Grenzen, Gräber und Granaten

Der georgisch-russische Konflikt um Südossetien ist eskaliert, doch eine militärische Lösung gibt es nicht.

Kurz vor dem offiziellen Beginn der Olympischen Spiele in Beijing begann ein neuer Krieg im Kaukasus. Schon seit Monaten war es zwischen Geor­gien und der sezessionistischen Teilrepublik Süd­ossetien wiederholt zu militärischen Konflikten gekommen, seit Anfang August sorgte ein intensiver Schusswechsel für zunehmende Spannungen. In der Nacht zum Freitag voriger Woche gab die georgische Führung ihre Absicht bekannt, die »verfassungsmäßige Ordnung wieder herzustellen«. Es folgte ein Großangriff auf Tschinwali, die Hauptstadt von Südossetien. Hunderte von Zivilisten verloren unter Artilleriebeschuss ihr Leben, die südossetische Führung spricht von mehreren tausend Toten. Mehr als 30 000 Menschen flüch­teten über die russische Grenze. Einen Tag später eröffnete Abchasien, die zweite abtrünnige Republik, eine weitere Front gegen Georgien.

Am Vorabend der Eskalation rief der georgische Präsident Michail Saakaschwili die südossetischen Milizen dazu auf, das Feuer einzustellen. Er bot einen Waffenstillstand und die Aufnahme von Ver­handlungen über den zukünftigen Status der international nicht anerkannten, aber seit Beendigung der Kämpfe mit Georgien im Jahr 1992 de facto unabhängigen Republik an. Die georgische Führung will eine uneingeschränkte Autonomie gewähren und 35 Millionen Dollar an Wiederaufbauhilfe bereitstellen, sollte Südossetien sich zur bislang verweigerten Anerkennung seiner Zugehörigkeit zu Georgien durchringen. Der andauernde Schusswechsel habe sie jedoch zum Handeln genötigt, gab die georgische Regierung an, trotz einer bereits zustande gekommenen Übereinkunft über die Aufnahme von Verhandlungen. Am Freitagnachmittag marschierte russisches Militär in Südossetien ein und stellte Tschinwali unter seine Kontrolle.

Die Anwesenheit russischer Truppen zur Friedens­sicherung in der Region ist durch ein internationales Abkommen legitimiert, doch die russische Intervention geht weit über die vertraglich geregelten Maßnahmen hinaus. So besitzen 97 Pro­zent der Bevölkerung in Südossetien mitt­lerwei­le die russische Staatsbürgerschaft. Nordossetien gehört ohnehin zu Russland. Die offizielle Begrün­dung für die Entsendung zusätzlicher Einheiten lautete, die russischen Truppen benötigten Verstärkung, weil sie hohe Verluste erlitten hätten. Mindestens 15 Soldaten seien getötet worden.

Der georgische Sicherheitsrat reagierte empört auf dieses Vorgehen. Das Auftauchen russischer Panzer in Südossetien sei gleichzusetzen mit einem Kriegszustand zwischen Russland und Georgien. In einem Interview für CNN forderte der georgische Präsident Michail Saakaschwili die USA außerdem zur Unterstützung auf. Schließlich handele es sich auch um einen direkten Angriff auf deren Wertesystem.

Die ossetische Führung behauptete derweil, an der Militäroperation in Tschinwali seien auf der georgischen Seite schwarze Söldner beteiligt gewesen. Deren Leichen seien nach dem Sturm in der Stadt gefunden worden. Den Beweis dafür blie­­­ben die Osseten schuldig, aber die Intention der Aussage ist eindeutig. Sie soll eine unmittelbare Beteiligung der USA an dem geor­gischen Angriff suggerieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Saakaschwili sich zumindest nicht auf eine waghalsige Militäroperation einlassen, ohne sich zuvor der Unterstützung der USA zu versichern. Nach Angaben der israelischen Zeitung Ma’ariv transportieren die USA Waffen und Munition von Jordanien nach Georgien.

Im Ausland übte man sich zunächst in Zurückhaltung. Nur Kasachstan stellte sich auf die Seite Russlands, während das Vorgehen der georgischen Regierung allein von Litauen bedingungslos befürwortet wurde. Die US-Regierung forderte Russland zunächst auf, die militärische Un­terstützung für Südossetien einzustellen. Als russische Truppen weit über die abtrünnige Region hinaus vorrückten, wurde die Kritik schärfer. Der ständige russische Vertreter bei der Uno, Witalij Tschurkin, wertete die bisherige Unentschlossen­heit des UN-Sicherheitsrats indes als Teilerfolg. Georgien sei dadurch gezeigt worden, dass die in­ternationale Gemeinschaft nicht bereit sei, sich mit einer gewaltsamen Lösung im Konflikt um Süd­ossetien abzufinden.

Die Kommentare russischer und südossetischer Politiker lassen sich als verbale Revanche für den Nato-Angriff auf das vormalige Jugoslawien im Jahr 1999 interpretieren. »Ethnische Säu­berungen«, von denen die albanische Bevölkerung betroffen gewesen sei, mussten damals als Argument herhalten für eine militärische Intervention ohne Legitimation der Uno. Der russische Außenminister Sergej Lawrow verteidigte nun die russische Militärintervention in Südossetien mit der Begründung, »ethnische Säuberungen« in Südossetien stoppen zu wollen. Führende russische Politiker haben sich Anfang der Woche für eine Anerkennung Südossetiens und Abchasiens ausgesprochen.

Es entsteht der Eindruck, dass sowohl Russland als auch Georgien erproben wollen, mit welchem Spielraum sie auf internationaler Ebene bei ihrem Vorgehen in der Region rechnen können. Allerdings wäre es verkehrt, die Eskalation des Kon­flikts darauf zu reduzieren. Der Angriff auf Südossetien mag ein Versuch Saakaschwilis sein, den Nato-Beitritt Georgiens zu forcieren, aber das kann nur dann gelingen, wenn seine Regierung es schafft, nicht als Aggressor zu erscheinen.

Die russische Führung spricht sich vehement gegen eine Nato-Mitgliedschaft Georgiens aus, kann sich aber in einer eskalierenden militärischen Auseinandersetzung kaum als Schutzmacht profilieren, ohne ihrem Image zu schaden. Die formale Integration Südossetiens in russisches Hoheitsgebiet lässt sich zudem ohne einen Bruch des internationalen Rechts nicht bewerkstelligen. Der Status quo ist für Russland vorteilhafter als eine militärische Eskalation. Am Dienstag ordnete der russische Präsident Dmitrij Medwedjew an, den Vormarsch zu stoppen, da »die Ziele der Operation erreicht« wurden.

Eine militärische Lösung ist in dem Konflikt ohnehin nicht zu erwarten. Zwar sind die russischen Streikräfte weit überlegen, doch das waren sie auch im Kampf um Tschetschenien. Georgien rüstet seit Jahren auf und erhöht regelmäßig sein Militärbudget. Im Jahr 2007 erreichte es die Rekordsumme von 890 Millionen Dollar, was acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts ent­spricht. Die Armee ist auf etwa 17 000 Soldaten angewachsen. Die südossetischen Streitkräfte be­stehen aus mehreren tausend Milizionären und Polizisten, die auch über schweres Militärgerät ver­fügen. Einer weiteren Aufrüstung widersetzte sich die russische Regierung vehement. Stattdessen sicherte sie ihre Bereitschaft zur Unterstützung zu, wenn nötig mit militärischen Mitteln. Diese Hilfe nimmt die Führung Südossetiens nun nur allzu gern in Anspruch.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2008/33/22426.html

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