Völlig ausgeliefert

Verteidiger Witalij Tscherkasow im Interview über die Folterung von inhaftierten Antifaschisten durch russische Sicherheitskräfte


Der Jurist Witalij Tscherkasow
Foto: Ute Weinmann


Im vergangenen Oktober und zu Jahresbeginn wurden mehrere russische Antifaschisten festgenommen, weil sie Anschläge bei der anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft geplant haben sollen. Während die Beweislage für die Vorwürfe äußerst dünn erscheint, zeigen sich bei den Verdächtigen deutliche Spuren von Folterung. Diese sollen ihnen Angehörige des Inlandsgeheimdienstes FSB zugefügt haben. Herr Tscherkasow, Sie waren als Anwalt in der Vergangenheit immer wieder mit dem Thema Folter durch russische Behörden konfrontiert. Nun vertreten sie den inhaftierten Wiktor Filinkow. Unterscheidet sich sein Fall von früheren?

Ich bin seit 2004 im Team der Organisation Agora tätig, das sich vorzugsweise mit Folter durch Polizeibeamte auseinandersetzt. Erst in den letzten Jahren sind Foltermethoden des FSB in unser Blickfeld gerückt. Ich war davon ausgegangen, dass beim FSB mehr Professionalität und ein gewisses intellektuelles Niveau vorherrscht, das erforderlich ist, um Ermittlungen korrekt zu führen. Doch im Fall meines Mandanten Wiktor Filinkow musste ich feststellen, dass sich die Vorgehensweise von FSB-Angehörigen kaum unterscheidet von dem, was sich auf einer gewöhnlichen Polizeiwache abspielt. Читать далее

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Sanktionen gegen Sanktionen

Neue US-Sanktionen treffen einige russische Oligarchen hart, andere bleiben ausgespart. Die Duma hat Gegenmaßnahmen angekündigt, doch die russische Regierung zögert.

Noch Ende Januar sorgten die US-amerikanischen Drohungen in Teilen des russischen Establishments für Erheiterung. Damals veröffentlichte das US-Finanzministerium einen Bericht, der Empfehlungen über die ­Verhängung von Sanktionen gegen 114 Schlüsselfiguren im russischen Staatsapparat und 96 Oligarchen aussprach. Die Zusammenstellung liest sich wie ein Who is Who der russischen politischen Führung und Geschäftswelt. Auch wenn einige der Betroffenen die Befürchtung äußerten, konkrete Maßnahmen ließen wohl nicht lange auf sich warten, taten andere den als Telefonliste verharmlosten Bericht leichtfertig ab. Zwei Monate später gibt es keinen Grund mehr zu lachen. Die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen den USA und Russland hatten sich in der kurzen Zeit weiter verschlechtert und statt verbaler Proteste drohen nun ernsthafte Konsequenzen. Читать далее

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Unterm Existenzminimum

Arbeiten in Russland bringt wenig Verdienst und Rechte

In Russland arbeiten viele Beschäftigte immer mehr für immer weniger Geld. Gerade im Bildungs- und Gesundheitssektor erreichen die unteren Löhne nicht immer das Existenzminimum.

Lohnarbeit macht in der Regel nicht reich, sie sollte jedoch die existenziellen Lebenshaltungskosten decken. Der staatlich festgelegte Minimallohn in Russland beträgt im Durchschnitt allerdings nur 137 Euro. Das liegt noch unter dem Wert, den der Staat für das Existenzminimum ansetzt. Maximal 85 Prozent der errechneten monatlichen Kosten werden damit gedeckt. Zwar plant die Regierung seit Jahren eine Angleichung. Präsident Wladimir Putin verfügte unlängst eine Anhebung auf hundert Prozent bis zum 1. Mai. Profitieren würden davon bis zu fünf Millionen ArbeitnehmerInnen. An sich stellt der Minimallohn eine reine Rechengröße dar, mit der Krankengelder, staatliche Sozialleistungen und das Arbeitslosengeld bemessen werden. Nicht nur im europäischen Vergleich nimmt das an Rohstoffen reiche Russland hier einen beschämenden Platz weit unten in der Skala ein. Anstatt den Minimallohn an den realen Löhnen und Gehältern zu orientieren, deren Mittelwert in Russland bei 570 Euro liegt, dient das Existenzminimum als Richtschnur. Читать далее

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Prinzip der gnadenlosen Profitmacherei

Brandtragödie im russischen Kemerowo schlägt Wellen

Nach dem Brand am vergangenen Sonntag im Einkaufszentrum »Winterkirsche« im sibirischen Kemerowo zeichnet sich ein verheerendes Bild ab. 64 Menschen haben ihr Leben verloren, zwei Drittel davon sind Kinder. Selten schlägt eine der vielen Katastrophen, die in Russland regelmäßig etliche Todesopfer fordern, so hohe Wellen. Von Schlamperei und Fahrlässigkeit ist die Rede. Schnell sind die Schuldigen gefunden. Fünf der mutmaßlichen Verantwortlichen für die hohe Opferzahl befinden sich in Untersuchungshaft, darunter die Generaldirektorin der Betreiberfirma, Nadeschda Suddenok, und Angehörige des Sicherheitspersonals. Aber die bislang bekannten Mängel deuten auf eine systematische Missachtung grundlegender Sicherheitsregeln hin, die nicht nur für die »Winterkirsche« symptomatisch sind. Читать далее

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Übergriffig in der Duma

In Russland werfen mehrere Journalistinnen einem Parlamentarier sexuelle Belästigung vor. Die zuständige Ethikkommission sieht jedoch keinen Handlungsbedarf.

Vor Provokationen muss man sich in Acht nehmen. Männer sogar mehr als Frauen. Wenn nämlich eine Frau einen Mann öffentlich der sexuellen Belästigung bezichtigt, dann handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um einen üblen Diffamierungsversuch. Tun dies mehrere Frauen, muss nach Ansicht des Vorsitzenden der Ethikkommission im russischen Parlament, Otari Arschba, ein «gezieltes und geplantes Vorgehen» dahinter stecken. Noch verdächtiger machen sie sich, wenn sie ihre Anschuldigungen im Zeitraum der Präsidentschaftswahlen kundtun. Dann liegt der Fall glasklar: die Vorwürfe müssen völlig unbegründet sein.

Dass die Duma kein angenehmer und vor allem kein sicherer Arbeitsplatz für Journalistinnen ist, weiß längst, wer es wissen will. Читать далее

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Aus alt mach neu

Bei den Präsidentschaftswahlen in Russland hat Wladimir Putin etwa drei Viertel der Stimmen gewonnen. Sein bislang bestes Resultat verdankt er nicht zuletzt den Bemühungen der Staatsbürokratie.

Besser hätte der Plan nicht aufgehen können. Nach vorläufigen Ergebnissen hat Wladimir Putin bei den russischen Präsidentschaftswahlen 76 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 67 Prozent erhalten. Damit gelang ihm das bislang beste Wahlergebnis seiner Karriere. Vor sechs Jahren, als in den russischen Metropolen die größten Proteste seit Jahren stattfanden und Putins Anhänger ihrerseits vehement Präsenz auf den Straßen zeigten, hatte es nur für 63 Prozent der Wählerstimmen gereicht. Zu wenig für einen Staatsführer, der Russland von den Knien habe auferstehen lassen, wie Putin betonte, der als Übervater einer einst gedemütigten Nation in die Geschichte eingehen will. Читать далее

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Putins kalkulierte Konkurrenz

Kommenden Sonntag wird in der Russischen Föderation der neue Präsident gewählt. Gewinnen wird der derzeitige Amtsinhaber, der seine erneute Kür weder dem Zufall noch demokratischen Prozeduren überlässt.

Anhebung der Einkommen, Privatisierung staatlicher Konzerne, Nationalisierung des Bankensystems, Aufhebung des Verbots der Berufstätigkeit in bestimmten Sparten für Frauen – die Wahlprogramme der sieben männlichen Kandidaten und einer einzigen weiblichen Kandidatin für den Posten des russischen Präsidenten am 18. März bedienen die Vorlieben eines breiten politischen Spektrums. Nur sieben von ihnen stellen ihr Programm auf der offiziellen Webseite vor und debattieren miteinander in Radio und Fernsehen. Einer braucht niemandem mehr in dieser banalen Form darzulegen, wer er ist und was er zu bieten hat: Wladimir Putin. Er wird die Wahl ohnehin gewinnen und hat auf die ihm zustehende Werbezeit in den Medien gleich ganz verzichtet. Читать далее

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Wählen gehen für Putin

Steht der Sieger bereits vor Spielanpfiff fest, ist der Abschluss einer Wette sinnlos. Bei den Präsidentschaftswahlen in Russland am 18. März sind trotzdem alle dazu angehalten, ihre Stimme abzugeben und ihren Teil zum erwartbaren Ergebnis beizutragen. Rund um den letztmaligen Wahlsieg des allrussischen Übervaters Wladimir Putin im Jahr 2012 entluden sich die Emotionen eines Teils des putinschen Herrschaftsprinzips müde gewordenen grossstädtischen Bevölkerung noch in lautstarken Protestaktionen. Heute entzweien sich deren Gemüter lediglich an der Frage, ob die eigene Stimmabgabe in der jetzigen Situation moralisch vertretbar sei oder nicht. Austragungsort solcher Debatten ist allerdings nicht mehr die Straße, sondern soziale Netzwerke oder private Rückzugsräume.

Mit der Entscheidung, den nationalistischen Oppositionspolitiker Aleksej Nawalnyj von einer Teilnahme an den Wahlen auszuschließen, bescherte sich der Kreml ein technisches Problem, an dessen Lösung nun auf allen Ebenen fieberhaft gearbeitet werden muss. Um dem langjährigen Machthaber eine solide Zustimmung zu seiner Person zu gewährleisten, braucht es eine entsprechende Wahlbeteiligung. Читать далее

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Fades Spektakel

Dass am 18. März alle russischen Staatsbürger aufgerufen sind, ihre Stimme bei den Präsidentschaftswahlen abzugeben, ist in Moskau schwerlich zu übersehen. Entsprechende Hinweise finden sich überall: an Bushaltestellen, in Einkaufszentren, und selbst die staatliche Fluggesellschaft Aeroflot weist Passagiere darauf hin, ihr Stimmrecht gegebenenfalls an einem anderen Ort wahrzunehmen.

Personalisierte Wahlwerbung auf großen Plakatwänden sieht man seltener, ausgenommen das gelbe Kürzel auf tiefblauem Grund der Liberaldemokratischen Partei LDPR, die ganz offensichtlich über ein solides Werbebudget verfügt. Deren unbestrittener Anführer und Politveteran Wladimir Schirinowskij kämpft bereits zum sechsten Mal mit einer unsäglichen Melange aus Hetzparolen gegen alle, die ihm in die Quere kommen, um das Präsidentenamt. Wie immer, ohne ans erklärte Ziel zu gelangen, denn der Posten ist bereits vergeben. Читать далее

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Soli-Party für inhaftierte Antifaschisten attackiert

Russischer Inlandsgeheimdienst FSB will Terrornetzwerk ausgehoben haben / Beweislage gegen Inhaftierte extrem dünn

Solidarität mit politischen Gefangenen ist in Russland keine leere Worthülse. Besondere Brisanz kommt derzeit den Strafermittlungen gegen sechs junge Männer in Pensa und zwei in St. Petersburg zu, denen die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird mit dem Ziel, zahlreiche Anschläge während der Präsidentschaftswahlen und der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft geplant zu haben.
Für deren juristische Verteidigung werden nicht zuletzt auch finanzielle Mittel benötigt. In der St. Petersburger Bar Holy Water fand deshalb am vergangenen Sonntag ein Solikonzert mit der Gruppe Arkady Kots statt, die mit ihrem breiten Repertoire an kämpferischem Liedgut für Aufsehen und beste Stimmung sorgte. Dabei kam es zu einem Zwischenfall. Читать далее

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