bislang der Versuch, in Georgien ein nach russischem Vorbild gestricktes Gesetzesvorhaben durchzusetzen, das die Beleidigung religiöser Gefühle ­unter Strafe stellt. Im Juli entschied das Verfassungsgericht über eine Klage selbstbewusst auftretender religiöser Minderheiten und stufte die Befreiung von der Mehrwertsteuer beim Bau oder bei Restauration von Kirchen als verfassungswidrig ein. Das ist noch kein Durchbruch, aber immerhin ein Anfang.

ute weinmann

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