Gazprom ist dagegen

Russland will ein unabhängiges Kosovo keinesfalls anerkennen. Das hat nicht nur außenpolitische, sondern auch wirtschaftliche Gründe.

»Man sagt uns die ganze Zeit, Kosovo sei ein Sonderfall. Alles Lüge.« Auf seiner letzten Jahrespresse­konferenz als russischer Präsident fand Wladimir Putin vergangene Woche starke Worte, um die Meinung Russlands zu der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo zu verdeutlichen. Von einer Journalistin des ZDF auf Russlands Stimmverhalten im Uno-Sicherheitsrat angesprochen, stellte Putin die Frage, ob den Europäern ihr Verhalten nicht peinlich sei. Nordzypern werde schließlich nicht anerkannt, und auch Nordirland und das Baskenland ließ der Präsident nicht unerwähnt.

Über die Kosovo-Frage lässt sich in Russland kaum debattieren, ohne Bezug auf die Folgen des Zerfalls der Sowjetunion zu nehmen. Anfang Februar erklärte der Vorsitzende des Duma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten, Konstantin Kosatschow, »die Unabhängigkeits­erklärung des Kosovo, von der die Verwaltung dieses serbischen Gebietes als unvermeidlich spricht, kann die russische Meinung zu den Konflikten in den postsowjetischen Republiken komplett verändern«. Seiner Ansicht nach werde die »eigenmächtige Ausrufung der Unabhängigkeit des Kosovo und die mögliche Anerkennung dieser Unabhängigkeit durch eine Reihe westlicher Staaten ein ernsthafter Faktor für die Neubewertung des – bislang zurückhaltenden – Vorgehens Russlands gegenüber selbstproklamierten Republiken« sein. Gemeint sind damit ganz offensichtlich Transnistrien, Abchasien und Südossetien.

Insbesondere die Infragestellung des Status der beiden letztgenannten könnte erneut zu einem Kriegsszenario in der Region führen. Der unlängst wiedergewählte georgische Präsident Michail Saakaschwili versprach seinen Wählern, die abtrünnigen Kleinstaaten wieder unter die Obhut der georgischen Zentralregierung zu bringen. Der Kreml dürfte sich damit genauso wenig abfinden wie mit der Unabhängigkeit des Kosovo. Nachdem die Präsidenten Abchasiens und Südossetiens am Montag angekündigt hatten, sich von Georgien demnächst loslösen zu wollen, bekräftigte die russische Regierung die Notwendigkeit, über ihre politische Strategie für die Region nachzudenken. Allerdings erklärte Putin, dass die russische Regierung die Entscheidungen über das Kosovo nicht »einfach nachäffen« wolle. Vorerst will Russland erweiterte ökonomische und humanitäre Hilfsmaßnahmen für die beiden Mini-Republiken prüfen. Ohnehin sind die russisch-georgischen Beziehungen von andauernden Spannungen gekennzeichnet. Beide Seiten demons­trierten in letzter Zeit zwar ihren guten Willen für einvernehmliche Lösungen, aber für die russische Politik existenzielle Belange, wie Saakasch­wilis Bestrebungen zu einem Nato-Beitritt Georgiens, beinhalten auf Dauer ein hohes Konfliktpotenzial.

Die russische Regierung ist derzeit darum bemüht, die Bedingungen für eventuelle militärische Schritte in der Region sichtbar zu verbessern. Dazu gehört der Bau einer befestigten Straße durch das bergige Gebiet der russischen Teilrepublik Dagestan. Zwar soll das bis zum Jahr 2010 fertig gestellte Projekt vorrangig dem Warenverkehr und der damit verbundenen politischen Annäherung von Russland und Georgien dienen. Gleichzeitig hob Putin Anfang Februar jedoch die Notwendigkeit einer leistungsfähigen Straßen­anbindung hervor, die auch zum Transport von Militärtechnik geeignet sein müsse.

Die russische Regierung unterstützt Serbiens Haltung zur Kosovo-Frage auf ganzer Linie. Am Montag forderte Russland gemeinsam mit Serbien den UN-Sicherheitsrat auf, die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo zurückzuweisen. Russland tritt jedoch weniger aus Gründen serbisch-russischer Völkerfreundschaft als Schutzmacht auf, sondern verfolgt milliardenschwere ökonomische Interessen. Der russische Gasmonopolist Gazprom schloss eine ganze Reihe verschiedener Abkommen für den Bau der geplanten Gaspipeline »Juzhnyj potok«, die ab dem Jahr 2013 als Konkurrenz zur europäisch-amerikanischen Pipeline »Nabucco« jährlich zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas unter anderem durch Bulgarien und Serbien nach Westeuropa transportieren soll.

Die serbische Führung erhofft sich durch das Projekt eine Verbesserung seiner strategischen Positionen in Südosteuropa und überließ 51 Prozent der Aktien des staatlichen Ölkonzerns Naftna Industrija Srbije dem Tochterunternehmen der Gazprom, Gazpromneft, zum Vorzugspreis. Russland seinerseits umgeht dadurch nicht nur auf der Südroute die Transitländer Ukraine und Türkei, die sich in der Vergangenheit nur bedingt als zuverlässig erwiesen haben, sondern startet neben der Ostsee-Pipeline eine weitere Offensive im Erdgassektor. Russland übt damit faktisch die Kontrolle über den gesamten Weg des Transports von russischem Gas nach Westen aus. Das Pipelineprojekt »Juzhnyj potok« ist zwar nicht direkt an den Verbleib des Kosovo in Serbien gebunden, doch die Stabilität langfristiger strategischer Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union wird sich auch auf die Rentabilität der Pipeline auswirken.

In der russischen Innenpolitik spielt die Debatte um den Status des Kosovo eher eine untergeordnete Rolle. Zwar gaben bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts VCIOM 14 Prozent der Befragten an, das Kosovo sei das für Russland bedeutendste außenpolitische Problem. Doch die vergangenen Monate waren eher von der Dumawahl, der Frage um die Präsidentschaftsnachfolge und den Spekulationen um eine mögliche ökonomische Krise geprägt.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2008/08/21204.html

 

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