Glauben darf jeder. Handelt es sich um den »wahren« Glauben, werden dessen Anhänger sogar per Gesetz geschützt. Atheisten haben es da schon schwerer. Obwohl die Überzeugung, es gebe keinen Gott, mangels Beweisen streng genommen auch nichts anderes als eine Glaubensfrage ist, können sie sich nicht auf einen besonderen Schutz berufen. Wiktor Krasnow, ein Atheist aus dem südrussischen Stawropol, fühlt sich von einem überzeugten Orthodoxen bewusst in die Irre geleitet und provoziert. Anderthalb Jahre nach einem heftigen Schlagabtausch mit jenem Gläubigen im russischen sozialen Netzwerk VKontakte wurde Krasnow nun wegen der Verletzung religiöser Gefühle vor Gericht gebracht. Dem gelernten Krankenpfleger droht ein Jahr Haft aufgrund eines Straftatbestands, der nirgends eindeutig definiert ist. Der selten angewandte entsprechende Paragraph wurde vor drei Jahren nach der Punk-Performance von Pussy Riot verschärft, bislang gibt es aber nur ein Urteil. Dem stehen Dutzende Urteile wegen Aufstachelung zum Hass gegenüber.
Angefangen hatte Krasnows Fall mit einem harmlos anmutenden Beitrag einer Bloggerin über die Moralpredigten ihrer Mutter hinsichtlich der Rollenverteilung von Mann und Frau. Die nachfolgende Diskussion glitt schnell ins Religiöse ab. Ein User stellte mit einem Bibelzitat fest, dass der Mann Christus zu folgen habe, die Ehefrau aber ihrem Mann. Im weiteren Verlauf eskalierte die Debatte, was Krasnow zu der Aussage verleitete, es gebe gar keinen Gott und die Bibel bestehe aus »jüdischen Märchen«. Krasnow, der sich daraufhin mit Drohungen und Hasskommentaren orthodoxer Gläubiger konfrontiert sah, behauptet, das Bibelzitat sei von einem der beiden Kläger aus dem Kontext gerissen, sinnentstellend, unvollständig und ohne Quellenangabe in die Debatte eingebracht worden und er habe angenommen, es handele sich um einen Auszug aus einem alten russischen Gesetzeskodex. In der Anklage taucht noch ein späterer Schlagabtausch zum Thema Halloween auf. Der Einfachheit halber sparte ein von den Ermittlern in Auftrag gegebenes Gutachten die Kommentare der anderen Diskussionsteilnehmer jedoch ganz aus. Indes steht der antisemitisch anmutende Grundton der beanstandeten Aussage nicht zur Debatte, schließlich fühlen sich orthodoxe Christen davon nicht tangiert. Vor denen sollte sich jeder russische Blogger in Acht nehmen und handfeste Bibelkenntnisse erwerben, um sich nicht womöglich auf der Anklagebank wiederzufinden.
Ute Weinmann