Groß und stark bleiben

Russischen Nationalisten scheint es im Kaukasus am allerwenigsten um Süd­ossetien zu gehen. So mancher von ihnen glaubt, den Kalten Krieg noch gewinnen zu können.

»Georgischer Blitzkrieg« unterschrieb die russische nationalistische Wochenzeitung Zavtra eine Karikatur des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili. Der im Sprachgebrauch russischer Nationalisten kurz und knapp zum »Volksfeind« abgestempelte Saakaschwili rennt in Armeestiefeln »Made in USA« mit übergroßem Kopf und kleinen Muskeln vor russischen Raketen auf und davon. Mit dieser Karikatur soll ohne Zweifel auch der russische Sieg über Deutschland im Zwei­ten Weltkrieg assoziiert werden. Nach 60 Jahren fühlt sich Russland endlich wieder einmal groß und stark, und Nationalisten jeglicher Couleur gefallen sich in ihren Weltmachtsphantasien so gut wie schon lange nicht mehr.

So manch einer fühlt sich in der bipolaren Logik des Kalten Krieges heimischer als darin, sich mit einem weitaus komplexeren Interessen­gefüge auseinanderzusetzen. Alexander Pro­chanow, Chefredakteur der Zavtra, freut sich dar­über, dass Russland während der fünftägigen militärischen Auseinandersetzung mit Georgien – und letztlich mit den USA – erstmals seit dem Zerfall der Sowjetunion seine nationalen Inter­essen in einer seiner traditionellen Einfluss­zonen verteidigt habe. Es sei nicht angebracht, von einer Niederlage Russlands im Kalten Krieg zu sprechen. »Wir haben nicht verloren«, lautet Prochanows Befund. »Denn der Kalte Krieg ist nicht zu Ende.«

Der dem Kreml nahe stehende Fernseh­kom­men­tator Michail Leontjew hätte es gerne ge­se­hen, wenn die russische Armee in die geor­gische Haupt­stadt Tiflis einmarschiert wäre. Schließlich habe die Sowjetunion bereits 1968 beim Einmarsch sow­jetischer Panzertruppen in Prag auch nichts zu verlieren gehabt. Selbst der Vorsitzende der kommunistischen Partei KPRF, Gennadij Sjuganow, glaubt, dass sich Russland zu klein gemacht habe, schließlich würde sich die Welt nach den geor­gischen Greueltaten in der südossetischen Hauptstadt Tschinwali mit großem Verständnis einer Entscheidung Russlands zugunsten der Unabhängigkeit Südossetiens anschließen. So ist denn auch die Unterzeichnung des Waffenstillstands für den modernen Verschwörungstheoretiker Sjuganow eine Niederlage, für die er ungenannte Kräfte in Russland verantwortlich macht.

In der russischen Öffentlichkeit spricht kaum jemand darüber, dass sowohl Georgien als auch Russland auf das jüngste Kriegsintermezzo hingearbeitet haben. Nur einige marginale linke Grup­pen kommentierten die schleichende Annektierung Südossetiens und der ebenfalls sezessionistischen Republik Abchasien durch Russland. Im Zusammenhang mit der großzügigen Vergabe der russischen Staatsbürgerschaft an die Bewohner der beiden unter Russlands Schutz stehenden Gebiete wiesen sie darauf hin, dass selbst russischen Flüchtlingen aus den anderen ehema­ligen Sowjetrepubliken und entrechteten Gastarbeitern dieses Privileg vorenthalten werde.

Dessenungeachtet spricht sich die Mehrheit der russischen Bevölkerung dafür aus, jegliche Forderungen Georgiens nach dem Abzug des russischen Militärs aus Südossetien schlichtweg zu ignorieren. Dies ergab eine Umfrage des Meinungs­forschungsinstituts WCIOM. 72 Prozent waren dabei der Ansicht, gerade nach einem offen ausgetragenen militärischen Konflikt sei die An­wesenheit russischer Truppen unabdingbar. Nur 14 Prozent halten deren Abzug für angebracht, wobei die Hälfte davon ihre Meinung mit der Besorgnis um das Wohlergehen der russischen Soldaten begründet und nur eine kleine Minderheit die Auffassung vertritt, dass gerade die ­Anwesenheit russischer Militärs die Situation in der Kaukasusrepublik nur komplizierter mache. Ein Drittel der Fürsprecher hält wiederum allein das russische Militär für befähigt, »Ordnung und die Einhaltung der Menschenrechte« in Südossetien zu garantieren und einen Völkermord zu verhindern.

Tatsächlich ist man im russsischen Parlament derzeit um das Wohlergehen der Südosseten besorgt. Premierminister Wladimir Putin hat bereits Mitte vergangener Woche für die Leistung humanitärer Hilfe umgerechnet etwa 13,5 Millionen Euro zugesagt. Für bevorstehende Wiederaufbauarbeiten sollen aus dem russischen Haushalt je nach Bedarf bis 274 Millionen Euro bereitgestellt werden. In der oberen Parlamentskammer, dem Föderationsrat, einigten sich die Se­natoren auf ein Hilfsmodell, wie es zu Sowjetzeiten gang und gäbe war, beispielsweise nach dem verheerenden Erdbeben in der heutigen usbekischen Hauptstadt Taschkent im Jahr 1966. Das russische Parlament verhält sich dabei so, als sei Südossetien ein integraler Bestandteil des russischen Staatsgefüges, und verlangt, dass jede russische Region die Verantwortung für die Wiedererrichtung eines konkreten Bauobjektes in Tschinwali übernehmen soll.

Die Reaktionen der in Russland lebenden Georgier blieben, anders als die der russischen Nationalisten, verhalten. Nur der Präsident der Union der Georgier Russlands, Michail Chubutij, verurteilte den militärischen Angriff Georgiens auf Südossetien klar und deutlich und forderte Saakaschwili zur Niederlegung seines Amtes auf. Dessen militärisches Vorgehen bezeichnete er als »katastrophalen Fehler«. Gleichzeitig räumte er in seiner Erklärung ein, dass sicherlich nicht alle Mitglieder seiner Vereinigung diese Meinung teilten.

Denn auch Chubutij dürfte wissen, dass Erklärungen der Solidarität mit der offiziellen Haltung des Kreml im Konflikt mit Georgien wohl kaum dazu geeignet sind, in Russland lebende Georgier vor eventuellen Übergriffen zu schützen. Insbesondere die Anfang der neunziger Jahre aus der abtrünnigen Republik Abchasien nach Russland geflüchteten Georgier haben genau davor Angst. Auf einer Webseite von georgischen Flüchtlingen tauchte ein anonymer Appell auf, sich so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen. Im Oktober 2006, als sich die Beziehungen zwischen Russland und Georgien so sehr verschärft hatten, dass über viele Monate hinweg Post­zustellungen und jegliche direkten Reiseverbindungen zwischen den Ländern eingestellt wurden, schob die russische Regierung etwa 5 000 Georgier ab. Drei Menschen kamen bei den brutalen Abschiebungen ums Leben. In Moskau lebende georgische Flüchtlinge aus Abchasien kämpfen seit Jahren gegen die systematischen Schikanen russischer Behörden, die sich längst nicht mehr an die einst unter dem russischen Präsidenten Boris Jelzin getroffenen Vereinbarun­gen zum Schutz der aus den sezessionistischen Kaukasusrepubliken nach Russland geflüchteten Menschen gebunden fühlen.

Die Befürchtungen der Georgier werden vom Anführer der Bewegung gegen illegale Immi­gra­tion (DPNI), Alexander Below, noch zusätzlich ­genährt. Nach Beginn der jüngsten militärischen Auseinandersetzung forderte er die Internierung aller georgischen Staatsbürger, die sich gegenwärtig auf russischem Staatsgebiet aufhalten. Außerdem kündigte er an, die Bürgerwehren der DPNI auf die Jagd nach illegalen georgischen Immigranten anzusetzen. Sie sollen mit Videokameras ausgestattet alle Wohngegenden und Treffpunkte von Georgiern absuchen, eine umfangreiche Befragung in der Nachbarschaft durch­führen und, wenn sie »beunruhigende Angaben« erhalten, die Miliz verständigen.

Ute Weinmann

http://jungle-world.com/artikel/2008/34/22464.html

Запись опубликована в рубрике Kaukasus, Nazis + Nationalisten с метками , . Добавьте в закладки постоянную ссылку.