Einiges im Argen

In Russland wird das Parlament neu gewählt, die Regierungspartei Einiges Russland wird voraussichtlich ihre Macht sichern. Verschiedene soziale Prostestbewegungen versuchen derweil, sich Gehör zu verschaffen.

Wie man Parlamentswahlen auch ohne Wahlversprechen gewinnen kann, demonstriert derzeit die Partei Einiges Russland. Gewählt wird am 18. September, aber der Sieger steht bereits fest. Nicht wer die meisten Stimmen erhält, erregt Aufmerksamkeit, sondern auf welche Weise dies vonstatten geht. Wobei sich das Interesse am an Skandalen armen Wahlkampf der insgesamt 14 zugelassenen Parteien in Russland generell in Grenzen hält. Als vor knapp fünf Jahren die jetzige Duma gewählt wurde, kochten die Gemüter. Oppositionelle Parteien mussten sich über zahlreiche Hindernisse hinweg den Zugang zu legalen Wahlkampfmethoden regelrecht erstreiten und der Aufruf des nationalistischen Antikorruptionspolitikers Aleksej Nawalnyj zur Stimmabgabe egal für welche Partei, Hauptsache nicht für das »diebische und betrügerische« Einige Russland, sorgte damals für Spannung. Um ihre Überlegenheit unter den gegebenen Bedingungen zur Schau stellen zu können, nutzte die Regierungspartei unsaubere Methoden, die allerdings eine ganze Armee an Wahlbeobachtern aufdeckte. Daraufhin zwangen lange nicht mehr dagewesene Massenproteste die Regierung zum Handeln. Читать далее

Рубрика: Protest, Wahlen | Метки: , | Комментарии к записи Einiges im Argen отключены

Einmal im Kreis in 90 Minuten

Seit dem 10. September verfügt Moskau über einen S-Bahn-Ring. Bereits vor der Revolution verkehrten rund um die russische Hauptstadt herum Passagierzüge, damals noch jenseits der Stadtgrenzen. In den vergangenen 80 Jahren lagen die Schienen auf dem Ring jedoch brach, der übrigens längst nicht mehr den Rand der stets wachsenden Metropole markiert. Mit der Eröffnung der neuen Linie 14 ist in Moskau eine neue Ära des öffentlichen Nahverkehrs angebrochen, denn ein Teil des Passagieraufkommens aus der völlig überlasteten Untergrundbahn soll nun auf den Ring umgeleitet werden. 90 Minuten lang dauert die Reise mit den neuen Zügen und bietet selbst alteingesessenen Moskauern eine neue und ungewohnte Perspektive auf ihre Stadt, die sich angesichts riesiger Parks und Waldflächen mal von ihrer naturnahen Seite zeigt, und mal ihre von Zerfall geprägte Industriearchitektur, die Wohlstand und Erfolg versprechende City oder auch einfach nur durchschnittliche postsowjetische urbane Landschaften präsentiert.

Moskva_2sep16_154
Читать далее

Рубрика: Foto, Stadt + Raum | Метки: , | Комментарии к записи Einmal im Kreis in 90 Minuten отключены

Brüder im misogynen Geiste

Weibliche Genitalverstümmelung ist auch in der russischen Republik Dagestan verbreitet. Verständnis für die brutale Praxis haben nicht nur islamische Geistliche, sondern auch ein Erzpriester der russisch-orthodoxen Kirche.

Kaum jemand hat das Thema weibliche Genitalverstümmelung mit Russland assoziiert. Jedenfalls bis Mitte August, als die Menschenrechtsorganisation »Russische Rechtsinitiative« einen Bericht vorlegte, der solche Fälle in der Republik Dagestan im russischen Nordkaukasus dokumentiert. Es geht der 2001 in den Niederlanden gegründeten Organisation dabei nicht allein um die Aufdeckung bekannter, von der Öffentlichkeit jedoch weitgehend ignorierter Praktiken. Vielmehr wurden betroffene Frauen, aber auch jene, die die Eingriffe vornehmen, in Interviews aufgefordert, ihre eigenen Einstellungen zu dieser radikalen und schmerzhaften Form der Kontrolle weiblicher Sexualität darzulegen. Читать далее

Рубрика: Gender, Kaukasus, Menschenrechte, Obskurantismus, Russland und der Westen | Метки: , , , , | Комментарии к записи Brüder im misogynen Geiste отключены

Postsowjetische Spaltungen

Nach der Aufteilung ist vor der Aufteilung

In Berg-Karabach und in der Ostukraine fördert die regionale Großmacht Russland prorussische Abspaltungen. Doch in Russland selbst wird Separatismus mit eiserner Faust unterdrückt.

Nach ihrem Zerfall hinterließ die Sowjetunion eine Reihe neuer Herrschaftsterritorien, die immer wieder durch bewaffnete Auseinandersetzungen auf sich aufmerksam machen. Gerne als «eingefrorene Konflikte» bezeichnet, bergen einzelne Regionen ein hohes Gefahrenpotenzial – zum Beispiel das in Aserbaidschan gelegene Berg-Karabach. Unter den verschiedenen separatistischen Abspaltungen gibt es einerseits Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Gründe und Ursachen: So spielt Russland jeweils eine zentrale Rolle als dezidierter Nachfolger der Sowjetunion und regionale Großmacht mit weitreichenden geopolitischen Ambitionen. Andererseits existieren nicht zu vernachlässigende regionale Besonderheiten.

Anfänge der aktuellen kriegerischen Eskalation zeichneten sich in Berg-Karabach schon während der Perestroika ab. Читать далее

Рубрика: Kaukasus | Комментарии к записи Postsowjetische Spaltungen отключены

Stabilität hat ihren Preis

Russland vor den Wahlen: Staat und Gesellschaft in Zeiten der Wirtschaftskrise

Umfrageergebnisse sind generell mit Vorsicht zu genießen. Immerhin aber vermitteln sie eine vage Vorstellung vom Verbreitungsgrad gängiger Ansichten zu allerlei aktuellen Fragen. So kommt das russische Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum zu dem Schluss, dass 82 Prozent der russischen Bevölkerung stolz darauf sind, in Russland zu leben; 67 Prozent halten Russland für eine Großmacht. Nach der ruhmreichen Geschichte und den ergiebigen Rohstoffvorkommen stehen die russischen Streitkräfte an dritter Stelle der Gründe für den Stolz auf das eigene Land.

Hinter diesen Zahlen verbirgt sich keineswegs eine automatische Zustimmung zu den politischen Verhältnissen in Russland, aber sie machen deutlich, welch hohen Stellenwert abstrakte Zuschreibungen wie die oben angeführten für weite Teile der Bevölkerung haben. Читать далее

Рубрика: Protest | Метки: | Комментарии к записи Stabilität hat ihren Preis отключены

Nachwuchs fürs Kalifat

Die russische Regierung behauptet, den Jihadismus im Kaukasus eingedämmt zu haben. Doch Experten haben Zweifel, denn der »Islamische Staat« hat Zulauf.

Richtet sich ein Terroranschlag mit islamistischem Hintergrund irgendwo in Europa gegen Zivilpersonen, ist die Aufregung verständlicherweise groß. Zumal wenn eine Metropole mit hoher Einwohnerdichte oder Flugzeuge und andere öffentliche Verkehrsmittel betroffen sind. Allein das Gefühl, Gefahren nicht mehr lokalisieren zu können, führt zu Verunsicherung. Töten Jihadisten Angehörige von Sicherheitskräften, noch dazu im russischen Nordkaukasus, nimmt dies nur eine relativ kleine Minderheit außerhalb der Region zur Kenntnis, selbst wenn der »Islamische Staat« hinter dem Anschlag steht. Seit Ende 2015 bekannten sich Anhänger des IS dort in mindestens vier Fällen zur Täterschaft, häufiger ist allerdings zu vernehmen, dass die russischen Sicherheitsbehörden eine Tat verhindert hätten.

Nach außen mag so der Eindruck entstehen, Russland habe die Terrorgefahr im eigenen Land weitgehend unter Kontrolle. Читать далее

Рубрика: Kaukasus | Метки: | Комментарии к записи Nachwuchs fürs Kalifat отключены

Keine Angst zu sprechen

Nachdem die Ukrainerin Anastasija Melnitschenko auf Facebook offen über sexuelle Gewalt geschrieben hatte, folgte schnell eine Flut von weiteren Erfahrungsberichten.

Angefangen hat es mit einem Hashtag: »Ich will, dass heute wir Frauen sprechen. Dass wir heute über Gewalt sprechen, die die meisten von uns erlebt haben. Ich will mich nicht rechtfertigen, weil ich am hellichten Tag in kurzen Shorts unterwegs war und begrapscht worden bin. Denn wir müssen uns nicht rechtfertigen. Wir sind nicht schuld, schuld ist immer der Gewalttäter. Ich habe keine Angst zu sprechen. Und ich fühle mich nicht schuldig.«

Anfang Juli beschloss die Ukrainerin Anastasija Melnitschenko, das gängige Schweigen über sexualisierte Gewalt zu überwinden und legte auf Facebook dar, welchen übergriffigen Verhaltensweisen von Erwachsenen sie seit dem Kindesalter ausgesetzt war. Читать далее

Рубрика: Gender, Protest, Ukraine | Метки: , , | Комментарии к записи Keine Angst zu sprechen отключены

Russland macht sich locker

Die russischen Reaktionen auf die Beschlüsse des Warschauer Nato-Gipfels sind deutlich. Die neuerlichen Truppenstationierungen im Baltikum werden als Aggression kritisiert und verurteilt. Doch die Abschreckungspolitik der Nato nützt Putin auch.

Was wäre die Nato ohne Russland? Sie müsste sich vermutlich eine andere Rechtfertigung für ihre Existenz suchen, die sich eigentlich bereits mit dem Ende des Kalten Kriegs erübrigt hatte. Diese Reaktionen sind in Russland nichts Neues. Durch das Nato-Gipfeltreffen in Warschau gewinnen sie erneut an Aktualität. Die Nato kämpfe nicht gegen reale Bedrohungen, sondern gegen fiktive, kommentierte der Vorsitzende des Ausschusses für internationale Angelegenheiten in der Staatsduma, Aleksej Puschkow, die Entscheidung zugunsten einer dauerhaften Stationierung von Nato-Truppen in Polen und den baltischen Staaten. Russland stelle für keinen einzigen Mitgliedstaat des Militärbündnisses eine Bedrohung dar. Bemühungen, die aktuelle Lage in der Ukraine mit der russischen Einmischung zu erklären, seien der Versuch, eine Bedrohung künstlich zu schaffen. Читать далее

Рубрика: Baltikum, Militär, Russische Linke, Russland und der Westen | Метки: , , , | Комментарии к записи Russland macht sich locker отключены

«Kein Sieg durch Gewalt»

Linke in der Ukraine fordern einen blockfreien Status und soziale Reformen

Der Krieg im Osten des Landes hat in der Ukraine Spuren hinterlassen. Zwei Tage vor Beginn des NATO-Gipfeltreffens in Warschau veröffentlichte die Ilko Kutscheriw Stiftung für demokratische Initiativen die Ergebnisse einer im Mai durchgeführten Umfrage, bei der sich knapp 78 Prozent der ukrainischen Bevölkerung für einen Beitritt zur NATO aussprаchen. Vor vier Jahren lag die Zahl der Befürworter bei gerade mal 26 Prozent. Im Westen der Ukraine fiel der Zuspruch noch höher aus, während im Süden weniger als zwei Drittel ihre Zustimmung geben würden, sollte eine Mitgliedschaft per Referendum entschieden werden. In den von Kiew kontrollierten Gebieten des Donbass halten sich Befürworter und Gegner in etwa die Waage, die abtrünnigen Regionen finden in der Untersuchung keine Berücksichtigung. Читать далее

Рубрика: Militär, Russische Linke, Ukraine | Метки: , , | Комментарии к записи «Kein Sieg durch Gewalt» отключены

Denunziation als Bürgerpflicht

Das neue Antiterrorgesetz gibt den russischen Sicherheitsbehörden zahlreiche neue Vollmachten – auch im Ausland.

Über ein umstrittenes Gesetz wird besser gar nicht erst diskutiert. Jedenfalls nicht im russischen Parlament und schon gar nicht unmittelbar vor einer entscheidenden Abstimmung. Von Irina Jarowaja, einer Abgeordneten der Partei Einiges Russland, können Hardliner aus dem Westen einiges lernen. Sie ist als Autorin einer ganzen Reihe von Gesetzesverschärfungen bekannt, darunter das rigide russische Versammlungsrecht und die Stigmatisierung nichtstaatlicher Organisationen als »ausländische Agenten«, und ist Vorsitzende des Duma-Ausschusses für Sicherheit und Korruptionsbekämpfung. Jarowaja hat gemeinsam mit Senator Viktor Ozerow aus dem Föderationsrat mit ihrem Antiterrorgesetz neue Verhältnisse in Russland geschaffen. Читать далее

Рубрика: Russland und der Westen | Метки: | Комментарии к записи Denunziation als Bürgerpflicht отключены