Trucker rüsten zum 1. Mai

Streikführer Andrej Baschutin kündigt verschärften Protest gegen neue russische Maut an


Die OPR hatte zu einem landesweiten Truckerstreik gegen das Mautsystem »Platon« aufgerufen. Sind sie ihrem Ziel in den seither vergangenen vier Wochen näher gekommen?

Es gibt zunehmend Reaktionen auf unseren Streik. In vielen Regionen erklären sich lokale Staatsvertreter zu Gesprächen bereit – sie haben jedoch keinerlei Entscheidungsbefugnisse. Die Regierung hat sich durch ihre demonstrative Zurückhaltung selbst in die Ecke manövriert und simuliert nun diverse Aktivitäten über einflusslose Mittelsmänner. Die wollen uns beispielsweise zu einem runden Tisch mit Industriellen und Unternehmern zum Thema Lenk- und Ruhezeiten einladen. Dabei bleibt deren Interesse völlig unklar.
Die zahlenmäßig kleine Fahrerbewegung »12 Tonnen«, die sich gegen den Streik ausspricht, lud uns zu einem Video-Streaming mit Dumaabgeordneten ein. Unser Gegenvorschlag, eine Direktübertragung im Staatsfernsehen zu organisieren, fand kein Gehör.
Kürzlich haben sich Mitglieder des Menschenrechtsrats mit der Aufforderung an die Präsidialverwaltung gewandt, ein Treffen mit Spediteuren und Regierungsvertretern zu organisieren, darunter auch aus dem Verkehrsministerium. Genau das entspricht unserer Zielsetzung. Ein Gespräch wird wohl stattfinden, allerdings gehen wir nicht davon aus, dass die oberste Führungsriege dabei sein wird. Aber wir wollen dennoch daran teilnehmen. Читать далее

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Teil des Dogmas

Bis heute ist Antijudaismus in der orthodoxen Kirche verbreitet

«Die Christen haben überlebt, obwohl uns die Vorfahren von Boris Wischnewski und Maksim Reznik in Kesseln gekocht und den Tieren zum Fraß vorgeworfen haben.« Das sagte kürzlich der Dumaabgeordnete Witali Milonow, Mitglied von Putins Partei Einiges Russland, nach einer Kreuzprozession um die St. Petersburger Isaakskathedrale über zwei jüdische Lokalpolitiker der liberalen Oppositionspartei Jabloko.

Die beiden Abgeordneten des Stadtparlaments hatten sich dagegen ausgesprochen, dass die Kirche, die sich seit Jahrzehnten in staatlicher Hand befindet und als Museum dient, der Russisch-Orthodoxen Kirche zurückgegeben werden soll. Читать далее

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Russlands Trucker gegen »Platon«

Nicht nur das neue Mautsystem bringt vor allem Kleinunternehmer in Schwierigkeiten

Der Kilometerpreis des russischen Mautsystems »Platon« für Schwerlaster stieg am 15. April planmäßig. An jenem Tag wollten Lkw-Fahrer ihren Protest dagegen mit einer Autokolonne von einem Streikposten am Stadtrand von St. Petersburg in die Innenstadt tragen. Doch die Polizei hinderte sie daran und nahm mehrere Personen fest.

Eigentlich sollte ein Gerichtsverfahren folgen, aber weder gibt es bislang einen Termin, noch eine klare Anschuldigung. Nicht einmal ein Gesetzesverstoß liegt vor. An derlei Schikanen haben sich die landesweit gut vernetzten Fahrer längst gewöhnt. Innerhalb der vergangenen drei Wochen wurden aus fadenscheinigen Gründen in über 250 Fällen Bußgelder oder mehrtätige Haftstrafen verhängt.

Seit dem 27. März 2017 befinden sich russische Lkw-Fahrer in einem unbefristeten Streik gegen das Mautsystem »Platon«. Sie wollen erreichen, dass sich die Regierung mit ihnen an den Verhandlungstisch setzt, um gemeinsam über eine Lösung zahlreicher Probleme in der Logistikbranche zu sprechen.

Das Ende 2015 eingeführte »Platon«-System ist nur die Spitze des Eisbergs. Читать далее

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Verfolgt von Staat und Familie

In Tschetschenien werden Homosexuelle inhaftiert und gefoltert. Wenn sie von Familienangehörigen ermordet werden, gilt das den Behörden als Privatangelegenheit.

Beim Begriff »Ehrenmord« denkt man zunächst an weibliche Opfer. Zu Recht, doch der Verhaltenskodex in tschetschenischen Familienverbänden sieht Vergeltungsakte auch für einige männliche Verstöße gegen den Ehrbegriff vor. Werden etwa von heterosexuellen Norm abweichende Neigungen publik, bleibt Homosexuellen oft nur noch eines: die Flucht. Die eigene Familie wird dann zu einer größeren Gefahr für Leib und Leben als der tschetschenische Repressionsapparat.

Doch auch die Behörden bleiben nicht untätig. Читать далее

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Recht russisch

Warum Putin für den Rechtspopulismus so attraktiv ist

Russland wird zentral und autoritär von Präsident Putin geführt. Ökonomisch herrscht ein Mischsystem aus einem starken öffentlichen Sektor und neoliberaler Wirtschaftspolitik. Die Staatsideologie ist konservativ bis nationalistisch ausgeprägt. Es ist genau diese Mischung, die Russland zum Vorbild für RechtspopulistInnen aus aller Welt macht.

Versuche, Außenstehenden das russische Herrschaftssystem unter Präsident Wladimir Putin begreiflich zu machen, sind eine undankbare Aufgabe. Selbst in unmittelbaren Nachbarstaaten besteht Unverständnis angesichts des raschen gesellschaftlichen Wandels in Russland, dessen aggressive Komponente insbesondere die Ukraine zu spüren bekommt. Mit dem Wort Rechtspopulismus lässt sich die gegenwärtige Verfasstheit nur ungenügend beschreiben.

Formal entspricht Russland den Kriterien einer parlamentarischen bürgerlichen Demokratie mit einer auf die Macht des Präsidenten zugeschnittenen Verfassung. Die Arbeit der politischen Institutionen imitiert jedoch eher rechtsstaatliche Verhältnisse. Weder existiert eine unabhängige Gerichtsbarkeit, noch eine eigenständige Legislative. Die Exekutive orientiert sich an den Vorgaben und Freiräumen, welche die Präsidialadministration vorgibt. Читать далее

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Die Protestsaison beginnt

In Russland sind Fernfahrer erneut und besser organisiert als je zuvor in den Streik getreten. Die Massenproteste gegen Korruption zogen viele junge Menschen an.

Russlands vielgepriesene Stabilität ist fragiler, als es auf den ersten Blick scheinen mag, und das schon lange. Bereits im November 2015 machten russische Trucker mit ihrem Protest gegen die Einführung einer Mautgebühr für LKW auf sich aufmerksam, aber ihre Netzwerke befanden sich erst im Aufbau. Inzwischen sind sie mit der neu gegründeten Vereinigung russischer Transportunternehmer (OPR), die über 10 000 Mitglieder umfasst, und einigen kleineren regionalen Verbänden wesentlich besser für einen langen Arbeitskampf gerüstet. Seit dem 27. März befinden sie sich im Streik. Das Ziel lautet, den Güterverkehr auf der Straße so weit wie möglich lahmzulegen, um die Regierung zu Zugeständnissen zu bewegen. Die Maut soll abgeschafft werden, denn derzeit profitiert davon in erster Linie Igor Rotenberg, der Sohn eines der engsten Freunde des russischen Präsidenten. Aber es geht den Fernfahrern auch darum, die Willkür der Kontrollinstanzen auf den Straßen zu beenden und gegen die schleichende Monopolisierung des Transportsektors vorzugehen.
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Wie hältst du’s mit dem Kreml?

Welche Rolle Juden in der politischen Lage des Landes spielen

Wer über eine Suchmaschine auf Russisch die Wörter »Juden in der russischen Opposition« eingibt, stößt unweigerlich auf Aussagen und Behauptungen, die mehr Fragen aufwerfen als Antworten liefern. Wahlweise stellen Juden demnach einen überproportionalen Anteil in den oppositionellen Bewegungen Russlands oder dominieren diese sogar.

Weder Zahlen noch Statistiken braucht es als Nachweis. In so mancher vom Geist der Aufklärung unberührten Darstellung gerät jeder ungewollt zum Juden, der sich als Zielscheibe für Diffamierungen eignet, denn diese Form der negativen Zuschreibung ist so eindeutig, dass sie keine Steigerung mehr zulässt.

Dmitri Bykow, russischer Schriftsteller und Publizist jüdischer Herkunft, hielt während der letzten großen Protestwelle 2012 fest: »In Russland existierte immer eine fünfte Kolonne. Nämlich die russische Intelligenz und die jüdische Intelligenz. Letztere lenkt, erstere lässt sich lenken.« Seine beißende Ironie halten manche für die Wahrheit. Читать далее

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Spionage oder Verrat

In Moskau wurden mehrere Mitarbeiter für Cybersicherheit des Geheimdienstes FSB festgenommen. Womöglich halfen sie jahrelang E-Mails von hochrangigen russischen Beamten zu veröffentlichten.

Wenn jede private E-Mail von russischen, US-amerikanischen oder sonstigen Geheimdiensten und ihnen zuarbeitenden neugierigen Hackern gelesen werden kann, ist es eine Genugtuung, die offengelegte Korrespondenz von Wladislaw Surkow oder Dmitrij Medwedjew auf dem Präsentierteller vorzufinden. Was der Kreml-Stratege und der russische Ministerpräsident im Netz treiben, dürfte zudem wesentlich relevanter sein. Die ukrainische Hackergruppe »Cyberjunta« hatte Korrespondenzen veröffentlicht, die nahelegen, dass die russische Regierung den Aufstand in der Ostukraine 2014 gesteuert hat. Der Haken daran ist, dass die Veröffentlichung des E-Mail-Verkehrs hochrangiger Staatsvertreter illegal ist. Читать далее

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Unsozial bestrafen

In Belarus haben Tausende Menschen gegen das Dekret zur »Vorbeugung des Sozialschmarotzertums« protestiert. Wer länger als sechs Monate arbeitslos ist, muss eine Strafsteuer zahlen.

Sozialschmarotzer dürfen nicht ungestraft davonkommen – dieses Prinzip ist Langzeitarbeitslosen in Deutschland nur allzu vertraut, wenngleich der bürokratische Sprachgebrauch ohne solch drastische Begriffe auskommt. In Belarus müssen sich Arbeitslose nicht nur verbal mehr gefallen lassen, sie sollen auch noch eine spezielle Steuer abführen. Am 20. Februar war der Stichtag für die Zahlung von umgerechnet 230 Euro. Wer seinen Beitrag zur Finanzierung staatlicher Infrastruktur früher geleistet hat, kam etwas billiger davon. Bei sinkenden Realeinkommen und einem Durchschnittslohn von 400 Euro im Monat hätten jedoch selbst dauerhaft Beschäftigte Mühe, die Abgabe zu leisten. So sorgte die neue Regelung für die größte Protestwelle im Land seit den Präsidentschaftswahlen 2010. Читать далее

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«Der Sozialismus wurde nicht erreicht

Aleksandr Schubin ist Doktor der Geschichtswissenschaften und einer der führenden Experten für die ­russische Revolution 1917. Zu diesem Thema hat er mehrere Bücher veröffentlicht darunter »Die Große ­Russische Revolution: von Februar bis Oktober 1917«. ­Außerdem koordiniert er die Gruppe »Informational«.

Wen interessiert die Russische ­Revolution vor 100 Jahren? Und weshalb?

Alle gesellschaftspolitischen Kräfte interessieren sich dafür, weil das zur sogenannten Tagesordnung gehört. In Russland ist es üblich, Probleme nicht deshalb anzusprechen, weil sie von Relevanz sind, sondern weil sie auf der Tagesordnung auftauchen. Über das 100jährige Jubiläum diskutieren alle. Wer sich dem entzieht, muss sich die Frage nach dem eigenen politischen Engagement gefallen lassen. Für den Staat stellt dies ein großes Problem dar, denn alle haben verstanden, dass das Revolutionsjubiläum nicht einfach übergangen werden kann. Dabei haben sich zwei Sichtweisen ergeben, die beide präsent sind, von denen aber eine die Oberhand gewonnen hat. Die erste äußert sich in Missbilligung und Brandmarkung, wobei direkte Bezüge zwischen den farbigen Revolutionen, also dem Sturz positiv bewerteter Regime durch die Agenten der fünften Kolonne, und dem Jahr 1917 hergestellt werden. Daraus lassen sich gewisse Schlussfolgerungen ziehen. Die zweite, meiner Ansicht nach wesentlich klügere Interpretation, zieht aus der Revolution die Konsequenz, dass die Massen für ihre Rechte kämpfen müssen. Darum sprach Putin von einem herausragenden Ereignis, bei dem jede der Revolutionsparteien ihre eigene Wahrheit vertreten habe. Im Weiteren solle die Wissenschaft sich damit ausein­andersetzen. Das könnte als erfreuliches Signal für die Bereitstellung zusätzlicher Fördermittel aufgefasst werden, aber dem ist nicht so. Am Ball sind jetzt nicht Akademiker, sondern das Fernsehen.


Aleksandr Schubin (Foto: Ute Weinmann)
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