In Russland unerwünscht

Die russische Regierung geht nicht nur gegen einheimische Oppositio­nelle, sondern auch gegen einige ausländische Organisationen vor. Kürz­lich wurden erstmals drei deutsche Vereine verboten.

Unerwünscht! Hinter dieser schlichten Formel verbirgt sich in Russland ein modernes Synonym für «Volksfeinde». Ende Mai wurden erstmals drei deutsche Vereine in die Liste «ausländischer und internationaler nichtstaatlicher Organisationen, deren Tätigkeit auf dem Gebiet der Russischen Föderation als unerwünscht anerkannt ist» aufgenommen. Bislang führt das Justizministerium darin 35 Organisationen auf, hauptsächlich US-amerikanische, aber das Länderspektrum umfasst auch Großbritannien, Tschechien oder Litauen. Jegliche Form der Projektarbeit in Russland ist ihnen untersagt, Bankkonten dürfen nicht eingerichtet werden, die Finanzierung aus dem Ausland ist Tabu. Auf Verstöße stehen Geldbußen oder Freiheitsentzug von bis zu sechs Jahren.

Die erste Gesetzesgrundlage für dieses Vorgehen entstand im Mai 2015 und ist eine Art Pendant zur bereits zuvor existierenden Regelung über «ausländische Agenten» für russische Organisationen. Mit dem ersten Listeneintrag erfolgte noch im gleichen Jahr die Unterbindung der ausgiebigen Fördermittelvergabe an russische Partner aus dem US-Haushalt über die Stiftungsstrukturen des National Endowment for Democracy unterbunden. Gegen das weitverzweigte Organisationswesen des ehemaligen Oligarchen Michail Chodorkowskij gingen die russischen Behörden sukzessive vor. Seit Juni fällt mit dem Bard College, das mit der St. Petersburger Staatsuniversität kooperierte, erstmals auch eine Bildungseinrichtung unter das Verbot.

Jüngst stimmte die Duma über eine Verschärfung des ursprünglichen Gesetzes ab und änderte weitere damit in Verbindung stehende Gesetzesnormen. So ist es russischen Staatsangehörigen und in Russland ansässigen Ausländern nun selbst außerhalb der russischen Staatsgrenzen verboten mit unerwünschten Organisationen zu kooperieren. Es habe sich herausgestellt, dass russische Staatsbürger im Ausland an Seminaren und Trainings unerwünschter Organisationen teilgenommen hätten.

Was Chodorkowskij anbelangt, der nach zehn Jahren Straflager ins Exil gedrängt worden war, so reagiert die russische Führung auf ihn bis heute allergisch. Andere betroffene Organisationen — auch die deutschen — müssen sich indes selbst einen Reim darauf machen, warum ausgerechnet sie ins Visier der für die Einstufung zuständigen Generalstaatsanwaltschaft geraten sind. Nicht auszuschließen, dass der Berliner Think Tank Zentrum Liberale Moderne nicht zuletzt wegen seiner Verbindungen zu Chodorkowskij auf der roten Liste landete. Das Forum Russischsprachiger Europäer bekämpft, wie auf deren Webseite zu lesen ist, den «Vormarsch des Putinismus nach Europa», zudem ist Gründer Igor Eidman ein Cousin des in Moskau ermordeten ehemaligen liberalen Oppositionspolitikers Boris Nemzow. Am meisten Fragen wirft die Einstufung des Deutsch-Russischen Austauschs auf, der seit fast dreißig Jahren Jugendliche und Erwachsene aus beiden Ländern zusammenbringt und ein breites Themenspektrum abdeckt. «Eine echte Erklärung gibt es dafür nicht», sagte Geschäftsführer Stefan Melle der Jungle World.

Ganz überraschend kam das Aus dennoch nicht. Im April lud der deutsche Botschafter in Moskau Géza Andreas von Geyr Duma-Abgeordnete zu einem internen Treffen ein. Wasilij Piskarjow, Vorsitzender des für die Einmischung ausländischer Staaten in innere russische Angelegenheiten zuständigen Ausschusses nannte mehrere Namen, darunter die Heinrich-Böll-Stiftung, die in Moskau ein Büro unterhält. Gründe für eine intensive Beobachtung lägen zuhauf vor: Es geht um die Haltung zur Gaspipeline Nord Stream 2, zur Ukraine, Homosexualität und sogar die unterstellte Diskreditierung des russischen Ansatzes zur Pandemiebekämpfung.

Es macht wenig Sinn, sich an diese Vorwürfe zu klammern. Das Problem liegt weitaus tiefer. Noch zu Sowjetzeiten setzte mit der Perestroika ein Prozess der Öffnung ein, der eine Orientierung Russlands an westlichen Demokratiemodellen zum Massstab der politischen Entwicklung erkor. Damit ist endgültig Schluss. Nicht einmal mehr deren Imitation steht auf der Tagesordnung. Wie selten zuvor wurde dies beim Treffen von US-Präsident Joe Biden mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin im Juni deutlich. Die zur Schau gestellte Distanzierung zum Westen öffnet zudem im Land selbst Tür und Tor für die Bekämpfung jeglicher Form illoyalen Handelns oder Denkens. Wer im Machtapparat die Zeichen der Zeit erkannt hat, überbietet sich gegenseitig blindlings mit Forderungen nach immer neuen Verschärfungen. Über all dem thront Putin, weniger als aktiver Politiker, denn als unumstößliche Institution

ute weinmann

Jungle World

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