Frauen stehen in Russland an zweiter Stelle…

…aber ohne sie geht gar nichts.

Anläßlich des Sieges von Michelle Bachelet bei den Präsidentschaftswahlen in Chile startete die russische Tageszeitung Izvestija eine Umfrage bei ihrer Leserschaft. Kann eine Frau Präsidentin Russlands werden? 38 % hielten dies durchaus für realistisch, 35 % konterten mit einem scharfen „Njet“ und die restlichen 27 % argumentierten, eine weibliche Präsidentin sei in Russland generell nur als Blondine vorstellbar.

Aber soweit wird es in absehbarer Zeit wohl kaum kommen. Politikerinnen, ob nun blond oder brünett, bilden im heutigen Russland nicht nur in der Führungsriege eine Randerscheinung. Erfolgreiche und superreiche Geschäftsfrauen — auch ohne einen Ölmagnaten als Ehemann — sind dagegen öfter anzutreffen. Wenngleich aber die postsowjetische Gesellschaftsordnung theoretisch alle Möglichkeiten zur Entfaltung für das weibliche Geschlecht vorsieht, so ändert dies doch nichts am jahrhundertealten und nach wie vor aktuellen Frauenbild. Damit konnte selbst der kurzzeitige emanzipatorische Schub der nachrevolutionären 20er Jahre nicht brechen.

Eine Frau ist in erster Linie Gehilfin, zuständig für Reproduktion und Haushalt. Dazu hat sie appetitlich auszusehen, vorzugsweise blond zu sein und sie sollte, ob nun hyperschlank oder füllig, auch bei Glatteis auf Stöckelschuhen balancieren können. Bei einer Begrüßung wird Frauen nicht die Hand geschüttelt, dafür stellen Männer allzu gerne höfliches Benehmen zur Schau, indem sie Frauen vermeintlich galant die Hand reichend aus dem Bus auf die Straße zerren, selbst jedoch nie daran denken würden, auch nur einmal den Putzlappen zu schwingen.

Den meisten an sie gestellten Anforderungen fügen sich die Frauen stoisch ohne laut aufzumucken, sie neigen eher zum leisen Widerstand.

Die in Deutschland vieldiskutierte Wahl zwischen einem Dasein als Hausmuttchen und der Erwerbstätigkeit stellt sich in der Regel erst gar nicht, denn kaum ein Mann kann es sich leisten seine Frau oder Freundin über längere Zeit auszuhalten. Und zu Sowjetzeiten waren Frauen

selbstverständlich in den Arbeitsmarkt integriert, wenngleich sich spezifisch weibliche und gleichzeitig schlechter bezahlte Sparten wie der Bildungs- oder der Gesundheitsbereich etablierten. Zudem weist Russland eine der höchsten Raten alleinerziehender Frauen auf. Häufig kommen hauptsächlich Frauen für den Lebensunterhalt der restlichen Familie auf, die ihrerseits nicht selten – die Kinder ausgenommen – einzig und allein aus weiblichen Mitgliedern besteht. Frauen haben eine Lebenserwartung von über 70 Jahren, Männer hingegen leben im Durchschnitt keine 60 Jahre.

So nimmt es nicht Wunder, dass Frauen in Russland halb im Scherz und halb im Ernst als das stärkere Geschlecht gelten. Doch ist dies weniger Anerkennung als eine schwere Bürde. Bei all der durch die Gesellschaft aufgedrückten Verantwortung versuchen sich Frauen trotz allem Pflichtbewusstsein gerne vor ihr zu drücken. Wenn sich schon ein Mann bereit findet – und sei es nur zu ritualisierten Demonstrationszwecken vermeintlicher Stärke – eine Tasche zu tragen oder eine Schraube festzuziehen – dann soll er wenigstens diese Aufgabe übernehmen. Und wenn Augenklimpern effektiver hilft eines der zahlreichen Alltagsprobleme zu lösen, was soll’s? Die Position von vielen Frauen ist damit nicht defensiver als die eines männlichen Autofahrers, der einem Verkehrspolizisten einen Geldschein in die Hand drückt, um sich andernfalls zu erwartende Unannehmlichkeiten zu ersparen. Frauen gehen damit konform mit dem überwiegenden Teil der russischen Gesellschaft. Gängige Verhaltensmuster werden in Russland nur selten gebrochen, der

Anpassungsdruck lässt sowohl für Männer als auch Frauen kaum Spielraum. Und wer dennoch beispielsweise durch seine oder ihre sexuelle Orientierung aus dem Rahmen fällt, ist bemüht nicht anzuecken. In einer Zeit, in der die letzten staatlichen sozialen Garantien praktisch entzogen werden, ist mit einer Geschlechterrevolte kaum zu rechnen. Veränderungen passieren schleichend und orientieren sich an den unmittelbaren Bedürfnissen. So machte beispielsweise im vergangenen Jahr in St. Petersburg ein Fortbildungsprojekt im handwerklichen Bereich unerwartet Furore, welches

nach dem einfachen Prinzip operierte, Frauen lehren Frauen. Denn wo auf männliche Handwerker kaum Verlass ist, macht frau in Zukunft alles selbst.

Ute Weinmann

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